München
"Keine Experimente"

Die schwarz-orange Koalition in Bayern ist 100 Tage im Amt - eine erste Bilanz

13.02.2019 | Stand 23.09.2023, 5:57 Uhr |
Wunschpartner: Ministerpräsident Markus Söder (CSU, rechts), und Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger beim Neujahrsempfang der bayerischen Staatsregierung in der Residenz. − Foto: Balk/dpa-Archiv

München (DK) Zum zweiten Mal seit 1966 ist die CSU in Bayern auf einen Koalitionspartner angewiesen. Von 2008 bis 2013 war es die FDP, seit der Landtagswahl im vergangenen Jahr sind es die Freien Wähler.

100 Tage ist die schwarz-orange Koalition nun im Amt. Am 6. November wurde Markus Söder mit den Stimmen von CSU und Freien Wählern zum neuen bayerischen Ministerpräsidenten gewählt. Die gemeinsame Regierung, mit Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger als Vizeministerpräsidenten und Wirtschaftsminister, wurde hingegen erst am 12. November vereidigt - 100 Tage regieren wird die schwarz-orange Koalition also erst kommende Woche am Mittwoch.

So oder so: Bis jetzt wirkt die Koalition der beiden bürgerlichen Parteien recht sachorientiert - große Streitigkeiten sind nicht nach außen gedrungen. Mit einer Ausnahme: Beim Streit um die im Koalitionsvertrag vereinbarte Streichung von drei Donau-Flutpoldern steht vor allem Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger im Fokus der Kritiker auch aus der CSU.

Aber sonst? Regierung steht, Haushalt ist verabschiedet, die wesentlichen Punkte des Koalitionsvertrages und einige der Söder-Versprechen aus dem Wahlkampf werden mit Finanzmitteln hinterlegt und so abgearbeitet. In aller Öffentlichkeit ausgetragene ideologische Grabenkämpfe zeichnen sich (noch) nicht ab. "Wir arbeiten sehr effektiv und ohne Streit den umfangreichen Koalitionsvertrag ab", bestätigte Aiwanger gestern gegenüber dem DONAUKURIER und der "Passauer Neuen Presse". Als Themen nannte er unter anderem "kostenfreie Kinderbetreuung, Abschaffung Straßenausbaubeiträge, mehr Lehrer und Polizisten, Energiewende und vieles mehr". Aiwanger: "Wichtig ist, die Gesellschaft zusammenzuhalten und keine ideologische Spaltung zuzulassen, wie sie in vielen anderen Bundesländern zum Schaden der Bürger offen zutage tritt."

Die "ideologische Spaltung", so räumte Ministerpräsident und CSU-Chef Söder gestern ein, war ein Stück weit auch das Schreckgespenst der CSU, als nach der Landtagswahl 2018 klar war, dass man auf einen Koalitionspartner angewiesen sein wird. Die Grünen, die bei der Wahl ausgesprochen stark abgeschnitten hatten und sich bereits am Ziel einer Regierungsbeteiligung in Bayern gewähnt hatten, sprachen vom "Besten aus zwei Welten", wenn sie eine Koalition aus Grünen und CSU beschrieben. Doch Söder zeigte sich skeptisch - und sieht seine Skepsis heute bestätigt: "Das Beste aus zwei Welten, das wäre auf Dauer schwer gewesen". Jeden Tag, so vermutet er, wäre man auf neue Grenzen gestoßen.

Mit den Freien Wählern sei das ganz anders, so Söder. Wichtig sei ihm die Stilfrage gewesen - und "den Stil finde ich sehr gut", sagt er heute. Mit den Freien Wählern sei man eine bürgerliche Koalition eingegangen, man teile "gemeinsame Überzeugungen", und es handle sich um zwei bayerische Parteien. So sei es jetzt auch nicht der kleinste gemeinsame Nenner, nur einen Koalitionsvertrag Punkt für Punkt abzuarbeiten, denn es "kommt dauernd Neues". Da sei der Koalitionsvertrag eine "Basis", die aber nicht ersetzen könne, wenn es menschlich oder bei den Überzeugungen nicht stimme.

Schwarz-Orange jedenfalls, so Söder, bedeute "keine Experimente" und sei "eine gute Geschichte". Und Söder wäre nicht Söder, wenn er nicht einen kleinen Kick mitliefern würde: Die CSU müsse ja bei aller Übereinstimmung nicht gleich mit den Freien Wählern fusionieren... Im Übrigen, so Söder, zeigten aktuelle Umfragen jedenfalls eine steigende Zufriedenheit mit der Arbeit der Staatsregierung.

Ob es bei Friede, Freude und Einigkeit bleibt, ist angesichts der anstehenden Herausforderungen eine interessante Frage: Die konjunkturellen Daten trüben sich auch im prosperierenden Bayern etwas ein. Die Steuereinnahmen werden in Zukunft womöglich nicht mehr gar so üppig sprudeln. Und der Bayern-Haushalt, ohnehin strapaziert von vielen teuren Projekten der vergangenen zehn Jahre unter Ministerpräsident und CSU-Chef Horst Seehofer, könnte zunehmend in Bedrängnis kommen. Sowohl die CSU als auch die Freien Wähler werden sich spätestens zur Kommunalwahl 2020 herausgefordert sehen, den Wählern zu zeigen, wer der wahre Vertreter der Interessen des ländlichen Raums ist - ebenso, wie beide ihre Kompetenz in den Metropolen werden stärken wollen.

Die erste Runde im Polderstreit entschieden jedenfalls die Freien Wähler für sich: Bei der Wahl des neuen Landrates im Landkreis Neuburg-Schrobenhausen (der bisherige Landrat ist jetzt Staatssekretär in Aiwangers Wirtschaftsministerium), wo einer der drei gestrichenen Polder hatte entstehen sollen, siegte der Freie-Wähler-Kandidat knapp vor dem CSU-Kandidaten. So viel sachliche Einigkeit kann sich die CSU womöglich auf Dauer nicht leisten. "Ich gehe davon aus, dass vor allem die Kommunalebene der CSU Anfang 2020 deutlich nervöser werden und die Parteiführung das früh zu spüren bekommen wird", erwartet Ursula Münch von der Politischen Akademie in Tutzing.

Alexander Kain

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