Kulmbach
Hilfe aus dem Kinderzimmer im Kampf gegen Corona

In Oberfranken haben sich Schüler zusammengetan, um mit einem speziellen Verfahren Schutzvisiere herzustellen

13.05.2020 | Stand 23.09.2023, 12:00 Uhr
Mirjam Uhrich
Josias Neumüller holt hier eine gerade fertig gedruckte Halterung für ein Faceshield aus seinem 3D-Drucker. −Foto: Armer/dpa

Kulmbach - Noch schlaftrunken schaltet Josias Neumüller jeden Morgen den Drucker in seinem Kinderzimmer an.

 

Wenn er zu rattern anfängt, riecht es leicht süßlich. Der Druckkopf fährt dann eine Hufeisenform ab, aus einer Düse kommt ein dünner Faden. Nach etwas mehr als einer Stunde ist der 3-D-Drucker fertig: Ein Kunststoff-Rahmen für den Kopf, in den eine durchsichtige Folie eingeklemmt wird. Die Schutzvisiere fürs Gesicht sollen vor einer Infektion mit dem Coronavirus schützen. Krankenhäuser, Altenheime und Pflegedienste brauchen sie.

Vom Aufstehen bis zum Schlafgehen: Der 17-Jährige will so viele Visiere drucken wie irgendwie möglich. "Zwölf Stunden plus pro Tag, das trifft es eigentlich ziemlich gut", meint der Schüler. Er habe längst den Überblick verloren, wie viele er schon gedruckt habe. "Ich denke irgendwo zwischen 80 und 120."

Am Markgraf-Georg-Friedrich-Gymnasium in Kulmbach wird seit sechs Jahren 3-D-Druck unterrichtet - als Wahlfach oder im Rahmen der Begabtenförderung. Eigentlich drucken die Schüler gerade eine Fräse, erzählt Physiklehrer Wolfgang Lormes. Doch dann kam die Corona-Krise und Ärzte, Pfleger und Kliniken begannen verzweifelt nach Schutzmaßnahmen vor einer Ansteckung zu suchen.

Seitdem sind der Lehrer und sechs Jugendliche im Dauereinsatz. Oder besser gesagt ihre 13 3-D-Drucker, die sie bei sich zu Hause aufgebaut haben. Manche Schüler hätten sich sogar selbst einen Drucker gekauft, sagt Lormes. Auch bei ihm daheim rattern fünf Stück. "Nach dem Aufstehen mache ich morgens erst die Kaffeemaschine und dann die Drucker an. "

Bis es soweit war, experimentierten die Schüler stundenlang. Anfangs hätten sie sich einfach eine Anleitung aus dem Internet geholt, sagt der Physiklehrer. Aber mit den ersten Prototypen hätte das Klinikum Kulmbach erst einmal wenig anfangen können: Das Visier müsse für den medizinischen Einsatz oben geschlossen sein, es brauche mehr Stabilität und genug Abstand für Brillenträger, so die Rückmeldung.

"Wir haben uns viel darüber ausgetauscht, rumgetüftelt und neu konstruiert und überdacht", erzählt Schüler Bastian Steinlein. In Videokonferenzen jeden Abend. Wie schnell soll der Drucker fahren? Bei welcher Temperatur? Bis auf einen halben Zehntelmillimeter müssen die Einstellungen passen. Die Mühe lohnt sich: Mehr als tausend Visiere haben die Schüler schon kostenlos an Zahnärzte, Logopäden und das Klinikum Kulmbach geliefert. "Bis nach Halle geht das Zeug, von Wolznach bis nach Halle", sagt Wolfgang Lormes nicht ohne Stolz.

Nicht nur in Kulmbach laufen 3-D-Drucker auf Hochtouren: Das Gymnasium Neubiberg beispielsweise produziert Gesichtsschilder für Mediziner, Pfleger und andere systemrelevante Berufstätige. Auch die Hochschulen in Deggendorf, Nürnberg, Ingolstadt, Regensburg, Coburg, Hof und Landshut stellen Gesichtsschilder mit dem Drucker her.

Warum werden die Bildungseinrichtungen nicht dazu aufgerufen, Gesichtsschilder zu drucken? Das Wissenschaftsministerium beruft sich auf die Freiheit der Wissenschaft. Es gebe nicht genug Schulen, die technisch dafür ausgerüstet seien, heißt es aus dem Kultusministerium. Das Landratsamt Bamberg hat trotzdem alle Schulen angeschrieben - drei hätten sich gemeldet, teilte ein Sprecher mit. Die Koordination übernehme das Amt. Etwa 900 Masken habe man schon für Krankenhäuser, Altenheime, Pflegedienste und Arztpraxen gedruckt.

"Vielleicht schützt es nur eine einzige Person, infiziert zu werden", sagt Bastian Steinlein. "Aber die eine ist es halt trotzdem. " Man könne ohnehin nur so wenig tun, meint auch Josias Neumüller. Er wolle nicht nur herumsitzen, Abstand halten und Händewaschen.

dpa

Mirjam Uhrich