Augsburg
"Ich habe mir diese Aufgabe nicht ausgesucht"

Der Augsburger Bischof Zdarsa über sein Bistum, die umstrittenen Reformpläne und die Reaktionen der Öffentlichkeit

26.02.2012 | Stand 03.12.2020, 1:47 Uhr

 

Augsburg (DK) Unter den Katholiken im Bistum Augsburg formiert sich massiver Widerstand gegen Bischof Konrad Zdarsa und dessen Bistumsreform. Priester und Laien sehen sich nach der Lügen- und Prügelaffäre um Amtsvorgänger Walter Mixa um einen Neuanfang im Bistum gebracht. Unsere Redakteurin Gabriele Ingenthron und Chefredakteur Gerd Schneider trafen Zdarsa im Augsburger Bischofspalais zu einem Interview.

Herr Bischof, wie nahe gehen Ihnen die Diskussionen und Konflikte um Ihre Pastorale Raumplanung?

Konrad Zdarsa: Das ist kein Spaziergang gegenwärtig, weil man auf der einen Seite nicht mit solchem Widerspruch gerechnet hat. Auf der anderen Seite wird es einem erschreckend deutlich, wie notwendig es war, ohne dass ich mich damit profilieren will, ein ganz, ganz wichtiges Thema unserer Kirche anzusprechen.

 

Sind Sie erschrocken über die Reaktionen in der Öffentlichkeit und über das Stimmungsbild, das doch relativ einheitlich ist?

Zdarsa: Erschrocken würde ich nicht sagen. Sondern ich bin einmal mehr darin bestätigt worden, dass die vielen, die sich zustimmend äußern, nicht das gleiche Forum haben wie die, die von vorneherein auf eine halbe Information reagieren.

 

Rechnen Sie damit, dass es jetzt nach der Verkündung des Hirtenworts ruhiger wird und die Aufregung abflacht?

Zdarsa: Ich hoffe es, weil ich ausdrücklich erkläre, dass die Zeit gekommen ist für einen respektvollen und vernünftig geführten Dialog. Das ist eine Herausforderung an jeden, der sich ihr stellen will.

 

Welche Gründe führen Sie für die Strukturreform an?

Zdarsa: Erstens geht die Zahl der aktiven Mitbrüder zurück. Und da zweitens auch die Zahl der Gläubigen nicht gewachsen ist, wird es irgendwann den Tag geben, an dem es nicht mehr möglich sein wird, in jeder Kirche Sonntag für Sonntag eine heilige Messe zu feiern, ohne dabei dem Kirchenrecht zuwiderzuhandeln und die Priester ungebührlich zu überfordern.

 

Ein großes Thema für die Gläubigen sind die Wortgottesdienste, die von Laien geleitet werden. Was haben Sie dagegen einzuwenden?

Zdarsa: Gegen den Wortgottesdienst ist überhaupt nichts einzuwenden, sondern gegen die eucharistielose Organisation des Sonntags. Christliche Gemeinschaft entsteht nicht dadurch, dass wir uns versammeln, sondern dass wir uns rufen und sammeln lassen von dem, was der Herr will.

 

Und wenn es immer weniger werden, die sich sammeln lassen wollen?

Zdarsa: Wir dürfen bei aller Strukturreform die persönliche Gewissensentscheidung nicht außer Acht lassen. Jeder ist immer angefragt im Inneren seines Herzens.

 

Die Aufregung im Bistum ist auch deshalb so groß, weil die Leute fürchten, die Dorfkultur, in deren Mitte die Kirche steht, könne verkümmern.

Zdarsa: Hier sind die Ursachen falsch gesetzt. Die Kultur des Dorfes hat sich entwickelt aus dem katholischen, christlichen Geist und aus der gelebten Katholizität. Und nicht umgekehrt, dass etwa die Kirche aktiv werden müsse, um eine noch bestehende Kultur aufrechtzuerhalten.

 

Was geschieht mit den Kirchen, wenn keine Gottesdienste mehr darin gefeiert werden?

Zdarsa: Ich habe vor kurzem in Sulzberg gesagt, diese Kirche steht von 0 Uhr Sonntag bis Sonntag 0 Uhr, also 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, zur Verfügung. Die Gläubigen werden die Gelegenheit wahrnehmen, die Kirche zu besuchen, auch wenn niemand dazu aufgerufen hat. Die ganze Woche über gibt es viele Möglichkeiten, das gottesdienstliche Leben der Kirche zu feiern mit außereucharistischen Feiern wie Mai- oder Kreuzwegandachten und Rosenkranzgebeten.

 

Was spricht dagegen, die Gottesdienste sonntags an wechselnden Orten innerhalb der neuen Einheiten zu feiern, also nicht nur am Hauptfusionsort?

Zdarsa: Dieses Wort möchte ich streng von mir weisen. Von einem Hauptfusionsort ist nie die Rede gewesen. Diesen technischen Begriff Fusion habe ich nur ein einziges Mal verwendet, und dann in dem Zusammenhang, dass die Beteiligten selber darüber entscheiden, ob diese Lösung nach einem Zusammenwachsen zu größerer Einheit überhaupt infrage kommt.

 

Es würde vielleicht für Frieden in den Gemeinden sorgen, wenn man die Eucharistie an wechselnden Orten feiert. Wäre das denkbar?

Zdarsa: Es werden noch lange Zeit viele Mitbrüder da sein, die den Pfarrer unterstützen, Ruhestandsgeistliche, Kapläne und Priester zur Mithilfe, die auch viele heilige Messen feiern. Aber auch in der großen Seelsorgeeinheit muss es einen zentralen Ort geben, an dem die Eucharistie verlässlich zu gleichbleibender Zeit gefeiert wird, so dass jeder sagen kann: Da ist immer um zehn Uhr der Sonntagsgottesdienst, und da fahren wir hin. Deshalb wird trotzdem in anderen Orten Eucharistie gefeiert werden. Ich habe Leute kennengelernt, die fahren anderthalb Stunden, um zur Feier der heiligen Messe zu kommen. In Sulzberg im Allgäu habe ich einen Mann kennengelernt, der geht jeden Sonntag – egal ob Regen oder Sonnenschein – fünf Kilometer zu Fuß zur heiligen Messe.

 

Es dürfte schwierig sein, solche Neuerungen gegen die Stimmung in den Gemeinden durchzusetzen.

Zdarsa: Sollte man sich bei verantwortungsvollen Entscheidungen von Stimmungen leiten lassen? Wer wichtige Entscheidungen zu fällen hat, der schaue nicht auf das Gesicht der anderen, hat mal einer gesagt. Wir haben doch da eine Verantwortung, nicht nur für uns selber, sondern auch für die anderen und vor Gott. Von Stimmungen dürfen wir uns da nicht leiten lassen.

 

Unsere Leser werden Ihnen diese Antwort als Arroganz auslegen.

Zdarsa: Damit muss ich rechnen. Dagegen kann man nichts tun.

 

Das berührt einen der Hauptvorwürfe. Viele Pfarrgemeinderäte und selbst Priester klagen darüber, dass die Reform über ihre Köpfe hinweg beschlossen worden sei.

Zdarsa: Ich würde eher sagen: einer der Hauptvorwürfe, die kolportiert wurden. Jüngere Mitbrüder haben mir gesagt, man habe schon seit Jahrzehnten über die nötigen Veränderungen geredet, und nun spricht es einmal einer aus. Außerdem ist es keine Neuerung, die ich bringe, sondern eine Besinnung auf die Fundamente unseres Glaubens als katholische Christen.

 

Warum müssen Pfarrgemeinderäte unbedingt durch Pastoralräte ersetzt werden?

Zdarsa: Die Verwaltungsreform muss auch der größeren Einheit entsprechen, deshalb muss es den Pastoralrat geben. Nichtsdestotrotz sollen in den kleineren Einheiten feste Gruppen bestehen, die man auch Seelsorgeräte nennen könnte, die mit einem Vertreter fest zum Pastoralrat gehören und die auch gehört werden müssen. Aber Leiter dieser seelsorglichen Verantwortung ist der Pfarrer. Ich verstehe nicht, warum man alle Aktivität in den Gemeinden an die Beauftragung zur Leitung von Wortgottesdiensten knüpft.

 

Es geht den Gläubigen um nichts Geringeres als Demokratie in der Kirche.

Zdarsa: Kirche ist keine Demokratie. Das ist leider ein Missverständnis. Sondern wir sind ausgerichtet auf Christus. Jeder hat seine Aufgabe, seinen Dienst, und den darf er nicht durchführen aus Selbstherrlichkeit oder Machtbewusstsein, sondern im Dienst an Christus und den Gläubigen.

 

Der Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller schaffte schon 2005 die Pfarrgemeinderäte ab und setzte Pastoralräte ein. Viele wandten sich deshalb von der Kirche ab.

Zdarsa: An jeden Einzelnen ist die Gewissensfrage gestellt, wie er zu den Strukturen steht, die von Christus in seiner Kirche vorgegeben sind. Und ob er einen Aufstand inszeniert oder sich auf die Herausforderung besinnt, die durch den Glauben an uns gestellt ist, liegt an jedem selbst.

 

Aber die Kritiker sind nicht in schlechter Gesellschaft. Sogar Kardinal Reinhard Marx hat gesagt, er halte es für sinnwidrig, Wortgottesdienste abzuschaffen.

Zdarsa: Wortgottesdienste werden nicht in ihrem Wert gemindert, aber sie sollen denen entgegenkommen, die aus Gründen ihres Alters, der Krankheit und der Gebrechlichkeit keine Eucharistiefeier besuchen können. Und sie müssen als diakonischer und pastoraler Dienst verstanden werden.

 

Gerade in den Gemeinden, die an das Bistum München-Freising grenzen, nehmen die Leute wahr, dass das Thema in ihrem Nachbarbistum ganz anders gehandhabt wird. Dürfen die Gläubigen nicht eine einheitliche Haltung innerhalb der Kirche erwarten?

Zdarsa: Sie können eine einheitliche Haltung in der Kirche erwarten, aber die kann nur begründet sein auf den Grundlagen unseres Glaubens. Einheit ist kein Meissner Porzellan, das im Schrank steht und das man, wenn kein Bombenangriff kommt, durch alle Generationen hindurch bewahrt. Einheit ist eine immer neue Herausforderung für alle Glaubenden.

 

Wie gehen Sie damit um, dass auch Priester in Ihrem Bistum sehr offen Kritik an der Reform und Ihrem Vorgehen äußern?

Zdarsa: Es werden einige Priester und Dekane in den Medien zitiert, aber das sind nicht alle.

 

Es sind ziemlich viele, die sich trauen, ihre Meinung zu sagen.

Zdarsa: Aber warum sagen sie das in den Medien und suchen nicht um ein Gespräch mit mir nach?

 

Immer wieder hört man die Einschätzung, Sie als Bischof seien unnahbar und säßen in einem Elfenbeinturm. Was sagen Sie dazu?

Zdarsa: Man kann doch nicht auf Dinge eingehen, die einem selber nicht gesagt werden. Das ist doch keine Basis. Besser wäre es gewesen, erst das Hirtenwort abzuwarten und danach in ein Gespräch einzutreten. Dabei könnte vieles geklärt werden. Kürzlich wurde über mich gesagt: „Während er im persönlichen Gespräch sympathisch und fröhlich sein kann, wirkt er in größeren Menschenansammlungen eher kühl.“ Wo kämen wir denn hin, wenn da einer säße, der nach allen Seiten nur grient und lächelt und bloß versucht, gute Stimmung zu machen?

 

Als Sie nach Augsburg kamen, waren die Erwartungen sehr hoch. Nach den Turbulenzen um Ihren Vorgänger Walter Mixa sollten Sie Brücken bauen. Umso größer ist jetzt die Enttäuschung darüber, dass davon wenig zu sehen und zu spüren ist.

Zdarsa: Wissen Sie, Enttäuschung ist ein positives Wort. Da wird von jemand eine Täuschung genommen, eine Erwartung, die man sich selber ausgedacht hat, die so nicht erfüllt werden kann. Ich habe mir diese Aufgabe nicht ausgesucht.

 

Warum bekam Hans Maier, der frühere Vorsitzende des Zentralkomitees deutscher Katholiken, von Ihnen kein Rederecht?

Zdarsa: Es geht überhaupt nicht um die verdienstvolle Person Hans Maier, sondern es geht darum, dass ich der Organisation Donum Vitae in unserem Bildungshaus St. Ulrich kein Forum geben möchte.

 

Dass sich in dem Fall Kardinal Marx anders geäußert hat und Ihnen widerspricht, stört Sie nicht?

Zdarsa: Kardinal Marx hat die Person Hans Maier gewürdigt, und das zu Recht. Aber ich kann nicht davon ausgehen, dass ein Kardinal der katholischen Kirche ohne Weiteres der Organisation Donum Vitae in einem Bildungshaus der Diözese eine Plattform einrichten würde. Dann müsste ich doch appellieren an seine hohe Verantwortung in der Beratung des Heiligen Vaters.

 

Sie würden Ihre Entscheidung also wiederholen?

Zdarsa: Wenn es darum ginge, dass Donum Vitae in einem unserer Häuser für sich werben möchte, dann müsste die Entscheidung wieder so ausfallen.

 

Es ging bei dieser Veranstaltung um die Biografie Hans Maiers und nicht darum, für die Schwangerenberatung Donum Vitae zu werben.

Zdarsa: Professor Maier hat, wie mir berichtet worden ist, bei den Lesungen aus seiner Biografie dem Thema Donum Vitae viel Raum gegeben. Wir hatten zudem im Vorfeld eine Auseinandersetzung im Bistum, bei der es um Donum Vitae ging. Die Entscheidung ist vor diesem Hintergrund zu verstehen.