Eichstätt
"Kein Jude mehr in Eichstätt"

08.11.2010 | Stand 03.12.2020, 3:29 Uhr

Der jüdische Friedhof in Pappenheim. Dieser heute ältere Teil des Friedhofs wurde nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgebaut, wobei die Grabsteine willkürlich positioniert wurden. - Fotos: hr

Eichstätt (EK) Die Nationalsozialisten hatten es geschafft: Mit der Reichspogromnacht vor 72 erlosch das letzte jüdische Leben in Eichstätt. Noch am Tag, nachdem in der Nacht in Deutschland die Synagogen brannten und in der Altmühlstadt auf das letzte Haus in jüdischem Eigentum Anschläge verübt worden waren, musste die Familie Schimmel, die bis zuletzt ausgeharrt hatte, mit einem Auto der Firma Jägle Eichstät verlassen.

Während Teile der Familie Schimmel letztlich auswandern konnten, gelang dies der Mehrheit der zuvor noch in der Stadt ansässigen Mitbürger jüdischen Glaubens nicht: Von den 1933 bis 1938 nach Berlin, Frankfurt, München, Nürnberg und Würzburg verzogenen Eichstätter Juden kamen die meisten in Theresienstadt oder in Vernichtungslagern im Osten um.
 

Abgezeichnet hatten sich die gesellschaftliche Ächtung und die Gewalt gegen die jüdischen Mitbürger in Eichstätt schon lange vor der Reichspogromnacht, auch wenn die Eichstätter und auch das Volk auf dem Lande zu den Juden weiterhin wirtschaftliche Beziehungen pflegten.

Immer wieder beschwerte sich denn auch die Kreispropagandaleitung darüber, dass trotz Verbots der Handel mit den Juden nicht eingeschränkt werde und die Bevölkerung Geschäfte mit ihnen mache: "Viele Landbewohner gehen aber nach wie vor zu Juden und begründen dies auf Vorhalt damit, daß sie bei Juden gegen Bezahlung ihre Produkte absetzen können, während christliche Käufer (Lagerhäuser und Genossenschaften) nur schwer aufnehmen. Dafür ein interessantes Beispiel: Die Löwenbrauerei München (Generaldirektor Jude Dr. Hermann Schülein) lehnte den Ankauf eines größeren Postens Eichstätter Braugerste ab, nahm aber denselben Posten vom Juden Schimmel in Eichstätt an. Als Entgegnung auf diesen Vorgang hat Propagandaleiter Bürgermeister Dr. Krauß den Bezug von Löwenbräubier für städtische Anstalten verboten. Ein Jude, dem seine Wohnung in einem städtischen Gebäude gekündigt wurde, ist von Eichstätt verzogen. Die Juden hier verhalten sich im ganzen genommen still, sie tun aber ungefähr so, als wenn ihnen nichts passieren könnte", heißt es in einem Bericht der NSDAP-Kreisprogagandaleitung aus dem Jahr 1934.

Letztlich aber dürfte der Bevölkerung das Schicksal der Juden ebenso gleichgültig wie ihre Beziehung von geschäftlichem Interesse geprägt gewesen sein.

Doch die Propaganda der NSDAP zeigte immer stärkere Wirkung. Im Juli 1935 heißt es dass es im Kreis Eichstätt "keine Ortschaft" gebe, "die nicht ihre Judentafel hat". Und weiter: "In Eichstätt sind die Juden, dank der immer wiederholten Aufrüttelung der Bevölkerung, bald in der Einzelzahl. Einer hat sein Geschäft in diesem Monat geschlossen, zwei andere wurden wegen frecher Redensarten in Schutzhaft gesetzt, hoffentlich für längere Zeit." Am 30. November 1938, kurz nach der Reichspogromnacht, schließlich, kann die Leitung vermelden: "Bei der Judenaktion war das Volk restlos in der Hand der Partei."

Von der Kirche erhielten die Juden so gut wie keine Unterstützung. Selbst die schärfsten klerikalen Widersacher, die in Eichstätt eine von den Nationalsozialisten immer wieder beklagte äußerst starke Stellung inne hatten, sorgten sich mehr um die Seelsorge ihrer Gläubigen, als um ihre jüdischen Mitbürger.

Dompfarrer Johannes Kraus (der "aktivste und gefährlichste politisierende Geistliche der Diözese Eichstätt", so der Regierungspräsident Mittelfrankens) hat sich expressis verbis nur einmal zur Judenfrage geäußert und dabei klar verurteilt, die "Juden als von Gott verworfen oder verflucht" darzustellen (Sonntagspredigt 31. Januar 1937). Allerdings geschah dies im Zusammenhang mit der Verleumdung der Geistlichkeit durch einen angeblichen Priester in einem Artikel im "Der Stürmer" mit der Aussage "Warum ich den Juden hasse").

Kraus dürfte allerdings, so schreibt Ludwig Brandl (Widerspruch und Gehorsam, Der gerade Weg des Eichstätter Dompfarrers Johannes Kraus im Dritten Reich, 1995) eine ähnliche Haltung dazu gehabt haben wie seine engsten Gleichgesinnten im Kampf gegen die nationalsozialistische Diktatur. Zu denen gehörte unter anderem der Pollenfelder Geistliche Schmalzl, der sich schon 1934 dezidiert gegen die nationalsozialistische Rassenlehre gewandt hatte: Da alle Menschen von Adam und Eva abstammten, hatte Schmalzl in einer Katechesestunde erklärt, seien alle gleich. Alle seien Kinder Gottes und hätten eine unsterbliche Seele. Die Entstehung der Rassen sei eine Folge verschiedener Umweltbedingungen. Ähnlich hatte er zu einer anderen Gelegenheit betont, das Heil komme nicht vom nordischen Menschen, sondern ex oriente. Jesus sei Jude gewesen: "Wir wissen es nicht, welche Aufgabe dem auserwählten Volke im Heilsplan Gottes noch einmal zukommt."

Für Eichstätts Juden, deren erster schriftlicher Beleg auf das Jahr 1292 zurückgeht und die mit Unterbrechungen immer wieder in der Stadt lebten, war ein Leben in der Stadt nach und nach unmöglich geworden. Gründe für ihren Weggang waren, wie Angela Hager und Cornelia Berger-Dittscheid in "Mehr als Steine – Synagogen-Gedenkband Bayern, Bd. I, 2007, schreiben, "wirtschaftliche Repressionen und zunehmende gesellschaftliche Ächtung".

Als Beispiel führen sie den Niedergang des Kaufhauses Guttentag am Domplatz an, für den es bereits in den 20er Jahren erste Vorboten gab. Ende 1922 wurde die Fassade des Geschäftes mit Hakenkreuzen beschmiert. Guttentag gab daraufhin in der Ausgabe der Eichstätter Volkszeitung vom 2. Januar 1923 folgende Anzeige auf: "In der Nacht vom 30. auf 31. Dezember 1922 wurde mein Haus mit Hackenkreuzen besudelt. Für dauernde Erinnerung an die nationale Gesinnung der Täter bleiben die Hackenkreuze bestehen. Kaufhaus Guttentag."

Sohn und Schwiegersohn von Salo Guttentag, die 1931 gemeinsam eine Offene Handelsgesellschaft gegründet hatten, wurden am 8. Juli 1935 verhaftet. Im Juli 1936 verließen die Familien Guttentag und Freimann die Stadt.

Zum Zeitpunkt des Novemberpogroms 1938 lebten nur noch die jüdischen Geschwister Schimmel, gebürtig aus Pappenheim, in Eichstätt. Am 10. November 1938 wurden die Scheiben des letzten, noch nicht verkauften Hauses der Familie Schimmel in der Pfahlstraße 17 eingeschlagen und die Haustüre aufgebrochen. Ein Eichstätter Polizist zwang Albert Schimmel mit ihm zum Notar zu gehen und sein Haus zu einem Spottpreis zu verkaufen. Familie Schimmel floh noch am Abend des 10. November nach Fischach: "Seitdem wohnten in Eichstätt bis Kriegsende keine Juden mehr. Die Familie wanderte von Augsburg nach Uruguay aus."

Wilhelm Schimmel war bereits am 6. Oktober 1938 in Eichstätt verhaftet worden und wurde am 5. Mai 1939 vom Landgericht Eichstätt wegen "Devisen-Vergehen" zu dreieinhalb Jahren Zuchthaus und 72 000 Reichsmark Geldstrafe verurteilt. Bei der Entlassung am 28. Juni 1942 wurde er der Gestapo-Leitstelle Nürnberg-Fürth überstellt und gilt seitdem als "verschollen".

Die Eichstätter Juden, die seit 1872 als "Israelitische Bet-Gesellschaft" organisiert waren, wurden letztlich wie die Thalmässinger Juden von Nürnberg aus betreut. Ihre Toten allerdings begruben die jüdischen Eichstätter auf dem Friedhof von Pappenheim, (wobei die nach Eichstätt umgesiedelten Thalmässinger Juden den in Thalmässing benutzten).

Auch die Pappenheimer Juden haben eine weit in das Mittelalter zurück gehende Geschichte (die erste Erwähnung eines dort lebenden Juden geht auf das Jahr 1314 zurück – auch wenn es Vermutungen über weitaus frühere jüdische Ansiedlungen gibt, so Angela Hager, Cornelia Berger-Dittscheid und Hans-Christof Haas in dem zweiten Band Mehr als Steine, 2010.

Der Pappenheimer Friedhof zählt mit der ersten urkundlichen Erwähnung aus dem Jahr 1594 neben dem von Georgensgmünd zu den ältesten erhaltenen in Bayern. Unter anderem Juden aus Treuchtlingen, Ellingen, Markt Beroltzheim, Dittenheim, Weimersheim und Regensburg, aber auch schwäbische Juden aus Monheim, Flotzheim und Ederheim begruben hier zeitweilig ihre Toten. Auch die Eichstätter Juden fanden hier ihre letzte Ruhestätte.

Die noch vorhandenen Reste des Pappenheimer Judenfriedhofs sind nur noch ein Bruchteil der einstigen Anlage, die sowohl links als auch rechts der Straße in Resten noch vorhanden ist. In der Hochzeit jüdischen Lebens (1820 bis 1870) waren in Pappenheim laut Archivar Hans Navratil über 200 Juden angesiedelt. Auch dort mussten die Juden Repressalien und gesellschaftliche Ächtung erfahren. Und bereits am 1. Juli 1936 meldete der Bürgermeister, Pappenheim sei seit dem 1. Juli "judenfrei". Zuvor, Anfang 1936, waren die Geschwister Berta, Mathilde und Ludwig Schimmel zu ihren Brüdern nach Eichstätt übergesiedelt.

Nach dem gegenwärtigen Stand der Forschung sind 15 Juden, die in Pappenheim geboren wurden oder dort längere Zeit lebten, in den Konzentrationslagern und Ghettos der Nationalsozialisten ums Leben gekommen. Von weiteren 13 jüdischen Pappenheimern ist das Schicksal unbekannt.