Die
Im Gestrüpp der Paragrafen

02.03.2017 | Stand 02.12.2020, 18:34 Uhr

Die Staatsanwaltschaft versucht seit Monaten, das Dickicht der Verflechtungen am Ingolstädter Klinikum zu lichten. - Foto: Richter

Ingolstadt (DK) Die Ermittlungsverfahren rund um das Ingolstädter Klinikum und Alt-OB Alfred Lehmann beschädigen den Ruf der Stadt. Der Ton in der Kommunalpolitik ist rau geworden, die CSU zieht erste Konsequenzen aus der Affäre. Ein Stimmungsbild.

Der Ruf ist lädiert, wohlwollend ausgedrückt. Wer als Ingolstädter auswärts unterwegs ist, steckt schon mal einen Seitenhieb ein. Von wegen "Klein-Regensburg", in Anspielung auf die millionenschwere mutmaßliche Korruptionsaffäre in der oberpfälzischen Domstadt. "Die Fälle sind oft verquickt worden, das ist aber nicht richtig", findet Ingolstadts Oberbürgermeister Christian Lösel (CSU). "Regensburg ist eine ganz andere Nummer." Stimmt, doch besser macht es die Vorwürfe in der Schanz nicht: Es geht mutmaßlich um Bestechlichkeit und Bestechung im Rathaus, um Untreue und Vetternwirtschaft im Klinikum. Ein Gestrüpp an Verflechtungen (siehe Kasten). Es gab Razzien im Krankenhaus, bei der Stadt und in Privaträumen.

Der Skandal hatte draußen im Westen der Stadt begonnen, mit dem Ex-Geschäftsführer des Klinikums, Heribert Fastenmeier, als Hauptfigur. Hat er Familienmitglieder begünstigt, wenn es um Stellen oder um Aufträge des Hauses ging? Im Strudel der Ermittlungen geriet schließlich Alt-OB Alfred Lehmann (CSU) ins Rampenlicht. Seine Doppelrolle als Aufsichtsrat des Klinikums und als für den Zweckverband tätiger Berater des Headhunters Labbé ist nur die eine Sache. Schwerer noch wiegt der Vorwurf der Bestechlichkeit, wonach er eine Wohnung auf dem alten Krankenhausareal in der Innenstadt von einem Bauträger gekauft haben soll, der das Gelände wiederum noch zu OB-Zeiten Lehmanns erworben hatte. Hat da vielleicht eine Hand die andere gewaschen?

Es gilt weiter die Unschuldsvermutung, keine Frage. Niemand ist bisher angeklagt worden. Es gibt zwölf Beschuldigte, ein Vorgang wurde inzwischen gegen Geldauflage wegen Geringfügigkeit eingestellt. Ein Ende der Ermittlungen zeichnet sich indes nicht ab, sie werden noch Monate dauern. "Das ist ein fließendes Verfahren, da ändern sich die Konstellationen ständig", sagt Wolfram Herrle, Chef der Ingolstädter Staatsanwaltschaft. Ein überaus besonnener Jurist, seit über 30 Jahren im Geschäft. Zwei Dinge liegen ihm bei aller Akribie am Herzen: Datenschutz und Persönlichkeitsrechte. "Wir wollen keinen beschädigen und ermitteln sauber und völlig offen." Aber auch ohne Rücksicht auf Rang und Namen.

Im Stadtrat geht es derweil zunehmend ruppiger zu. "Ohne Vertrauen funktioniert ein Gemeinwesen auf Dauer nicht", hatte Alfred Lehmann bei seinem letzten Neujahrsempfang als OB erklärt. Das sehen viele erschüttert durch seine Doppelrolle als Klinikumsaufsichtsrat auf der einen und als Mitarbeiter des Headhunters Labbé auf der anderen Seite.

Die CSU steht zu Lehmann, offizielle Sprechart. Mit wehenden Fahnen war sie ins Feld gezogen und prüfte gar eine Strafanzeige wegen der Verleumdungen, die angeblich zu seinem Rückzug geführt hatten. Lebenswirklicher erscheint, dass Lehmann von den laufenden Ermittlungen bereits vor seinem Ausscheiden wusste. Als die Staatsanwaltschaft sie öffentlich machte, kamen einigen doch Zweifel. Andere geben sich überzeugt, dass sich "alles in Wohlgefallen auflöst".

Peter Schnell, Lehmanns Vorgänger als Oberbürgermeister, sorgt sich um andere Dinge. "Das alles wirft einen Schatten auf die Stadt", bedauert er. Lehmann habe das Amt beschädigt. Das schmerzt gerade ihn, der 30 Jahre lang als Oberbürgermeister par excellence galt. "Der Alfred hat halt immer wirtschaftlich gedacht." Aber dass er sich so verkauft haben soll, glaubt Schnell - selbst studierter Jurist - nicht. Er attestiert ihm höchstens "fehlendes Fingerspitzengefühl dafür, wo die Grenzen liegen".

In der CSU-Parteizentrale am Unteren Graben gibt es erste Konsequenzen aus der Affäre. Kreisvorsitzender Hans Süßbauer hatte seinen Posten nach zehn Jahren im Mai abgeben wollen, "aber ich kann das wankende Schiff jetzt nicht verlassen. Das wäre ein denkbar schlechter Start für den Nachfolger. Also mache ich weiter". Noch aus anderem Grund, denn der Wunschkandidat heißt Alfred Grob. Der 51-Jährige sitzt zugleich auf dem Chefsessel bei der Ingolstädter Kripo, ausgerechnet jener Dienststelle, die in dieser Sache ermittelt. "Da kann er nicht als neuer Kreisvorsitzender einsteigen, das wäre ein Unding." So sieht es auch Grob: "Für mich gibt es nur eine Rolle, die als Polizist. Das Ganze muss sauber und korrekt geklärt werden, ohne Rücksicht auf das Ansehen. Da lasse ich mich auf keinen Gewissenskonflikt ein."

Alles andere hätte die Opposition weiter befeuert. Erstaunlich überhaupt, dass es eine solche wieder gibt, nach Jahren des Hindümpelns. Jetzt piesackt eine Zweckgemeinschaft aus Bürgergemeinschaft (BGI), Grünen, ÖDP und SPD die Rathausspitze mit dicken Fragenkatalogen zu den bekannten Vorwürfen. Sie vermutet noch weitere Verflechtungen, etwa durch die Nähe von Lösel und Lehmann zum in Neuburg und auch in Ingolstadt tätigen Bauträger Hans Mayr. Tatsächlich gab es Geschäftsverbindungen, die aber laut Lösel nichts anderes gewesen seien, als eine "völlig korrekte private Geldanlage zur Altersvorsorge". Gleichwohl gab der OB seinen Anteil jetzt ab.

"Von Einsicht ist dieser Schritt aber nicht geprägt", meint Achim Werner (SPD). "Eine Beteiligung an einer Firma, die auch Aufträge von der Stadt erhält, ist höchst fragwürdig." Christian Lange (BGI) ist mit der jüngsten Fragerunde zufrieden. "Immerhin haben wir Antworten erhalten." Bauunternehmer Mayr spricht dagegen von einer "Sauerei hoch drei", wie man ihn da in den Strudel der Vorwürfe hineinziehen wolle. "Ja, der Lehmann war mein Berater. Aber ist das was Unrechtes? Im Übrigen habe ich kein einziges Neubauprojekt in Ingolstadt begonnen, während er für mich tätig war." Er, Mayr, tue alles fürs Geschäft, "aber nur, solange es im legalen Bereich bleibt".

An Christian Lange scheiden sich die Geister, eine Reizfigur für viele. "Er bringt endlich Leben in die Bude", sagen die einen. Für andere ist er ein profilierungssüchtiger Mann, einer, der sinngemäß erklärt haben soll: "In einem halben Jahr kommt es zur Neuwahl des Oberbürgermeisters, das ist mein Ziel." Er selbst bestreitet solche Äußerungen. "Mir geht es allein um Transparenz. Wir haben als Stadtrat einen katastrophalen Informationsstand. Unser Weg in der Opposition ist richtig."

Mitnichten, sagen andere. "Früher bin ich nach der Sitzung gerne noch auf ein Bier mit den Kollegen gegangen. Aber mit dem Lange? Nie!", sagt ein maßgebliches CSU-Mitglied. "Ich fühle mich schon unwohl, wenn er sich im Raum befindet." Hinterfotzig sei der BGI-Mann, "der stößt dir mit einem Lächeln das Messer hinten und vorne rein".

Bedauernd äußert sich der Ehrenbürger und Ex-Innenstaatssekretär, Hermann Regensburger. Er verfolgt noch jede Sitzung über Audiostream. "Im Stadtrat ist jede politische Streitkultur verloren gegangen, so schlecht war das seit 1972 nicht." Und ein einflussreicher Mann aus der Verwaltung sagt: "Der Lange spricht die Dinge oft präzise an. Aber die Art, wie er das verkauft, ist kotzbrockig."

Zumindest OB Lösel beschwört die Einheit, die meisten Themen würden in größter Einmütigkeit entschieden, sagt er. Christian Lange widerspricht: "Ich fürchte, die schlechte Stimmung hält noch bis zur nächsten Wahl 2020 an." Miese Aussichten. So lange kann Alexander Zugsbradl nicht warten, um zum Ausgangspunkt der Affäre zurückzukehren. Der Interimsgeschäftsführer am Klinikum soll, salopp gesagt, den Laden am Laufen halten. Ein harter Job, trotzdem findet er noch Energie für Medienschelte. "Die Schlagzeilen schaden dem Haus", schimpft er. Gerade so, als seien die Dinge passiert, weil sie so in der Zeitung standen, und nicht umgekehrt.

Jenseits des Zorns weiß Zugsbradl durchaus Positives zu berichten. "Die Behandlungszahlen im Januar 2017 sind gegenüber Januar 2016 etwa gleich geblieben." Der Ruf scheint also nicht ruiniert, die Patienten kommen weiter. Trotz "Sondersituation" und der Einschnitte durch die bauliche Sanierung sei es ihm gelungen, maßgebliche vakante Stellen zu besetzen, sagt er. Mit dem neuen Ärztlichen Direktor Andreas Tiete - jenem Mann, der über die Schiene Lehmann/Labbé kam - verstehe er sich gut, die Führungsspitze funktioniere. "Das gibt den Mitarbeiten doch Sicherheit." Kurzum: Am Klinikum geht es ebenso lebhaft zu wie im Stadtrat. Nur friedlicher.