Ingolstadt
Jetzt ist so richtig Wahlkampf

Auch im Zeitalter des Smartphones setzen die Parteien voll auf Plakate - Misstöne beim nächtlichen Start

02.02.2020 | Stand 23.09.2023, 10:19 Uhr
Unbesungene Helden des Wahlkampfes: ÖDP-Listenkandidat Wolfgang Meyer (großes Bild) hängt in der Nacht ein Plakat in der Münchener Straße auf. Auch FDP-Stadtrat Karl Ettinger war unterwegs (oben), unter anderem an der Westlichen Ringstraße. Florian und Julian Soffner (unteres Bild) plakatierten in der Haunwöhrer Straße. −Foto: Eberl

Ingolstadt - Die sozialen Netzwerke sind längst ein wichtiges Wahlkampfinstrument.

Doch immer noch setzen die Parteien mit Ausnahme der Jungen Union auch auf die Macht der Plakate. Deswegen schwärmten in der Nacht auf Samstag auch wieder die Kandidaten und ihre nicht minder engagierten Helfer aus, um sich die besten Plätze im Stadtgebiet zu sichern - wobei sich wie fast zu erwarten viele nicht an die neu von der Stadt erlassenen Regeln hielten. Wir begaben uns auf die Suche nach den Plakatierern und fanden fast alle - bis auf die Linke, die aber ganz offensichtlich ebenfalls unterwegs war. Eindeutiger Beweis ist, neben den hängenden Plakaten, ein Video, das OB-Kandidat Christian Pauling bei seiner nächtlichen Plakatierungsfahrt zeigt - auf dem Lastenfahrrad.

Die Leiter ist ein nicht zu unterschätzendes Utensil, wenn man Plakate anbringen will. Julian und Florian Soffner, Söhne der scheidenden UDI-Fraktionsvorsitzenden Dorothea Soffner, haben eine dabei. Sie sind im Südwesten unterwegs. Im Auto liegen gut 100 Plakate - DINA0, wie sie praktisch alle Parteien verwenden. Julian Soffner ist erst 20 Jahre alt, aber schon seit zwei Jahren bei den UDI, also ein Gründungsmitglied. Sein Bruder ist 18 und seit ein paar Monaten dabei. Wahlkampferfahrung bringen beide schon mit. "Ganz ohne Übung geht's nicht", sagt Florian und befestigt ein weiteres Plakat, das zwei Listenkandidaten für den Südwesten zeigt, an einem Laternenmast mit Kabelbindern. Dann geht die Fahrt schon weiter zum nächsten Standort - 100 Meter entfernt, so will es die Verordnung.

In der Maximilianstraße auf Höhe des Schulzentrums Südwest ist derweil Norbert Wagner damit beschäftigt, ein weiteres Plakat mit dem Konterfei von Christian Scharpf, dem OB-Kandidaten der SPD, aus dem Auto zu ziehen. Die Plakate seien umweltverträglicher als die früheren, sagt Wagner. Und auch mit dem darauf abgebildeten Kandidaten sei er mehr als zufrieden. "Es schaut ja gar nicht so schlecht aus, dass wir in die Stichwahl kommen - und dann schaun mer mal. " Wagner, 38, hat schon etliche Wahlkämpfe mitgemacht und schon so manche Enttäuschung erlebt. Aktiv ist er seit 20 Jahren dabei, mit seinem Vater - dem SPD-Urgestein Rudi - hat er sogar schon als Kind Plakate geklebt. Kommunalpolitik ist oft auch Familiensache.

Auch der Kreisvorsitzende und jetzige OB-Kandidat der Freien Wähler, Hans Stachel, hat einen Vater, der ihn in die Politik eingeführt hat: Erst in der laufenden Stadtratsperiode machte Johann Stachel im Gremium Platz für seinen Sohn. Jetzt ist Stachel junior mitten im Wahlkampf, auch seine Frau ist unterwegs, um Plakate aufzuhängen. "Ich glaube, dass es dazugehört", sagt Stachel, während er an der Westlichen Ringstraße ein weiteres Plakat anbringt, das für ihn wirbt. Der Aufwand sei geringer geworden, meint der FW-Mann. Früher habe man Holzplakate geklebt, die so schwer waren, dass man gar keine große Zahl ins Auto gebracht habe. Da seien die heutigen Hohlkammerplakate deutlich leichter zu handhaben - und viel günstiger. Ein Plakat koste heute etwas über vier Euro.

FDP-Stadtrat Karl Ettinger, der gerade auch an der Westlichen Ringstraße plakatiert, kann Stachel nur zustimmen: Sogar das große DINA0 sei nun erschwinglich. "Für Parteien mit kleinem Geldbeutel ist das eine wunderbare Möglichkeit, Außenseiter bekannter zu machen. Ansonsten würde man die bestehenden Verhältnisse zementieren. " Er werde immer noch auf das Plakat angesprochen, auf dem er als Boxer posiere. Die DK-Forsa-Umfrage sah die FDP lediglich bei 2 Prozent. Ettinger hofft, dass sich - auch mit den Plakaten - noch etwas an diesen Werten ändert. "Wir kämpfen bis zuletzt", sagt er und hängt ein Plakat des OB-Kandidaten Jakob Schäuble auf.

Münchener Straße. Auch die ÖDP ist mit mehreren Teams in der Nacht unterwegs. "Überall, wo wir hinkommen, hängt der Scharpf schon", sagt eine Helferin. Die SPD war schneller - auch weil sie schon vor Mitternacht Plakate angebracht hat. "Aber so ist halt der Wahlkampf", sagt die Frau. Da kann ihr Wolfgang Meyer, Listenplatz 7, nur zustimmen. Es ist sein dritter Kommunalwahlkampf. "Und einer der interessantesten. "

In derselben Straße, in einem alten Wohnmobil, ist ein Team der AfD unterwegs. Die Plakate befestigen die beiden Listenkandidaten Hilmar Sturm und Marina Elenichalatsi sowie Daniel See, Helfer aus dem Landkreis Pfaffenhofen, noch am Boden der Laterne - dann schieben sie diese mit einem Schrubber hoch - deutlich höher, als es die anderen Parteien tun. "Der Verlust ist groß, bei jeder Wahl", sagt See. "Bei der Europawahl sind in einer Nacht sogar 250 Plakate zerstört worden", ergänzt Sturm. Deswegen müsse die AfD immer eine große Zahl an Plakaten in Reserve bereithalten - und möglichst weit oben befestigen.

Ähnlich geht es der CSU, die auch in der Münchener Straße plakatiert - in drei Metern Höhe. "Weil sonst jedes zweite Plakat beschädigt würde", sagt der Ortsvorsitzende und Listenkandidat Stephan Ertl. Trotzdem findet er Plakate als Wahlkampfinstrument sinnvoll. "Der Erfolg ist ja nicht messbar", sagt er. "Aber es ist wichtig, dass man im eigenen Ortsverband mit den eigenen Gesichtern vertreten ist. " Es wisse jeder, wie Oberbürgermeister Christian Lösel aussehe, diese Gewissheit gebe es bei der Liste nicht. Auf den Plakaten posiert nun Lösel zusammen mit den Kandidaten aus dem Bezirk - sowie in allen anderen Bezirken auch. Über eines habe er sich geärgert, sagt Ertl: Als er von der Turmschreiber-Lesung nach Hause gefahren sei, um sich für die nächtliche Wahlkampfaktion umzuziehen, habe er schon überall auf dem Weg Plakate des SPD-OB-Kandidaten gesehen, deutlich vor Mitternacht. "Wir haben das korrekt gemacht. "

Auch Marina Müller (Listenplatz 11) und Merlin Nagel (24) haben sich an die Vorgaben gehalten - anders als viele andere Plakatierer aus ihrer Partei. Erst um Mitternacht sind die beiden jungen Grünen losgezogen. Nach dem Anbringen eines Plakats an der Schlosslände nehmen sie sich eine Laterne an der Auffahrt zur Schillerbrücke vor. "Jetzt fängt der Wahlkampf richtig an", sagt Müller. Mit dem jetzt startenden Haustürwahlkampf werde man die Leute aber noch besser mobilisieren können, meint Nagel. "Das bringt mehr als die Plakate. "

DK



 

Thorsten Stark