Landesparteitag der Piraten: Transparenz, Pizza und vorsichtiger Optimismus

12.01.2013 | Stand 03.12.2020, 0:37 Uhr

−Foto: Tom Webel

Unterhaching (dk) Die bayerischen Piraten stimmen sich an diesem Wochenende bei ihrem Landesparteitag in Unterhaching auf die anstehenden Landtagswahlen ein. Sie diskutieren und beschließen mehr als 100 Positionspapiere von Transparenz bis Nichtraucherschutz, aus denen im nächsten Schritt ein Wahlprogramm zusammengestellt wird. Sinkende Werte in den Umfragen sieht dabei so mancher sogar als positiv an.

“Leute, es ist sehr unhöflich, wenn Ihr da hinten ratscht, während andere zuhören wollen. Bitte seid leise.” Viel Erfolg hat der Appell des Versammlungsleiters nicht. Denn eben sind die Pizzen angekommen. Im Vorraum stapeln sich die dampfenden Kartons auf einem Tisch. “In Ordnung, wir machen Pause bis 14.30 Uhr”, gibt sich der Versammlungsleiter geschlagen. Basisdemokratie ist anstrengend, vor allem für jene, die sie organisieren.

Knapp 250 Piraten aus ganz Bayern haben den Weg nach Unterhaching auf sich genommen. Sie drängen sich in der Hachinga-Halle, einem Beton gewordenen Albtraum von einem Veranstaltungsort: lang, schmal, dunkel. Die Piraten haben versucht, es sich gemütlich zu machen. Eine zehn Meter lange LED-Tafel hängt an einer Balustrade. In Laufschrift wird hier das aktuelle Thema angezeigt oder Organisatorisches verkündet. Überall hängen orange Fahnen. Auf den Tischen reiht sich Laptop an Laptop. Auf drei großen Leinwänden sind die Redner, die Tagesordnung und eine Mitschrift der vorgebrachten Argumente zu sehen.

“Wir sind hier, weil wir im September Landtagswahlen haben”, sagt Andreas Popp, Bundestagskandidat für den Wahlkreis 217 (Ingolstadt, Landkreis Eichstätt, Landkreis Neuburg-Schrobenhausen ohne Aresing). “Da wir basisdemokratisch sind, arbeiten wir nun erst einmal die Themen durch.” Es würden Positionspapiere beschlossen, aus denen beim nächsten Parteitag ein Wahlprogramm oder mehrere Wahlprogrammvorschläge erstellt werden.

Die einzelnen Anträge wurden vorab eingereicht und im Internet veröffentlicht. Es folgte eine Umfrage. Deren Ergebnis legte die Reihenfolge fest, in der die Anträge behandelt werden. Jeder Antragsteller kann sein Positionspapier kurz vorstellen. Darauf folgt die Debatte mit maximal fünf Pro- und fünf Contra-Reden. Anschließend wird abgestimmt oder weiter diskutiert. Das Prozedere wirkt kompliziert, funktioniert aber und ist notwendig, da auch diese Veranstaltung der Piraten basisdemokratisch geprägt ist. Es haben sich hier in Unterhaching keine Delegierten versammelt, sondern all jene bayerischen Piraten, die kommen wollten. Jeder konnte vorab einen Antrag einreichen, jeder darf nun mitdiskutieren und abstimmen.

Es gibt Anträge zu klassischen Piratenthemen wie Datenschutz, Transparenz und Privatsphäre. Zum Beispiel fordern die bayerischen Piraten, dass keine Daten der Bürger von den Meldeämtern an private Firmen weitergegeben werden. Kommunen sollen zudem ihren Bürgern Abwasser- und auch Müllgebühren samt Berechnungsgrundlagen jährlich offen legen. Und die Niederschriften ihrer Gemeinderatssitzungen beziehungsweise Ton- oder Video-Mitschnitte sollen unverzüglich und dauerhaft veröffentlicht werden.

Doch es gibt auch Anträge, die für Diskussionen sorgen, zum Beispiel jener, der fordert, die bayerische Piratenpartei möge sich gegen jegliche Lockerung des Nichtraucherschutzgesetzes aussprechen. “Prinzipiell wird damit ja nicht Rauchern verboten zu rauchen, sondern nur geregelt, wo geraucht werden darf”, erläutert Thomas Entropy aus Unterhaching seinen Antrag. Es sei hinlänglich nachgewiesen, dass Passivrauchen schade. Zudem habe das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die Einrichtung von abgetrennten Raucherräumen in Gaststätten verfassungswidrig sei.

Es folgt eine muntere Diskussion: “Wir haben heute schon das Problem, dass offen gegen das Nichtraucherschutzgesetz verstoßen wird. Wir kommen da in eine Kriminalisierungskette. Die Frage ist, ob wir diese Tendenz unterstützen wollen, oder ob wir Gesetze wollen, die lebenspraktisch umgesetzt werden können.” - “Es gibt keine Kriminalisierung. Nur weil jemand in einem geschlossenen Raum raucht, rennt er danach nicht los um eine Bank zu überfallen.”- “Doch nun beschweren sich die Anwohner, weil die Leute vor den Läden stehen und rumschreien.” - “Wir sind eine Partei, die für Bürgerbeteiligung steht. Die Bürger haben bei einem Volksentscheid für Nichtraucherschutz abgestimmt und damit Basta.” Zunächst gehen dann 102 gelben Karten hoch, dann 70 blaue. Der Antrag ist angenommen, Beifall brandet auf.

Trotz engagierter Wortbeiträge bleibt die Debatte immer sachlich. Es gibt keine persönlichen Animositäten, die Versammlungsordnung wird eingehalten, die Stimmung ist gut. Die viel beschworene Depression, unter der die Piraten nach dem mitunter harten Ankommen in der politischen Realität leiden sollen - zumindest in Unterhaching ist davon nichts zu spüren. So mancher freut sich sogar über sinkende Prozentzahlen.

“Ich finde es gar nicht so schlecht, dass unsere Umfragewerte ein Stück nach unten gegangen sind”, sagt Stefan Körner, der Landesvorsitzende der bayerischen Piraten. “Denn ich habe die Hoffnung, dass das für die Mitglieder auch ein Motivationsschub ist, zu zeigen, was wir können, und dass damit nicht die Gefahr besteht, dass wir uns zurück lehnen und sagen: Wir bekommen es eh hin.” Andreas Popp haut in dieselbe Kerbe: “Wir hatten zwischendurch in Umfragen 13 Prozent. Wir wussten alle: Das wird so nicht bleiben.” Denn auch Piraten seien nur Menschen und könnten keine messianischen Wunder vollbringen. “Wir können Dinge nur besser und anders machen. Aber das braucht Arbeit. Das haben die Leute jetzt auch gemerkt. Wir mussten versuchen, uns zu konsolidieren.”

Viel Zeit ist bis zu den Landtagswahlen im Herbst nicht mehr. Bis dahin muss aus den Beschlüssen von Unterhaching noch ein konsensfähiges Wahlprogramm gezimmert werden. Die Piraten sind optimistisch, dass das klappt, und freuen sich auf den Wahlkampf. Andreas Popp tippt auf sieben Prozent für die Piraten bei den Landtagswahlen. “Ich bin felsenfest überzeugt, dass wir die 5 Prozent schaffen”, sagt Körner.
 
Von Tom Webel