Zu dem Artikel von Andreas Spreng (EK vom 24. April) und dem Leserbrief von Dieter Oberbeck (EK vom 11. Mai) zu den Vorfällen in den letzten Kriegstagen 1945 in Zell an der Speck:Da beide Autoren auf meine Untersuchungen hinweisen, möchte ich einige Details klarstellen.
Die Untersuchungen waren anfänglich sehr schwierig, sie erstreckten sich über einen sehr langen Zeitraum, und auch mein Bild von den Vorgängen musste mehrmals revidiert und erweitert werden. Die offiziellen Dokumente aus den USA waren leicht zu bekommen. Nicht so der direkte Kontakt zu den Soldaten, die in Zell kämpften. Auf viele Briefe antworteten nur drei. Man wollte lieber vergessen.
Mein heutiger Kenntnisstand ist dies: Das Gefecht bestand aus zwei Teilen. Im ersten Teil wurde in mehreren Abschnitten zwischen 17 und 19 Uhr durch die Kavallerie die leichte Flak am Nordrand des Dorfes niedergekämpft. Die amerikanische Infanterie war daran nicht beteiligt. Auf deutscher Seite starben zunächst (oder wurden schwer verwundet) sechs Soldaten. In den Kampfpausen wurden die meisten Geschütze schon verlassen, die Soldaten hatten in den Häusern Schutz gesucht. Als dann noch vor 19 Uhr auch die Letzten der Deutschen ihre Geschütze verließen und auf die Amerikaner zugingen, kam es zu dem Zwischenfall, der für kurze Zeit ein totales Chaos auslöste: Der Hauptfeldwebel der Amerikaner, Ben Bryan, verlässt die Deckung, geht auf die Deutschen zu, um sie in Empfang zu nehmen. Doch plötzlich fällt er um. Man hört auch Schüsse. Beide Seiten sind verwirrt. Die Amerikaner sehen ihren Feldwebel plötzlich tot; sie glauben an einen Betrug, so wie sie es von General Patton gelernt hatten: Seid immer wachsam mit den Deutschen, die sind hinterhältig, einer ergibt sich, der andere bleibt in Deckung und erledigt euch aus dem Hinterhalt.
So verhalten sie sich dann auch. Sie sind wütend, beginnen auf die Soldaten zu schießen, die sich ergeben wollten. Diese versuchen zu entkommen und werden so "auf der Flucht" erschossen. Das sind etwa vier oder fünf der Deutschen. Andere sind dabei auch entkommen. Der amerikanische Leutnant verliert nun für kurze Zeit die Kontrolle über seine Soldaten. Es werden nun auch Soldaten, die sich in Sicherheit wähnen, aus den Behelfsheimen geholt und vor der Tür erschossen; es sind vier oder fünf, darunter zwei 16-Jährige. Die Amerikaner kennen keine Gnade. Auch Tote werden noch einmal erschossen. Man will sicher sein, dass hier niemand mehr aus dem Hinterhalt gefährlich werden kann.
Zu diesem Zeitpunkt hatte niemand erkannt, dass Ben Bryan durch den Feuerstoß eines MGs ehemaliger Luftwaffensoldaten, vom Waldrand am Mühlberg, den Tod fand. Der Helm Bryans zeigt auf der linken Seite Spuren von vier MG-Geschossen, von denen zwei tödlich waren.
Fünfzig Jahre später erklärt Leutnant Engle, dass er all das, was in Zell geschehen ist, sehr bedauere, glaubt aber immer noch, dass Bryan aus der Flakstellung heraus, durch die Heimtücke eines Deutschen, getötet wurde.
Die Vorgesetzten Engles wollen das alles nicht wahrhaben; sie ziehen Engle mit seiner Einheit sofort aus Zell ab. Für den Todesort Bryans wird offiziell auch nicht Zell, sondern Pappenheim angegeben.
Engles Einheit wird nun durch eine ähnliche Einheit unter Leutnant Thoelke ersetzt. Gleichzeitig mit ihr kommt jetzt auch ein Zug Infanterie nach Zell, die vorher, trotz Aufforderung, kein Interesse hatte, sich am Kampf in Zell zu beteiligen. So beginnt nun der zweite Teil des Gefechtes, bei dem der deutsche Feldwebel Max Rauch bei der Gefangennahme erschossen wird, nur weil er die Hände für kurze Zeit senkt. Wenig später wird der ehemalige Luftwaffensoldat Lange nahe der Zeller Mühle mitten in einer Gruppe von Zivilisten erschossen, weil er der Bachbrücke zu nahe kommt und ein Amerikaner einen Fluchtversuch vermutet.
Einige der ehemaligen Luftwaffensoldaten am Waldrand eröffnen darauf das Feuer, weil sie sich sagten: Wir können uns das doch nicht gefallen lassen, dass die nun auch mitten in eine Gruppe von Zivilisten schießen. Die Amerikaner erwidern das Feuer. Dabei wird der Feldwebel Weismann getötet. Andere werden verwundet und ziehen sich zurück.
Thoelke verlässt mit seinen Leuten Zell und geht nach Egweil. Dort kommt es abends zu einem Gespräch, bei dem die Vorgänge in Zell schon diskutiert und deren Richtigkeit und Notwendigkeit angezweifelt werden.
Bleibt die Frage nach der Schuld für das ganze Unheil. Es gibt hier keine Schuld. Es gibt nur Ursachen. Die eine ist, dass die Deutschen sich am Vortag nicht ein paar Kilometer weiter zurückgezogen haben und schon in Zell Station machten. Die andere ist, dass die Amerikaner sich an diesem Tag schon kurz nach Mitternacht auf den Weg machten und den Deutschen nachzogen, die Gegner also schon um die Mittagszeit aufeinandertrafen. Und dies durch Zufall. Wenn man aber doch nach Fehlern suchen will, so wird man bei Leutnant Engle fündig. Er hatte keinen Kampfauftrag; er sollte die Infanterie unterstützen und den Feind nur suchen, sollte feststellen, ob die Wegkreuzung bei der Speckmühle feindfrei ist. Dass dies nicht so war, wusste er schon um die Mittagszeit. Sein Vorstoß nach Zell war sein eigener Entschluss, war unnötig und deshalb unterstützte ihn die Infanterie auch nicht. Der Führer der Infanterie, ein Hauptmann Wantz, war als guter Truppführer bekannt: Warum sollte er das Leben seiner Leute für ein paar Häuser riskieren, die er am nächsten Morgen ohnehin feindfrei finden würde.
Die wesentlichen Fragen für die Vorgänge in Zell sind meines Erachtens damit alle geklärt. Der Gemeinde Nassenfels bin ich Dank schuldig, dass sie auf meine Bitte vor ein paar Jahren auch eine Gedenktafel für Ben Bryan aufgestellt hat. Auch er ist Opfer; auch er hatte eine Mutter und Geschwister, die auf seine Heimkehr hofften.
Prof. Dr. Ludwig Hartmann
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