Rosenheim
Hagelabwehr aus dem Flugzeug

28.08.2017 | Stand 02.12.2020, 17:35 Uhr
Der Hagelfliegerpilot Georg Vogl sitzt am 31.07.2017 in der Nähe von Rosenheim (Bayern) im Cockpit seiner Arbeitmaschine. (zu dpa-Sommerserie "Mit Silberjodid Hagel verhindern" vom 20.08.2017) Foto: Angelika Warmuth/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++ −Foto: Angelika Warmuth (dpa)

Rosenheim (dpa) Wenn Georg Vogl in die Luft geht, braut sich am Himmel etwas zusammen. Der 59-Jährige ist Hagelflieger. In 2000 Metern Höhe „impft“ er Gewitterwolken mit Silberjodid.

Es ist ein heißer Sommertag, viele Menschen sind beim Baden oder sitzen in der Eisdiele. Georg Vogl aber sitzt auf der Terrasse seines Hauses nahe Rosenheim und beobachtet das Wetter. Daten von meteorologischen Diensten liefern ihm präzise Vorhersagen aufs Smartphone. Vor allem interessiert den 59-Jährigen, wo sich am bayerischen Alpenrand ein Gewitter zusammenbraut. Im Landkreis Weilheim-Schongau sieht es am Nachmittag ganz danach aus. Um 16.30 Uhr steigt Vogl ins Auto und fährt zum nahegelegenen Flugplatz Vogtareuth. Im Hangar stehen zwei einsatzbereite Flugzeuge.

Nach wenigen Minuten heben er und ein Kollege mit beiden zweimotorigen Maschinen ab – Hagelabwehr ist angesagt. Mit Silberjodid, einer Verbindung aus Silber und Jod, bekämpfen sie die gefährlichen Eiskörner, die immensen Schaden anrichten können. „Wir erreichen jede Ecke unseres Einsatzgebietes in sieben bis acht Minuten“, erläutert Vogl. Die Hagelflieger sind für Stadt und Landkreis Rosenheim, die Landkreise Miesbach und Traunstein sowie an die 20 österreichischen grenznahen Gemeinden rund um Kufstein im Einsatz – eine Fläche von zusammen 4800 Quadratkilometern.

Vogl ist Chef der Naturschutzbehörde am Landratsamt Rosenheim. Als gelernter Berufspilot leitet er das siebenköpfige Team der Hagelflieger. Hagelabwehr aus der Luft gibt es auch in Österreich und der Schweiz. An den Tragflächen der beiden je 420 PS starken Propellermaschinen hängen zwei Generatoren mit je 20 Litern in Aceton gelöstem Silberjodid, die in einer Gewitterzelle gezündet werden. Der Stoff besitzt eine dem Eis sehr ähnliche kristalline Struktur. „Jedes Gramm erzeugt Milliarden von Eiskeimen“, weiß Vogl. Das Silberjodid „impft“ die Gewitterwolke mit den Eiskeimen. Statt großer Eiskristalle bilden sich viele kleine. Anstelle dicker Hagelkörner kommen so am Boden allenfalls Graupelschauer oder gar nur Regen an. „Wenn ich sehe, wo in einem Gewitter eine impfwürdige Stelle ist, suche ich den Aufwind“, schildert der erfahrene Pilot. Das geschieht in etwa 2000 Metern Höhe.

Aus Erfahrung weiß Vogl, dass der Hagel in Zielrichtung der Gewitterzelle an der rechten Vorderseite anzutreffen ist. Entsprechend steuert er das zweimotorige Flugzeug genau dorthin. „Der Aufwind zieht mich regelrecht hinein, wo ich das Silberjodid loswerden will.“ Die durchschnittliche Dauer eines Hagelabwehrfluges liegt bei eineinviertel Stunden. Im Gewitter werden die beiden Flugzeuge gehörig durchgerüttelt. „Es ist turbulent, manchmal sehr turbulent“, sagt Vogl. „Aber unsere Maschinen sind sehr gutmütig.“ Die Sicherheit der Piloten hat immer Vorrang vor der Verhinderung eines Hagelschauers. „Man muss schauen, was man treibt, muss wissen, in welches Tal man noch hineinfliegen kann.“ Wenn es zu gefährlich wird, kehren Vogl und seine Kollegen um.

Angst kennt der Vater dreier erwachsener Kinder nicht, nur Respekt vor der Gefahr. „Meine Familie lebt seit Jahrzehnten damit.“ Die beiden bis zu 300 km/h schnellen Flugzeuge sind über 30 Jahre alt und gehören dem Landkreis Rosenheim. „Andere Landkreise haben Dienstwagen, wir haben Dienstflugzeuge“, schmunzelt Vogl. Regelmäßig fliegt er die Maschinen zur Wartung nach Stuttgart. Unterhalt, Treibstoff und Silberjodid kosten jährlich 230 000 Euro. In der Zeit zwischen 20. April und Ende September sind immer zwei Piloten einsatzbereit. Einer von ihnen ist Timo Nickl. Der 52 Jahre alte einstige Lufthansa-Pilot fliegt seit 23 Jahren nebenberuflich für die Hagelabwehr. „Die Sache ist es wert“, sagt der Familienvater, Skilehrer und Fotograf. „Wenn es mir nicht gefallen würde, wäre ich nicht dabei.“ Der Klimawandel bewirkt, dass die Gewitterhäufigkeit zunimmt. Immer präziser werdende Wettervorhersagen führen aber dazu, dass trotz steigender Einsatzzahlen die Flugzeuge weniger lang in der Luft sind. Um die Wetterdaten weiter zu verfeinern und damit die Hagelabwehr zu verbessern, arbeiten Vogl und sein Team mit der Hochschule Rosenheim zusammen. Eines haben sie dabei noch nicht ändern können: „Mich mögen die Gewitter nicht“, sagt der leidenschaftliche Hagelflieger. „Wenn ich im Dienstplan stehe, ist das Wetter meistens schön.“?dpa