Ingolstadt (DK) Lange bevor Ingolstadt zur Autostadt wurde, war es eine Eisenbahnstadt. Dieses Erbe pflegt im Keller des Apian-Gymnasiums eine Gruppe engagierter Schüler. Die Begeisterung für große und kleine Züge vermittelt ihnen ein ehemaliger Lehrer und Bahner.
Karl-Heinz Haak kommt als Schulleiter des Apian-Gymnasiums nicht allzu häufig in den Keller. Aber jedes Mal staunt er ein bisschen. "Es kommt immer wieder was dazu", sagt er mit Blick auf die Modelleisenbahn-Landschaften, die sich mittlerweile über mehrere Räume und den Flur erstrecken. Die Anlage ist deutlich älter als die Schüler, die sich um sie kümmern. Bis 1979 gehen die Anfänge des Eisenbahnkabinetts zurück. Gerd Böck bot damals einen Wahlkurs an. Die Schüler übernahmen die Pflege der Denkmallok 98 507 am Hauptbahnhof. Bis heute sind sie dafür zuständig. Böck arbeitete einst als Heizer auf einer Dampflok, bevor er sich entschied, trotz seiner Begeisterung für die Bahn Lehrer für Latein, Geschichte und Griechisch zu werden.
Mittlerweile ist Böck 69 und im Ruhestand. Dennoch reist der Münchner immer noch einmal in der Woche nach Ingolstadt, um die Teilnehmer des Wahlfachs zu betreuen. Die kommen mittlerweile sogar aus der benachbarten Realschule und anderen Gymnasien. Auch ehemalige Schüler sind dabei, die - wie Böck - nicht von der Sache lassen können. "Ich möchte den Schülern ins Bewusstsein bringen, dass Ingolstadt eigentlich eine Eisenbahnerstadt und keine Autostadt ist", erklärt der ehemalige Lehrer. "Die Bahn hat den Wohlstand gebracht, nicht Audi." Und so wird die regionale Eisenbahngeschichte wohl an keinem anderen Ort der Stadt so intensiv gewürdigt wie im Keller des Gymnasiums. Die Sechstklässler Maximilian Gunnesch, Kevin Scherghuber, Marcus Prieller und Arne Mehner aus der Siebten können zum Beispiel einiges über das Ausbesserungswerk berichten, das hier als Modell weiterbesteht. Sie wissen auch über die Explosion im Februar 1947 am Ingolstädter Hauptbahnhof Bescheid, als ein Kesselwagen in die Luft flog. Wer recherchieren will - vielleicht über den katastrophalen Unfall zwischen den beiden Ingolstädter Bahnhöfen am Abend des 2. März 1972 -, findet im akribisch geführten Archiv Antworten. Der 17-jährige Marius Geier hat sich unter anderem der Pflege der Fotos, Zeitungsartikel, Zeichnungen und Filme verschreiben. "Es ist alles nach Themen geordnet", betont er und verweist auf dicke Aktenpakete. Seit der 6. Klasse ist er im Wahlfach aktiv. Er könne sich durchaus vorstellen, später einmal als Eisenbahningenieur zu arbeiten, sagt er.
An der Wand zeichnet die Ausstellung "Lokomotiven - Symbole der Geschichte" die Entwicklung von den Dampfanlagen der Römer bis zum ICE nach. Im Eisenbahnkabinett wird außerdem eine Liste aller Loks gepflegt, die je in Ingolstadt haltgemacht haben. Dazu gibt es Informationen zu Eisenbahnverkehrsregeln, Dienstvorschriften und warum die Bahn das umweltfreundlichste Verkehrsmittel ist. Anhand eines Modells erklären Arno und Maximilian anschaulich, wie klein die Fläche ist, auf der die Räder eines Zuges auf der Schiene aufsetzen. "Gerade mal so groß wie eine Briefmarke. Entsprechend klein ist die Reibung und damit der Energieverbrauch."
Viel Zeit und Arbeit erfordern die Modellbahnanlagen. Sechs bis sieben Kilometer dürften die Miniaturgleise insgesamt lang sein. Unter anderem haben die Schüler den Streckenabschnitt zwischen Reichertshofen und Ingolstadt nachgebaut. "Da stimmt jedes Signal an der Strecke", betont Arno. Auch der Betrieb wird simuliert. Fahrdienstleiter an den Trafos sind für die Einhaltung des Fahrplans verantwortlich.
Im Nachbarraum arbeiten die beiden 14-Jährigen Simon Knöferl und Ole Siegmund an einer weiteren Anlage. Unterstützt werden sie von Klaus Meyer vom Verein der Eisenbahn- und Modellbaufreunde. "Die Älteren sind vor allem am Bauen interessiert, die Jüngeren spielen halt", berichtet er. "Mich interessiert die Technik hinter der ganzen Sache mehr als der Landschaftsbau", sagt zum Beispiel Simon. Der wiederum macht einer anderen Gruppe besonders viel Spaß, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, den Bahnhof von Oberstaufen möglichst naturgetreu nachzubauen, und dazu auch schon eine Exkursion ins Allgäu gemacht hat, um sich den Originalbahnhof anzusehen.
Der Enthusiasmus, mit dem die großen und kleinen Eisenbahnfreunde des Apian zugange sind, sieht man der Anlage und den Ausstellungsstücken an. Als vor einiger Zeit der Stadtrat im Apian Station machte, um das Blockheizkraftwerk zu begutachten, stahlen sich einige von der offiziellen Baustellenrundfahrt davon, um stattdessen die Modellbahn in Augenschein zu nehmen.
Manch einer sah sich da plötzlich einem Fahrkartenkiosk gegenüber. Er stammt aus der umfassenden Eisenbahnsammlung von Karl Reichler, die - nachdem im Stadtmuseum kein Platz für sie war - jetzt ebenfalls im Keller des Apian einen würdigen Ort gefunden hat. So hat Böck wohl nicht ganz unrecht, wenn er stolz anmerkt: "Wir sind das Ingolstädter Eisenbahnmuseum."
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