Kompromisslos politisch

17.09.2010 | Stand 03.12.2020, 3:40 Uhr

Balázs Kicsiny: Leipzig, 18. April 1945 – Das Missverständnis. - Foto: oh

Regensburg (DK) Er ist der unangefochtene Star der donumenta in Regensburg: Balázs Kicsiny. 2005 gestaltete er den ungarischen Pavillon bei der Biennale in Venedig und lebt heute in Budapest und London. Drei seiner Installationen hat er unter dem Titel "Temporary Resurrection" im Bedeutungsraum der Regensburger Minoritenkirche arrangiert.

Vor leeren Tellern am Küchentisch sitzen anonymisierte Puppen in Lebensgröße, während ein amerikanischer Fallschirmtrupp auf sie herabstürzt und tötet. "Bewaffnet" sind die Fallschirmjäger nur mit Henkelmännern, also Speisebehältern. "Leipzig, 18. April 1945 – Das Missverständnis" nennt Kicsiny diese Installation, die kollektive Erinnerungen beider Nationen heraufbeschwört und in der er sich mit den Mechanismen kollektiver Traumata befasst.

Mit einer visuellen Wucht, die an Drastik nicht spart, werden auch die beiden anderen Darstellungen des Künstlers ("The Flying Dutchman", "An Attempt at Domestication") in der Minoritenkriche inszeniert. Kaum ein Betrachter kann sich ihnen entziehen.

An diesem Wochenende beginnt in Regensburg die donumenta, das Festival aktueller Kunst der Donauländer. Ungarns Kunst steht 2010 im Fokus. Frisch und frech kommt sie daher. Es ist die bisher größte Ausstellung ungarischer Kunst in Deutschland, die sich auf verschiedene Ausstellungsräume und den öffentlichen Raum der Stadt verteilt.

Regina Hellwig-Schmid, die Initiatorin und Festivalleiterin, kennt die Kunst der Donauländer seit ihrer ersten donumenta 2003. Doch noch nie hat sie so viele "Tüftler und Bastler, so viele Kunst-Konstrukteure" unter den Künstlern gesehen, sagt sie. Die Technikbegeisterung der Maler, Bildhauer und Videokünstler ist ihr besonders aufgefallen. Aber auch, dass die Künstler in kaum einem Land politischer waren, in ihren Werken entlarvender und kompromissloser.

In den vergangenen Jahren scheint die Auseinandersetzung mit den politischen Spannungen im Land und dem Rechtsruck in Ungarn für die Künstler zum existenziellen Thema geworden zu sein. "Liberation Formula" heißt es daher im "Leeren Beutel". Rund zwei Dutzend Künstler, einige von ihnen mit dem Esterhazy-Preis und Essel-Award ausgezeichnet, haben die Kuratoren Adèle Eisenstein und Àron Fenyvesi ausgewählt. Szabolcs Kiss-Pál schafft mit einer aus Absperrgittern und zwei Spiegeln bestehenden Installation "The other Crowd" eine beklemmende Atmosphäre. Bei "Police Line" von Eszter Àgnes Szabó tauchen martialisch ausgerüstete Polizisten in ihren auf den ersten Blick harmlos wirkenden Bildern auf. Scheinbare Dorfidyllen malt auch Csaba Nemes, doch dann erkennt man Brandruinen und verängstigte Menschen. Es geht um einen von Rechtsextremisten verübten Mordanschlag auf Roma.

Das Künstlerpaar Borsos Lörinc setzt sich mit den Themen Terrorismus, Irak-Krieg und Gaza-Konflikt auseinander. "Mask in oval office" zeigt den früheren amerikanischen Präsidenten George Bush am Tag der Bombardierung des Irak. Die Figuren auf dem Bild sind komplett schwarz gemalt, soll heißen: "Politiker sind austauschbar, die Macht, die Aggression nicht", erklären die beiden Künstler.

Auch um die Themen Umwelt und Ökologie geht es in vielen anderen Bildern. Gábor Arion Kudàsz zeigt auf seinen Fotos die Kehrseiten der Wohlstandsgesellschaft und arrangiert Müllberge. Ákos Siegmund zeigt mit seinen hyperrealistischen Fotos die Seelenlosigkeit von Architektur. Experimenteller werden die Arbeiten im Obergeschoss des Leeren Beutels. Mária Chilf fällt auf mit einem Bild von zunächst leeren Gesichtern von Gastarbeitern, die dann von befreundeten Künstlern gefüllt wurden: Kunst gibt dem Individuum wieder ein Gesicht. Oder Ilona Lovas Video-Installation, in der sie alte Hüte im Fluss treiben lässt. Im Hintergrund ertönen Gebete. Eine Erinnerung an ungarische Juden, die in der Donau ertränkt wurden.

Selten war die Kluft zwischen der Qualität zeitgenössischer Kunstproduktion und ihrer internationalen Anerkennung so groß wie bei der ungarischen Kunst-Schau. Eine unbedingt sehenswerte Ausstellung.