Pfaffenhofen
Lehrer fühlen sich im Stich gelassen

BLLV-Kreisvorsitzende Rosa Raucheisen kritisiert Notfallpläne des Kultusministeriums

29.01.2020 | Stand 23.09.2023, 10:14 Uhr |
Eine Lehrerin für 29 Schüler: Angesichts steigender Anforderungen, die sich aus Digitalisierung, Inklusion oder Integration ergeben, und den Notfall-Maßnahmen des Kultusministeriums fühlen sich auch die Lehrer im Landkreis im Stich gelassen. − Foto: Sebastian Gollnow, dpa

Pfaffenhofen - Eine Stunde Mehrarbeit pro Woche, das hört sich überschaubar an. Trotzdem kann eine Stunde jener berühmte Tropfen sein, der ein ohnehin schon rappelvolles Fass zum Überlaufen bringt. Genau das scheint dem bayerischen Kultusminister Michael Piazolo (FW) jetzt "gelungen" zu sein. Denn auch für die etwa 600 Lehrer, die an den Grund-, Mittel- und Förderschulen im Landkreis Pfaffenhofen die Kinder unterrichten, scheint das Maß voll zu sein. Für die BLLV-Kreisvorsitzende Rosa Raucheisen ist der Zeitpunkt jedenfalls gekommen, sich zu Wort zu melden.

"Wir müssen zeigen, dass es uns gibt, dass wir da sind - und dass wir es nicht immer abfangen können, wenn am Kultusministerium die falschen Weichen gestellt werden", sagt sie. Die BLLV-Kreisvorsitzende konnte schon die Art und Weise, wie sie von Piazolos "Notfallplänen" erfuhr, kaum nachvollziehen. "Das war am 7. Januar", erinnert sich die Rohrbacher Rektorin, "und ich habe es beim Autofahren im Radio gehört." Was sie da genau vernehmen musste, verschlug ihr fast die Sprache. Bayernweit fehlen 1400 Vollzeitstellen. "Eine enorme Menge", sagt die 58-Jährige. "Die lässt sich kaum ausgleichen, und schon gar nicht in absehbarer Zeit."

Was somit in den nächsten Jahren auch auf die Beschäftigten am Pfaffenhofener Schulamt zukommt, ist kein Zuckerschlecken. Für die Grundschullehrer soll ein Arbeitszeitkonto eingerichtet werden, auf das in den kommenden Jahren Woche für Woche eine Arbeitsstunde mehr angespart wird. "Nach einer Übergangsphase sollen wir diese Stunden wieder zurückbekommen", führt Raucheisen aus. Das sei soweit noch gar nichts Ungewöhnliches. "Das hatten wir 1999 nämlich schon mal", sagt sie.

Hart treffen die Lehrer zusätzlich die neuen Teilzeitregelungen. "Wer keine familiären Gründe hat, also Kindererziehung oder Pflege, muss künftig pro Woche mindestens 24 Stunden arbeiten", berichtet sie. Das treffe vor allem die älteren Kollegen. "Wir arbeiten in einem Frauenberuf, viele Familien haben sich ihr Leben so eingerichtet, dass die Frauen wesentlich kürzer arbeiten. Und das wird jetzt einfach über den Haufen geschmissen." Auch auf die Altersgrenze für die Pensionierung wirken sich Piazolos Pläne aus. "Wir konnten bislang mit 64 in Pension gehen, wenn wir entsprechende Abschläge von bis zu 10,6 Prozent in Kauf nehmen", sagt Raucheisen. Viele Kolleginnen könnten es sich nicht vorstellen, bis 67 zu unterrichten. Denn: "Bei der Arbeit mit Kindern ist man doch schon zehn Jahre früher eine absolute Oma." Auch Sabbat-Jahre gehören ab sofort der Vergangenheit an. Und mit all diesen Maßnahmen will das Kultusministerium zumindest einen Großteil der fehlenden Vollzeitstellen ausgleichen. "Das ist sehr optimistisch gerechnet", weiß Raucheisen und fügt an: "Es wird niemals ausreichen, um das Problem zu lösen."

Besserung wird das Maßnahmenbündel in den Augen der Lehrer kaum bringen. "Sie zeigen nur die Fehler auf, die am Kultusministerium begangen wurden. Wir haben sie immer abgefangen - aber jetzt geht's nicht mehr", so Raucheisen. Zu viele Lehrerstellen seien unbesetzt - und der Nachwuchs sei schlichtweg nicht da.

In den vergangenen Jahrzehnten hätten sich die Anforderungen an den Grund- und Mittelschulen grundlegend verändert. "Der Unterricht wurde immer wieder reformiert - aber das Personal wurde einfach nie mitgedacht und an die gesellschaftlichen Anforderungen angepasst", bemängelt die BLLV-Kreisvorsitzende. So sei es kaum noch möglich, als einzelne Lehrkraft eine Grundschulklasse mit 29 Mädchen und Buben zu unterrichten. Denn freilich seien wie früher immer noch viele brave und gut erzogene Kinder dabei. Aber demgegenüber stünden ein deutlicher Werteverlust in der Gesellschaft sowie Zusatzaufgaben, die sich aus Schlagworten wie Digitalisierung, Inklusion oder Integration ergeben. "Wenn in einer Klasse drei Kinder eigentlich eine Spezialförderung benötigen, drei weitere kein Deutsch können und fünf daheim vernachlässigt oder kaum erzogen werden, ist das irgendwann zu viel", meint Raucheisen. Es könne nicht sein, dass sich eine Lehrerin nach sechs Stunden Unterricht so fühlt, als sei sie von einem Lastwagen überfahren worden. Der Unterricht sei in Teilen derart anstrengend und fordernd, dass er den Pädagogen irgendwann an die Substanz gehe. Zusätzlich sollen sich die Lehrer auch noch um die EDV kümmern, sich mit den Eltern - und diese seien oft extrem fordernd - auseinandersetzen und den immer häufiger nötigen Kontakt zum Jugendamt, der Klinik, den Jugendpsychiatern, Psychologen oder dem Mobilen Sonderpädagogischen Dienst halten.

Ein Lehrer pro Klasse sei in vielen Fällen zu wenig, fügt sie an. "Einige wenige Kinder brauchen so viel Aufmerksamkeit, dass ein gut erzogenes und braves Kind häufig hinten runterfällt - und vom Lehrer am Ende gar nichts mehr hat." Das Lernen bleibe dann wiederum bei den Eltern daheim hängen, was auch nicht Sinn der Sache sei. Letztlich würden die Sonderaufgaben zu Lasten der Kinder gehen, so Raucheisen weiter. "Wir Lehrer haben das Gefühl, hier im Stich gelassen zu werden", fasst die BLLV-Kreisvorsitzende die Rückmeldungen ihrer Kollegen zusammen. "Wir Lehrer sind ja willens, machen Vorschläge und versuchen unser Bestes. Aber so geht es einfach nicht mehr weiter."

Vorschläge, wie es besser laufen könnte, hat Raucheisen genug. Der Beruf des Grund- und Mittelschullehrers müsse attraktiver werden, um mehr Nachwuchs zu generieren. "Wir haben die meiste Unterrichtszeit zu leisten und verdienen am wenigsten Geld", zieht sie den Vergleich zu den Lehrern an Realschulen und Gymnasien. Auch bei den Beförderungen sind die Grund- und Mittelschullehrer schlecht gestellt. "Da sollte nachgebessert werden." Bis das greift, sollten die Pädagogen durch Sozialpädagogen im Unterricht, durch feste Psychologen an der Schule oder Hilfskräfte unterstützt und entlastet werden. "Ein Inklusionskind muss für mehrere Kinder gelten, um die Klassen zu verkleinern - so wie es im Kindergarten auch ist", so Raucheisen. Und grundlegend plädiert sie dafür, die Lehrerausbildung zu reformieren. Lehrer könnten zum Beispiel für die Primarstufe (erste bis vierte Klasse), die Sekundarstufe 1 (fünfte bis zehnte Klasse) und die Sekundarstufe 2 (ab elfter Klasse) ausgebildet werden. "Dann kann ein Lehrer variabel an der Mittelschule, der Realschule oder am Gymnasium eingesetzt werden - und die Bezahlung wäre gerecht."

Und damit all die Kritik auch zügig bis nach München dringt, organisiert der BLLV am Freitag, 7. Februar, einen bayernweiten, dezentralen Aktionstag unter dem Motto "Lehrermangel: So nicht!" Die Schüler müssen deswegen nicht auf ihre Lehrer verzichten. Denn "los geht's erst nach Unterrichtsschluss", versichert Raucheisen.

Patrick Ermert

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