Salzburg
Horváths „Jugend ohne Gott“ in Salzburg gefeiert

29.07.2019 | Stand 02.12.2020, 13:24 Uhr
Jörg Hartmann in Horváths Drama "Jugend ohne Gott" in Salzburg. −Foto: Barbara Gindl

Ödön von Horváth beschrieb in seinem antifaschistischen Exilroman „Jugend ohne Gott“, wie sich eine Gesellschaft brutalisiert. Die historisierende Bühnenadaption bei den Salzburger Festspielen lässt aufklärerische Wucht vermissen.

Die ersten fünf Minuten sind die besten. Jörg Hartmann tritt in Alltagsklamotten, Schlabberhose, T-Shirt auf die Bühne des Salzburger Landestheaters und beginnt zu schwärmen: „Was haben wir Adolf Hitler zu verdanken? Alles!“

Im Plauderton berichtet er, warum Deutschland stolz sein müsse auf den „Führer“, den eine glückliche Vorsehung dem Land geschenkt habe. Aus seinem Munde klingt das so, als wenn man an diesem regnerischen Sonntagabend nur auf die Straße hinaustreten müsse, um dort ein Meer von Hakenkreuzfahnen zu sehen, mit denen die Festspielstadt Salzburg geschmückt ist.

Dann schlüpfen Hartmann und die übrigen Mitspieler in Kleider der dreißiger Jahre - das eigentliche Spiel beginnt. Zum Auftakt des Schauspiel-Premierenreigens brachten die Salzburger Festspiele eine vom Publikum gefeierte Bühnenadaption von Ödön von Horváths antifaschistischem Exil-Roman „Jugend ohne Gott“ heraus, eine Koproduktion mit der Berliner Schaubühne, deren langjähriger künstlerischer Leiter Thomas Ostermeier Regie führte.

Jan Pappelbaum hat die Bühne gestaltet, im Hintergrund ein dichter Wald, in dem sich später zwei junge Menschen lieben und ein Mord geschieht, im Vordergrund Schauplätze der Dreißiger: das Klassenzimmer eines Provinzgymnasiums, in dem Hartmann als „Lehrer“ arbeitet; ein Zeltplatz, ein Wirtshaus, ein Gerichtssaal.

Immer ist alles im Fluss, auch die Schauspieler wechseln andauernd ihre Kostüme und Identitäten. Einen Namen trägt fast keiner in dem Stück, nur Buchstaben. Jeder soll sich in jedem wiedererkennen können.

Horváths 1937 in einem Amsterdamer Exil-Verlag erschienener Erfolgsroman „Jugend ohne Gott“ ist ein Krimi in totalitären Zeiten. Der Lehrer hat sich dem Regime zumindest äußerlich angepasst, wagt es aus Angst und Trägheit nicht, offen zu opponieren. Den rassistischen Ausfall eines Schülers in einem Aufsatz bemängelt er, gibt dem Jungen aber dennoch eine gute Note. Er versucht, einen Rest von Humanität zu leben, was ihm jedoch immer seltener gelingt, weil sich die Welt um ihn herum immer mehr brutalisiert.

Dann bricht sich die unterschwellige Gewalt während einer Klassenfahrt mit militärischen Kampfübungen in einem grundlosen Mord an dem Schüler „N“ Bahn, dessen halbherzige Aufklärung den Lehrer dazu anstachelt, sich mutig auf die Suche nach der Wahrheit zu machen. Als Täter wird schließlich der gewissenlose Schüler „T“ identifiziert, ein emotional vernachlässigter Junge aus bestem Hause, der sich selbst das Leben nimmt. Der Mut des Lehrers wird zum Keim für eine Widerstandsgruppe.

Hartmann, bekannt als Stasi-Offizier Falk Kupfer in der TV-Serie „Weissensee“, spielt das sehr authentisch, er ist der ruhende Pol dieser manchmal etwas überdrehten und sehr textlastigen Inszenierung. Auch der Rest des Ensembles überzeugt, darunter die junge Alina Stiegler als Eva, Anführerin einer im Wald lebenden Bande von Aussteigern, sowie als Schüler „Z“ Laurenz Laufenberg, der zugleich einen Pfarrer spielt, dem sich der Lehrer in seiner Gewissensnot anvertraut.

Die komplexe Romanhandlung hat Regisseur Ostermeier in verschiedene Wahrnehmungsebenen aufgespaltet: das reale Geschehen auf der Bühne, Selbstreflexionen der Darsteller, die sie in zwei am Bühnenrand postierte Mikrofone sprechen, sowie live aufgenommene Videosequenzen aus versteckten Orten im Wald oder im Zelt, die auf die Stoffbahn einer Wehrmachtsdecke oder die Zeltplane projiziert werden. Dazu hört man Militärmärsche und die blecherne Stimme des Diktators.

Doch einen Sog mit aufklärerischer Wucht vermag der gut zweistündige Abend - ohne Pause - nicht zu entfalten. Die Anspielungen auf die Nazi-Diktatur sind vielleicht zu deutlich, als dass man daraus eine zeitlose Lehre ziehen könnte. Horváth selbst hatte in „Jugend ohne Gott“ weder Zeit noch Ort oder die Protagonisten des Regimes explizit benannt. Sein Text weist über den historischen Kontext hinaus, die Salzburger Bühnenfassung aber ist nicht viel mehr als engagierter Geschichtsunterricht - von den ersten fünf Minuten abgesehen.

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