Ingolstadt (DK) In der Reihe "Mittagsvisite" des Deutschen Medizinhistorischen Museums widmete sich Alois Unterkircher gestern schwungvoll der Trimm-dich-Bewegung der 70er-Jahre im Kontext der Geschichte. Da durfte der legendäre Max Greger natürlich nicht fehlen.
Um konsequent den Stil jener Zeit zu verkörpern, in der sein Vortrag beginnt, hätte Alois Unterkircher eigentlich in einem giftgrünen Trainingsanzug auflaufen müssen. Oder in einem orangefarbenen - knallig wie die Kacheln der Münchner U-Bahn-Station Marienplatz (aus derselben Ära). Mehr Siebziger geht nicht! In diesem Jahrzehnt erschien ein Werk, das im kulturellen Erbe der Bundesrepublik ganz vorne mitschwingt: Die Platte "Trimm und tanz dich fit!" mit Max Greger, der bayerischen Big-Band-Legende (1926 - 2015). Übertroffen nur vom Nachfolgeralbum "Trimm und tanz dich top-fit" (was für eine Steigerung) aus dem Jahr 1974. Mit diesem Meilenstein der musikalischen Leibesertüchtigung steigt Unterkircher dynamisch in seine erste "Mittagsvisite" ein.
Wie gesagt: Er erscheint nicht in einer der gefürchteten Signalfarben der 1970er, "weil man nicht mit seinem Forschungsgegenstand verschmelzen sollte". Denn der neue Mitarbeiter des Museums, er stammt aus Österreich, ist Wissenschaftler: promovierter Ethnologe. Einer seiner Schwerpunkte: die Sozialgeschichte der Medizin. Da ist der Weg zu Max Greger nicht weit, denn der Musiker hat sich sehr um das Wohlbefinden der Deutschen verdient gemacht, wie er da auf dem Albumcover mit hochgekrempelten Hosenbeinen strahlend auf einer Wiese steht und den Hampelmann gibt, umringt von ebenso pumperlgesund-fitten Menschen in bunt leuchtender Kleidung. "Das signalisiert: Hier geht es um Bewegung für alle, für jedes Alter." Breitensport, den man ohne Aufwand betreiben kann, ganz ohne Leistungsgedanken, abseits der Vereine, erklärt Unterkircher. Die vom Deutschen Sportbund beflügelte Fitness-Bewegung der 1970er-Jahre - Max Greger war ihr beliebtester Turnvater - rief die Deutschen fröhlich zu Bewegung auf. Einfach, weil sie gesund ist.
Auf der Rückseite der LP begegnet Greger seinen Zuhörern dann in ernstem Schwarz-Weiß, an der Seite zweier einst namhafter Sportmediziner, einer ist Hannes Schoberth, von 1966 bis 1974 Arzt der Fußballnationalmannschaft. Dieses Ensemble soll (nach dem Körper) wohl der Volksseele entgegenkommen; der Deutsche mag es ja gerne wissenschaftlich, da er sich immer um seine Sicherheit sorgt. Da schaden Experten nie. Unterkicher: "Hier ist ein Bündnis von Akteuren versammelt."
Eher kindgerecht präsentiert sich die aufklappbare Turnanleitung in der Albumhülle: Strichmännchen zeigen, wie der Körperertüchtigende daheim auf dem Wohnzimmerteppich vor der Stereoanlage zur Musik schwingen muss - besser gesagt swingen, denn es spielt ja Max Gregers Big Band auf -, um Hohlkreuz und Hängeschultern erfolgreich niederzuturnen. "Und eins, zwo, drei, vier", säuselt der Meister persönlich sonor orchestrierend vor jedem Stück ins Mikrofon. Am Ende - Unterkircher spielt es von einem Laptop ein - ruft Greger seiner sicher schwitzenden Zuhörerschaft (jedenfalls in den 70ern) gern mal väterlich zu: "Ja mei, da schnauft's, gell"
In der "Mittagsvisite" im Museum bleiben alle Besucher sitzen; Unterkircher hätte sie natürlich mitturnen lassen. Die Trimm-dich-Welle, erzählt er, steht in der Tradition der Präventivmedizin, die sich seit den 1950er-Jahren entwickelte. Ihr Ziel: Mit Gymnastik den "Zivilisationskrankheiten" vorbeugen, die den modernen Menschen plagen, wenn er den ganzen Tag sitzt, monotone Arbeiten verrichtet und dauernd im Auto hockt. "Der neue Lebensstil führte zu mehr Haltungsschäden und Herz-Kreislauferkrankungen", sagt Unterkircher. Musikgymnastik sollte heilende Kraft entfalten. Das älteste Beispiel ist "Die tägliche Turnstunde" von Eugen Mack, erschienen 1959. Die Übungen, heißt es auf der Single, "eignen sich für beide Geschlechter und können ohne Schaden ganz durchgeturnt werden".
1960 machte sich die Amerikanerin Bonnie Prudden mit ihrer Schallplatte "Keep fit, be happy" (Bleib fit, sei glücklich) um die Leibesertüchtigung verdient. Zu schweißtreibend fiedelnden Streichern kommandiert sie: "Stretch! Push! Stretch! Push! Right! Left! Here we go!"
Die USA beschenkten die Welt in den 80ern schließlich mit der Aerobic-Welle. "Damit beginnt die Kommerzialisierung, aus dem Sporttreibenden wird der Sportkonsument im Fitnessstudio", erzählt Unterkircher. "Hier geht es nicht mehr um Bewegung für alle. Das Ziel ist jetzt der perfekte Körper."
Dann lieber Max Greger.
Artikel kommentieren