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Ihr Doppelsieg bei den Olympischen Spielen 1976 machte Rosi Mittermaier zur "Gold-Rosi". Gemeinsam mit Ehemann und Ski-Star Christian Neureuther verkörpert sie seit Jahren das Traumpaar der Szene. Ihr Talent, genauso wie ihre Bodenständigkeit und ihre Hilfsbereitschaft, gab sie an ihren ebenfalls sehr erfolgreichen Sohn Felix weiter.
Frau Mittermaier, Sie wurden Olympiasiegerin, Weltmeisterin und Gesamtweltcup-Siegerin. Ihre vielen Pokale und Medaillen sucht man hier in Ihrem Haus aber vergeblich.
Rosi Mittermaier: Nein, die sind hier nicht (lacht). Wir haben keine Pokale und keine Medaillen aufgehängt, das haben wir noch nie gemacht. Meine Preise und die Pokale meiner Schwester waren auf der Winklmoosalm im Wohnzimmer meiner Eltern, und als meine Eltern gestorben waren und wir ausgeräumt haben, haben wir die Pokale in Schachteln gepackt und mit meiner Schwester aufgeteilt. Das waren über 200. Heute stehen die Schachteln im Speicher und keiner schaut sie an. Die Goldmedaillen liegen im Schub-laden. Auch Felix ist keiner, der Pokale aufstellt. Der sagt immer: "Das hat man im Kopf."
Sie wurden 1976 mit zwei Goldmedaillen zur Ski-Legende. Wie gut können Sie sich noch an die Olympischen Spiele in Innsbruck erinnern?
Mittermaier: Das ist sehr präsent. Das ganze aktive Leben als Sportlerin ist sehr präsent, weil das eine Zeit ist, die sehr spannend ist und man sehr auf den Sport fokussiert ist. Man fiebert auf Highlights wie die Olympischen Spiele hin. Ich war 1968 in Grenoble das erste Mal dabei und dann 1972 in Sapporo und 1976 in Innsbruck. Aber nicht nur von den olympischen Rennen, auch von anderen guten Rennen weiß ich noch jedes Tor und den Lauf ganz genau, weil es sehr intensiv war.
Sie stammen aus einer Skifahrer-Familie, auch Ihre Schwestern Evi und Heidi fuhren im Weltcup. Waren Ihre Eltern damals auch in Innsbruck?
Mittermaier: Ja. Meine Mutti ist nie zu einem Abfahrtslauf, weil sie da immer sehr mitgelitten hat. Denn die Evi war sehr oft verletzt. Aber das erste Mal, als meine Mutti doch zugeschaut hat, war in Innsbruck. Ich bin mit Startnummer 9 gefahren, die Evi war hinter mir. Als die Leute meiner Mutti nach meiner Fahrt um den Hals gefallen sind, hat sie gesagt: "Halt, halt! Ich muss ja zuschauen, wie mein Everl fährt."
Bei ihr lief es aber nicht so gut, sie fuhr im Blindflug nur auf den 13. Platz . . .
Mittermaier: Die Evi hat am Start erfahren, dass ich Bestzeit habe. Dann sind ihr die Tränen in die Brille, weil sie sich so gefreut hat. Ich weiß nicht, wie sehr ich ihr Hindernis war, dass es bei ihr nicht besser gelaufen ist, denn sie war ja normal die Abfahrtsspezialistin.
Nach Ihrem Doppelsieg war der Wirbel um Sie immens.
Mittermaier: Es kamen Massen an Blumen in das olympische Dorf in Innsbruck und nach Hause, da waren alle Badewannen voll damit. Mein Vati hatte dann die gute Idee: Wir verteilen die im Krankenhaus. Sie wurden in Innsbruck im Krankenhaus verteilt und dann auch in Traunstein. Und es ist lustig: Manche schreiben mir noch heute: "Wissen Sie, wir haben von Ihnen damals Blumen gekriegt." Ich habe im Nachhinein sehr gespürt, dass sich die Leute gefreut haben. Das ist doch schön. Es kommt immer alles zurück im Leben. Davon bin ich 100-prozentig überzeugt.
Wie ging es dann weiter?
Mittermaier: Wir dachten, wir können schnurstracks heimfahren. Derweil hat uns ein Polizeikonvoi bis Kiefersfelden begleitet, dort wurden wir dann von der deutschen Polizei abgeholt. In München gab es den Empfang beim bayerischen Ministerpräsidenten Goppel. An der Straße in München standen lauter Menschen, das war brutal. Eine Frau hat mir ihren Hund hingehalten und gesagt: "Streicheln Sie bitte meinen Hund!" Die Leute waren vollkommen aus dem Häuschen, was man sich als junger Mensch gar nicht vorstellen kann. Das war schon ein Hype.
Und der hörte auch zu Hause nicht auf, oder?
Mittermaier: Zu Hause war die Hölle los. In vier Wochen hat die Post, die hat das gezählt, um die 20.000 Briefe gebracht. Das war ein ganzes Zimmer voller Päckchen und Briefe auf der Winkl-moosalm. Um unser Haus ist kein Gras mehr gewachsen, weil so viele Leute kamen. Die Fotografen sind ins Haus gestürzt und haben die Fotoalben durchstöbert. Meine Eltern waren da überfordert. Sie haben dann die Küche vom Parterre in den ersten Stock verlegt, weil wir unten nicht mehr wohnen konnten, denn die Leute haben beim Fenster reingeschaut. Ich bin ja noch weiter die Weltcup-Rennen in Amerika gefahren, für mich war das nicht so schlimm, aber für meine Eltern und für meine Schwestern.
Wie sind Sie überhaupt zum Skifahren gekommen?
Mittermaier: Meine zehn Jahre ältere Schwester Heidi ist schon vor mir Ski gefahren und hat nach der WM 1966 aufgehört. Sie war mein Vorbild. Ich wollte es so wie Heidi machen - nach Amerika fahren und so. Das hat es ja früher nicht gegeben, dass du einfach mal so nach Amerika oder Japan kommst. Mein Vati hat gesagt: "Du musst die Lehre beenden, dann kannst Skifahren." Und so war es dann. Es ist leicht gegangen, ich habe anscheinend viel Talent mitbekommen und bin gleich in die Mannschaft gekommen.
Hatten Sie gleich Erfolg?
Mittermaier: Ich war nicht sehr ehrgeizig, eigentlich nie. Ich habe immer mal ein Rennen gewonnen oder war unter den ersten Drei im Slalom, und dann war es wieder gut. Ich war nicht sehr traurig, wenn ich ausgeschieden bin. Mein Vati hat uns so erzogen: "Wegen eines Sturzes beim Skifahren, wenn dir nix wehtut, braucht man nie weinen. Das ist die Sache nicht wert." Da habe ich immer dran gedacht. Meine andere Schwester Evi ist dann auch mit mir gefahren, das war eine tolle Zeit.
Wie schafft eine wenig ehrgeizige Skifahrerin zwei Olympiasiege?
Mittermaier: Heinz Mohr war der Konditionstrainer, der mich umgekrempelt hat. Ein Jahr vor Innsbruck hat er zu mir gesagt: "Jetzt kommen die Olympischen Spiele, du könntest viel mehr." Er hat das Konditionstraining in die Hand genommen und mit jeder Sportlerin ein individuelles Programm gemacht. Ich wollte nie herausstechen aus der Mannschaft, ich wollte eigentlich immer nur Harmonie. Aber er hat es verstanden, dass ich konditionell richtig fit wurde. Und deswegen ist in diesem Winter alles gutgegangen. Ich habe den Weltcup gewonnen, und es war gerade das olympische Jahr, das war natürlich ideal. Aber ich brauchte schon Leute an der Seite, die mich gepusht haben.
Nach der Erfolgssaison 1976 sind Sie zurückgetreten, mit 25 Jahren. Warum?
Mittermaier: Man hat ja damals noch nichts verdient, man war Amateur. Dann gab es die Chance, dass ich mir eine Existenz aufbauen konnte. Und ich hätte wahrscheinlich auch gar keine Ruhe mehr gehabt zu trainieren. Außerdem hätte ich nicht mehr gewinnen können: Ich hatte den Weltcup und die olympischen Medaillen - mehr gibt es nicht.
Wie schwer fiel Ihnen diese Entscheidung?
Mittermaier: Das war schon schwer. Es war ein ganz anderes Leben. Freilich wäre ich liebend gerne weitergefahren. Die Evi ist noch vier Jahre weitergefahren und der Christian auch. Aber das ist halt nicht gegangen. Und man war damals mit 25 alt als Mädchen. Heute ist das ja kein Alter mehr.
"Die Rosi kann man nicht verbiegen", hat Ihr Mann Christian mal gesagt. Wie haben Sie das all die vielen Jahre gemacht, so bodenständig zu bleiben?
Mittermaier: Es liegt wahrscheinlich daran, wie man erzogen wird. Fair miteinander umgehen, das lernt man schon als Kind. Was mich am meisten freut, ist, dass meine Kinder auch so sind.
Am Freitag starteten die Olympischen Winterspiele in Pyeongchang. Mit ein wenig mehr Glück wäre die olympische Flamme in München und Garmisch entzündet worden. Wie schade finden Sie es, dass 2018 und auch in Zukunft wohl keine Spiele in Ihrer Heimat ausgetragen werden?
Mittermaier: Sehr, sehr schade. Da haben wir sehr gelitten, weil wir gedacht hatten, das wäre prädestiniert, weil viele Sportstätten schon da sind und Deutschland sicher Spiele gemacht hätte, die umweltbewusst und nachhaltig sind. Wir sind das Volk der Dichter und Denker, wir haben Musik, wir haben Theater, wir haben alles, was es gibt, und hätten uns toll präsentieren können. Aber das war alles falsch eingefädelt. Von Anfang an waren die Obersten nicht mit Herzblut dahintergestanden.
Auch in anderen Städten haben die Bürger Olympische Spiele bereits abgelehnt.
Mittermaier: Wie schlimm ist es, dass viele wegen der Machenschaften des IOC sagen: "Das unterstützen wir nicht mehr." Das ist nicht nur bei uns so, das war in Innsbruck so, das ist in Oslo so. Das ist doch traurig. Die Werte der Olympischen Spiele sollten eigentlich leben, aber der Glanz verblasst. Das ist ein Jammer, da muss man unbedingt umdenken. Ich hatte so gehofft, dass Thomas Bach (IOC-Präsident, d. Red.) als Deutscher ein wenig die Richtung vorgibt. Aber leider nicht. So wie es heute läuft, verstehen es die Leute nicht mehr, ich auch nicht. Und die Sportler können nichts dafür.
Auch die Doping-Problematik beschädigt das Image der Spiele.
Mittermaier: Das geht sowieso gar nicht. Da muss man wirklich umkrempeln. Das ist reinster Betrug. Ich käme gar nicht auf die Idee, dass ich etwas nehmen würde. Auch der Felix würde das nie im Leben. Vielleicht können die Sportler in Russland auch gar nichts dafür, wenn ihnen etwas beigemixt wird. Man weiß es ja nicht. Aber deswegen muss man einen strikten Cut machen. So eine Nation kann nicht teilnehmen.
Was muss sich ändern?
Mittermaier: Kleiner, vielleicht an Orte gelegen, wo schon ein bisschen Infrastruktur ist, und dann nur auf Nachhaltigkeit schauen. Nehmen wir Lilleham-mer - was waren das für tolle Spiele! So schön, die Bevölkerung begeistert durch Wissen. In Korea und China haben die Leute überhaupt keine Ahnung, was los ist. Zu unserer Zeit hatten wir zum Beispiel auch die Möglichkeit, in die Eröffnungs- und Schlussfeier zu gehen. Heute bleiben die Nationen lieber lange daheim und fahren erst kurz vor dem Wettkampf zu Olympia, weil sie vor Ort keine Trainingsmöglichkeiten haben. Das müsste auch bei der Auswahl schon ein Kriterium sein. Ich kenne viele Sportler, die noch nie eine Eröffnungs- oder Schlussfeier mitbekommen haben. Und das ist schade.
Wenn man den Skirennsport 1976 und 2018 miteinander vergleicht: Gibt es etwas, das heute noch so ist wie damals?
Mittermaier: Ja, die Leidenschaft zum Skirennen. Das merkt man am Felix. Und das Schöne ist, dass wir durch den Felix das alles jetzt noch mal erleben. Der Felix hat unheimlich viele Freunde im Skirennsport, die zu uns heimkommen und hier essen oder übernachten, oder ich wasche auch mal für die. Die Freundschaft, die dort entsteht, ist heute genauso wie früher. Der Skisport ist eine große Familie. So war das schon bei uns.
Das Interview führte Julia Pickl.