Berlin
Kampf gegen Clan-Kriminalität: Justiz stellt Forderungen

24.10.2019 | Stand 02.12.2020, 12:46 Uhr
Einsatzkräfte stehen bei einem Einsatz in Berlin-Neukölln. - Bei einer Konferenz beraten Experten in der Bundeshauptstadt über Strategien gegen kriminelle Mitglieder von arabischstämmigen Clans. −Foto: Paul Zinken/dpa

Im November 2018 beschloss der Berliner Senat einen Fünf-Punkte-Plan, um stärker gegen kriminelle Mitglieder arabischer Großfamilien vorzugehen. Die Polizei sieht nun erste Erfolge - aber die Ermittlungen sind weiter sehr schwierig.

Die zahlreichen Razzien und verstärkten Ermittlungen gegen kriminelle Clans in Berlin zeigen nach Einschätzung von Politik und Polizei erste Erfolge.

Die Staatsanwaltschaft betonte hingegen bei einer Berliner Konferenz über Strategien gegen die arabischstämmigen Clans, dass knappes Personal bei der Justiz, die Macht der Großfamilien und fehlende Möglichkeiten der Überwachung weiterhin Probleme bereiteten. Polizeichefs aus dem Bund sowie Berlin, Bremen, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen bekräftigten, dass die deutschlandweite Zusammenarbeit der Ermittler nun weiter ausgebaut werde, um die Clans endlich zurückzudrängen.

Der Chef des Bundeskriminalamtes (BKA), Holger Münch, versicherte: „Wir müssen noch stärker als bisher einen gemeinsamen Schwerpunkt auf die Bekämpfung der Clan-Kriminalität legen.“ Es müsse vergleichbare Lagebilder und einheitliche Strategien geben. „Wir müssen das, was wir tun, noch besser vernetzen.“ Etwa die Vermögensabschöpfung: „Es gilt, die Täter dort zu treffen, wo es ihnen auch wirklich wehtut.“ Münch räumte ein, dass Deutschland bei der Einziehung von kriminellem Vermögen im Vergleich etwa zu Italien noch sehr schlecht abschneide.

Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik wies auf die ersten Erfolge des gemeinsamen Vorgehens der Berliner Behörden hin. „Alles ist wirksam: man fühlt sich massiv gestört.“ Der Berliner Senat hatte vor knapp einem Jahr einen Fünf-Punkte-Plan gegen die Clans beschlossen.

Kritische und drängende Einschätzungen kamen von Oberstaatsanwalt Sjors Kamstra, Berlins oberstem Ermittler gegen organisierte Kriminalität. Er warnte vor dem weiterhin großen Einfluss der sieben bis acht Berliner Clans, die besonders viele kriminelle Mitglieder hätten. „Sie vermitteln die Aura, dass ihnen der Staat nichts kann.“ Das führe zu einer „Beeinträchtigung des objektiven und subjektiven Sicherheitsgefühls der Bevölkerung“.

Durch Bedrohung oder Bestechung seien die Clans „inzwischen in der Lage, nahezu jeden Zeugen zu manipulieren“. Er kenne sogar Fälle, bei denen die Opfer von Clans Schwierigkeiten hätten, einen Anwalt zu finden, weil selbst manche Rechtsanwälte Angst hätten.

Kamstra beklagte, dass es der Justiz an Personal fehle. „Wir warten teilweise monate- und jahrelang auf die Auswertung sichergestellter Laptops.“ Die Politik führe lange Diskussionen über das Gesetz zur Vermögensabschöpfung oder eine Ausweitung der Videoüberwachung. Um an die Clanmitglieder heranzukommen, gebe es oft nur die Möglichkeit des Abhörens - das sei meist aber juristisch kaum möglich, obwohl die Kriminellen ihre Vorhaben in Wohnungen, Autos oder Shisha-Bars besprechen würden. Nötig seien auch die Videovernehmung von Zeugen und mehr Maßnahmen zum Zeugenschutz. Kamstra bekräftigte: „Es ist Sache der Politik, uns geeignete Ermittlungsmethoden an die Hand zu geben. Damit tut sie sich zuweilen schwer.“

Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) erklärte, seit Beginn des Jahres habe es 237 Polizeieinsätze in der Hauptstadt gegen Clans gegeben.

Auch am Donnerstag gab es eine Razzia in vier Bundesländern, darunter Berlin. Die Polizei ging gegen einen libanesischen Familienclan wegen Schleuserkriminalität vor. Dabei seien zwei Haftbefehle vollstreckt worden, teilte die Staatsanwaltschaft Trier mit. Gegen Mitglieder des Familienclans und weitere Personen werde unter anderem wegen des gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern ermittelt.

Eine Rolle spielte bei der Konferenz auch die internationale Verstrickung der Clan-Kriminalität. Der Europol-Chef für den Bereich der organisierten Kriminalität (OK), Jari Matti Liukku, nannte dafür zahlreiche Beispiele, besonders beim Drogenhandel, der Geldwäsche und den Verbindungen in die Wirtschaft. Die Strukturen reichten bis Südamerika und Asien. Liukku zeigte aber auch auf, dass Deutschland sich bei den großen OK-Ermittlungsverfahren vor allem auf Drogenkriminalität konzentriere, während es sonst bei der Polizei in Europa oft um kriminelle Finanzgeschäfte gehe. Hier gebe es in Deutschland noch deutliche Defizite.

Bundesweit galten im vergangenen Jahr 45 große Ermittlungsverfahren im Bereich der organisierten Kriminalität den Clans. Das waren etwa acht Prozent aller großen OK-Verfahren, wie aus dem jüngsten BKA-Lagebild hervorgeht. Dabei ging es nicht nur um Mitglieder arabischstämmiger Familien, sondern auch um Großfamilien aus dem früheren Jugoslawien und der Türkei.

dpa