Immer weniger Amseln

Tropisches Usutu-Virus breitet sich auch in Bayern aus und rafft die Gartenvögel zunehmend dahin

16.12.2019 | Stand 23.09.2023, 9:53 Uhr
Von einem Virus bedroht ist die heimische Amsel. Ob deren Population zurückgeht, soll bei der Wintervogelzählung am kommenden Wochenende herausgefunden werde. −Foto: Marcus Bosch/LBV

Ingolstadt - Wo sind sie bloß geblieben?

Das fragen sich nicht nur ein 88-jähriger Ingolstädter und seine Frau, wenn sie in ihrem Garten Ausschau nach Amseln halten. "Ich sehe in der ganzen Siedlung keine mehr, wir fragen uns, was da los ist", sagt der Mann. Diese Feststellung treffen auch andere in der Region, nicht ohne Grund, wie eine Nachfrage beim Landesbund für Vogelschutz (LBV) in Hilpoltstein ergab. "Das tropische Usutu-Virus ist immer noch ein Problem", sagt LBV-Sprecher Markus Erlwein. "Es betrifft fast nur Amseln, und wenn ein Vogel erst einmal befallen ist, führt das zwingend zum Tod. Wir haben in den vergangenen zwei Sommern wieder etliche Meldungen gehabt. "

Die Ingolstädter Eheleute hatten ein Amselpärchen im Garten hinter dem Haus und eines vor dem Haus. "Beide sind verschwunden, das hat uns überrascht", sagen sie. "Wir haben gedacht, das mit dem Virus ist vorbei. "

Doch das scheint nicht der Fall zu sein, im Gegenteil. Das ursprünglich aus Afrika stammende Usutu-Virus war in Deutschland erstmals 2010 in Stechmücken - den Überträgern - nachgewiesen worden und hatte sich seither vom Rhein-Main-Gebiet über fast ganz Deutschland ausgebreitet.

Immer mehr Amseln infizierten sich, allein 2018 nahm der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) 13420 Verdachtsfälle mit 27565 kranken oder toten Vögeln auf. Ziemlich genau die Hälfte sind wohl tatsächliche Usutu-Fälle. Laut Nabu gibt es seit dem vergangenen Jahr kein Bundesland mehr, in dem das Virus noch nicht labortechnisch bestätigt worden ist. Deutliche Schwerpunkte gibt es in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Hamburg und Schleswig-Holstein, aber auch Bayern ist zunehmend betroffen.

Die zuletzt sehr heißen Sommer haben die Ausbreitung offenbar begünstigt. Infizierte Vögel wirken sichtbar krank und apathisch, ihr Fluchtreflex bei Annäherung lässt nach, und sie sterben meist innerhalb von Tagen. Die Ansteckung lasse sich bisher weder behandeln noch verhindern, heißt es beim Nabu. Tote Tiere sollten sicherheitshalber nur mit Schutzhandschuhen oder umgestülpter Plastiktüte angefasst werden.

Wie stark Bayern vom Amselsterben betroffen ist, soll unter anderem die Wintervogelzählung vom 10. bis 12. Januar zeigen, auch "Stunde der Wintervögel" genannt. Sie ist die größte bürgerwissenschaftliche Mitmachaktion Deutschlands und findet zum 15. Mal im Freistaat statt. Jeder kann eine Stunde lang die Vögel am Futterhaus, im Garten, auf dem Balkon oder im Park zählen und dem LBV melden. "Bei den zwei Rekordsommern in Folge mit anhaltender Dürre und Hitze stellt sich die Frage, welche Auswirkungen das auf die heimische Vogelwelt hat", erklärt die Projektbeauftragte Annika Lange. Die Stunde der Wintervögel könne erste Hinweise darauf geben.

"Wir sind gespannt, wie die Meldungen bezüglich der Amseln ausfallen", sagt Markus Erlwein. "Unser Hauptaugenmerk gilt heuer aber einem anderem Aspekt: Im Herbst hat es einen massiven Einflug von Eichelhähern aus dem Norden gegeben, sie haben sich durch ein Überangebot an Eicheln sehr stark vermehrt. " Über zehnmal so viele Häher als sonst sind in Deutschland eingeflogen, zuletzt war ein solches Phänomen 1978 aufgetreten. "Nun wollen wir über unsere Zählaktion wissen, wo sie geblieben sind. "

DK

Horst Richter