Homeoffice - Fluch oder Segen?

Organisationsforscher Stephan Kaiser sieht viele Chancen für neue Arbeitsmodelle, aber auch hohe Hürden

14.07.2020 | Stand 23.09.2023, 12:55 Uhr |
Wichtige Voraussetzungen für die Arbeit daheim: Nicht jeder hat einen festen Arbeitsplatz zu Hause, an dem er ruhig seinen Job ausüben kann. − Foto: Pixabay

Ingolstadt/München - Die Corona-Krise sorgt für einen Umbruch in der bisherigen Arbeitswelt: Homeoffice wurde zum großen Thema, das uns auch nach der Krise weiter begleiten wird. Das Arbeiten von zu Hause kann gelingen, doch es erfordert ein Umdenken der Unternehmen und Arbeitgeber, weiß Stephan Kaiser, Wirtschaftswissenschaftler und Personalforscher an der Universität der Bundeswehr in München. Die Vor- und Nachteile dieses Ar beitsmodells im Überblick.

Flexibilität mit vielen Versuchungen Homeoffice biete grundsätzlich den Arbeitnehmern einige klare Vorteile, wie Kaiser erklärt. "Gerade die flexible Zeiteinteilung ermöglicht Mitarbeitern, sich ihre Arbeit über den Tag einteilen zu können." Statt langer Dienstreisen genüge meist ein Online-Meeting. Wertvolle Zeit mit der Familie zu verbringen oder privaten Terminen nachgehen - auch dem steht kaum noch etwas im Wege. Dies gelte zumindest, wenn sich der Arbeitnehmer nicht mit anderen Kollegen koordinieren muss. Doch die Ablenkung in den eigenen vier Wänden ist groß. Allein der Gang zum Kühlschrank oder der Kontakt zu Familie und Partner erschwere konzentriertes Arbeiten am heimeigenen Schreibtisch.

Auch die soziale Interaktion komme oftmals zu kurz: Ein Plausch mit dem Kollegen im Büro oder der gemeinsame Gang in die Kantine entfällt. "In der aktuellen Forschung wird vor allem ein Thema diskutiert: Das Fehlen der sozialen Nähe", so Kaiser. Das könne sogar bis zur gänzlichen sozialen Isolation führen, betont er.

Mit Autonomie kommt der LeistungsdruckHomeoffice kann große Unabhängigkeit bedeuten. "Hier gehen aber die Meinungen der Arbeitgeber stark auseinander, manche fühlen sich einer starken Kontrolle ausgesetzt", erklärt der Professor. Schnell schleicht sich das Gefühl ein, den ganzen Tag über telefonisch erreichbar sein zu müssen - sei es für den Vorgesetzten oder den Kollegen. Damit entstehe ein gewisser Druck, sagt Kaiser. Arbeitnehmer bekämen das Gefühl, nicht genügend zu arbeiten. Um dem etwaigen Misstrauen zu begegnen, neigen Mitarbeiter im Homeoffice dazu, länger zu arbeiten. In Deutschland käme ein Mitarbeiter im Schnitt auf insgesamt eine Stunde Mehrarbeit täglich, in den USA liege das Mittel sogar bei etwa drei Stunden. Schnell entfällt hier mal eine Pause, ein kleiner Mittagsspaziergang und die Arbeit spielt sich nur noch vor dem Bildschirm ab. Kurz gesagt: Die Bewegung kommt am Ende zu kurz.

Digitale Herausforderungen für die Unternehmen Die Umstellung auf mobiles Arbeiten brachte auch insbesondere technische Hürden mit sich: Einen klaren Vorteil hätten hier Arbeitgeber gehabt, die bereits vor der Krise ihren Mitarbeitern das Homeoffice ermöglicht haben. Mit der passenden Software, einem Arbeitsplatz und der restlichen digitalen Infrastruktur sei ein geradezu normaler Arbeitsalltag möglich gewesen. Das mussten andere Unternehmen erst mal aufholen. "Viele standen mit dem Datenschutz vor der großen Herausforderung. Viele marktgängige Anbieter konnten ihn nicht gewährleisten." Stattdessen mussten die Unternehmen letztlich auf individuelle Lösungen zurückgreifen.

Die Digitalisierung sei vor allem auch für ältere Mitarbeiter schwierig, meint Kaiser: "Es gibt Personenkreise, die mit dieser Technik schlichtweg nicht arbeiten möchten." Und eine weitere Sache dürfe man nicht außer Acht lassen: Unterschiedliche Berufe erfordern per se verschiedenste Arbeitsbedingungen. "Nehmen wir nur mal den Montage-Arbeiter: Er könnte seine Arbeit nicht nach Hause verlegen", so Kaiser.

Homeoffice als Mehrbelastung für Familien "Während der Corona-Krise gab es definitiv für Familien eine Doppel-, wenn nicht sogar Dreifach-Belastung", ist der Organisationsforscher überzeugt. Oftmals mussten beide Elternteile ihre Kinder betreuen und nebenbei noch Vollzeit arbeiten. Nicht nur in der Krise müssen sich deshalb Familien gut organisieren: "Es macht Sinn, berufliche und private Rollen zu trennen: Man braucht einen eigenen Arbeitsbereich und eine feste zeitliche Struktur." Natürlich sei das auch nicht immer umsetzbar. "Wer ist in der privilegierten Situation, dass er von heute auf morgen zwei voll ausgestattete Arbeitszimmer hat?", wendet Kaiser ein. Hier seien die Unternehmen am Zug, sie müssten sicherstellen, dass entsprechende Arbeitsplätze vorhanden sind - mit einem Computer, einem großen Bildschirm und einem geeigneten Stuhl.

Experte sieht jetzt die Arbeitgeber am Zug"Unternehmen müssen sich systematisch damit auseinandersetzen, wie sie ihr Team in Zukunft führen möchten", erklärt Stephan Kaiser. Wichtig sei auch, dass das neue Arbeitsmodell zur Unternehmenskultur passe. Aus den Erfahrungen während der Krise hätten viele Chefs für die Zukunft gelernt, denn vor allem diese hätten Homeoffice bisher verhindert. "Sie müssen verstehen, dass ihre Mitarbeiter zu Hause auch wirklich arbeiten." Homeoffice werde wohl dennoch nicht zum Dauerzustand, so die Prognose des Experten: "Auch in Zukunft werden wir wahrscheinlich immer wieder ins Büro zurückkehren, um den Austausch mit unseren Arbeitskollegen haben", sagt Kaiser.

DK

Anna Hausmann

Artikel kommentieren