Reichertshofen
Kleine Steine hinter großen Mauern

Reichertshofener Mosaikkünstlerin Caroline Jung arbeitet mit inhaftierten Frauen an Projekt

06.03.2018 | Stand 02.12.2020, 16:44 Uhr |

Mosaikkunst aus der Haftanstalt: Caroline Jung (unten Mitte) hat mit inhaftierten Frauen (die natürlich nicht aufs Bild dürfen) alles für ein Frauenzimmer geschaffen - mit vielen bunten Steinchen. - Fotos: privat

Reichertshofen (ok/cj) Caroline Jung ist bekannte Mosaikkünstlerin - über die Grenzen von Reichertshofen hinaus. Doch nun durfte sie etwas realisieren, das sogar für sie etwas ganz Neues war: Mit inhaftierten Frauen hat sie Kunstobjekte geschaffen.

Jung erinnert sich gerne an die Arbeit hinter hohen Mauern: "Es sollte ein ,Frauenzimmer' in Mosaiktechnik entstehen. Durch die Idee der Kunstlehrerin Kerstin Weger aus der Justizvollzugsanstalt in Augsburg ging meine Mosaikreise ganz neue Wege." Natürlich konnte sich Jung vorstellen, mit inhaftierten Frauen an einem Kunstprojekt zu arbeiten. "In einem ersten Gespräch erzählte mir Weger von ihrer Idee - das ,Frauenzimmer' sollte in Aichach aber für das Sisi-Schloss gestaltet werden."

Die Justizvollzugsanstalt ist über 100 Jahre alt und wurde damals auch als Gefängnis gebaut. Aufgrund der dicken Mauern hatte Jung angenommen, es wäre ein Kloster gewesen. "Aber die netten Justizbeamten am Empfang erklärten mir nach den Sicherheitsbelehrungen, dass es immer schon ein Gefängnis gewesen ist."

Neben der Frauenabteilung mit über 400 Plätzen gibt es einen deutlich kleineren Bereich mit rund 100 Plätzen für Männer, die dort jedoch nur kürzere Haftzeiten verbüßen. Die berühmtesten Inhaftierten waren Ingrid van Bergen, Vera Brühne und Brigitte Mohnhaupt.

Mit zehn Frauen - im Alter von Mitte 20 bis etwa 50 startete das Projekt ,Frauenzimmer'. "An meinem ersten Tag ging ich sehr neugierig, aber auch mit einer großen Ehrfurcht durch die ersten Türen der Haftanstalt. Ich wurde von der Kunstlehrerin abgeholt und es schien mir, dass wir durch viele, viele Gänge liefen. Rechts und links, Tür an Tür, Gefängniszellen. Manche standen offen und ich schaute in enge Räume, das Fenster ganz weit oben und die Ausstattungen sehr spartanisch. Ein paar Frauen standen vor den Türen und musterten mich mit neugierigen Blicken."

Das "Atelier", ein Kunstraum zum Werken, befand sich im Keller. Nach einer kurzen Einführung wurde besprochen, wie all das, was in ein "Frauenzimmer" gehört, mit Mosaikkunst gestaltet werden soll: Spiegel, Hocker, Schuhe und BHs. "Wir fingen auch gleich an", erinnert sich Jung. "Ich hatte eine große Auswahl an Fliesen und Steinen mitgebracht, und die Teilnehmerinnen konnten aus einer großen Fundgrube schöpfen." Die Frauen redeten größtenteils untereinander, ab und zu kamen Fragen an Jung - über ihre Tätigkeit und woher sie denn komme. Jung: "Sie haben sich sogar bedankt, dass ich mir die Zeit nahm, einmal in der Woche von Reichertshofen nach Aichach zu fahren, um mit ihnen zu arbeiten." Natürlich war Jung nicht nur auf das Thema gespannt, sondern auch auf die Frauen: "In jeder steckt eine Künstlerin." Außerdem wollte Jung wissen, wie sich die Frauen engagieren, denn kaum jemand wird die Ausstellung sehen, keine der Künstlerinnen wird eines der Kunstobjekte für sich beanspruchen dürfen.

"Ganz am Ende durften sie ein kleines Teil für sich selbst herstellen, das aber während der Haftzeit in der Asservatenkammer verbleibt", erzählt Jung. Insgesamt war die Reichertshofenerin sieben Wochen nachmittags in Aichach, an einem Samstag war sie zusätzlich mehrere Stunden im Einsatz. "Man konnte es nach den ersten Stunden schon ahnen, wie toll alles werden würde. Wir schafften viele Schuhe und Dessous, was besonders auch dem Engagement von Kerstin Weger zu verdanken ist." Jung führte auch manch beeindruckendes Gespräch: "Als ich mit einer der Frauen den riesigen Spiegel verfugte, erzählte sie mir, dass sie vielleicht bald einen Antrag auf Verkürzung der Haftzeit stellen kann, wegen guter Führung. Auf meine Frage, wie lange sie denn hierbleiben muss, sagte sie: ,Ich habe lebenslänglich bekommen.' In diesem Moment musste ich ziemlich schlucken, und als ich abends nach Hause kam und mein Mann scherzhaft meinte: ,So, haben sie dich wieder entlassen', konnte ich nicht darüber lachen."

Nach den ersten Kunstprojekten wurde Jung nochmals eingeladen - für ein Projekt mit Jugendlichen. Mit noch mehr Spiegeln und Dekoschuhen aus Holz sowie einem Tisch und Hockern. Auch hier erkannte Jung künstlerisch begabte junge Menschen. "Ich hatte den Eindruck, dass sie sich auf mich freuten und das Mosaiklegen Spaß macht. Das zeigten in meinen Augen auch die schönen Werke." Die Reichertshofenerin machte die Erfahrung, dass das, was "draußen" vor sich geht, die jungen Menschen wenig interessiert. "Das Leben geht an ihnen für einen gewissen Zeitraum vorbei. Die meisten gehen in die Schule und versuchen, ihren erfolgreichen oder qualifizierten Mittelschulabschluss zu bekommen und eventuell auch eine Ausbildung innerhalb der JVA zu machen."

Im Dezember des vergangenen Jahres gingen die künstlerischen Tage in Aichach zu Ende, im Herbst dieses Jahres sollen die Ergebnisse in einer Kunstausstellung vom 15. bis 24. November im Sisi-Schloss in Unterwittelsbach gezeigt werden. "Vielleicht sehe ich dann einige von ihnen wieder."

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