München (DK) Lange weitgehend unbeachtet, wird gerade ein Gesetzentwurf auf den Weg gebracht, der die Befugnisse der bayerischen Polizei "zur Abwehr von Sicherheitsgefahren" deutlich ausweitet. Das mag zunächst durchaus positiv klingen, bedeutet zugleich aber einen tiefen Eingriff in die Grundrechte und Privatsphäre von Bürgern.
Was ein Polizist darf und was nicht, ist unter anderem im Polizeiaufgabengesetz (PAG) festgelegt. Es gestattet den Einsatzkräften schon bisher, in bestimmten Fällen auch ohne richterliche Anordnung zu walten, etwa bei einer Wohnungsdurchsuchung. Das Zauberwort lautet "Gefahr im Verzug" oder anders gesagt: Wenn die richterliche Anordnung nicht rechtzeitig vor Eintritt eines zu erwartenden Schadens ergehen könnte, liegt Gefahr im Verzug vor, und die genannte Durchsuchung ist somit ohne Beschluss zulässig.
Die nun anstehende PAG-Novellierung stützt sich auf mehrere Grundlagen. Sie dient "insbesondere der Umsetzung des Bundesverfassungsgerichtsurteils vom 20. April 2016 und der EU-Richtlinie 2016/680 vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden", begründet das bayerische Innenministerium den Entwurf. Zugleich fließen Erfahrungen aus dem Anschlag von Ansbach und dem Amoklauf von München in das Papier ein. Diese Bausteine würden "zum Motivcocktail" gemixt, sagt Thomas Petri als bayerischer Landesbeauftragter für Datenschutz. Was dabei herausgekommen ist, erfüllt ihn mit Sorge.
Die neuen Befugnisse sind, werden sie wie im Entwurf abgesegnet, gewaltig. So soll die Polizei künftig etwa erweiterte DNA-Analysen veranlassen dürfen, um bessere Täterprofile und Details zur biogeografischen Herkunft Verdächtiger zu erhalten. "Ein Tabubruch", wie Datenschützer Petri findet. Man habe bisher bei der DNA nicht "in die Gene geschaut", sondern nur nichtkodierte Teile zum Abgleich von Spuren verwendet. Künftig könne es bei einer verdächtigen Person heißen: "Welche Haarfarbe, welche Augenfarbe, welches Alter hat sie, von welchem Kontinent stammt sie?" Petri hält das für "rechtsstaatlich nicht gesichert".
Neben "Gefahr im Verzug" gibt es mit der Novelle ein neues Zauberwort: die "drohende Gefahr". Eine Straftat muss also noch gar nicht begangen worden sein, sondern nur möglicherweise kurz bevorstehen, um der Polizei nach ihrem subjektivem Empfinden Handlungsspielraum zu geben. Dazu gehört etwa das Filmen von Demonstrationen und der automatisierte Gesichterabgleich von Menschen, die nichts anderes tun, als ihr Recht auf Versammlungsfreiheit auszuüben.
Zugleich soll die Polizei Computer und Mobiltelefone überwachen, zur Gefahrenabwehr Daten löschen und verändern, Verschlüsselungssysteme umgehen und selbst auf entfernte Cloudspeicher zugreifen dürfen.
Das ist freilich längst nicht alles, was teils ohne eine richterliche Anordnung geheimdienstähnlich möglich sein wird, sollte der Entwurf durchgehen. Polizisten sollen Telefone überwachen und Briefe öffnen, Gefährder einsperren (mit Richterbeschluss sogar unbefristet!) oder ihren Aufenthaltsort bestimmen dürfen. Der Einsatz von elektronischen Fußfesseln zur Aufenthaltsfeststellung und von Körperkameras ("Bodycams") sind weitere Punkte.
Wenn die Polizei etwa bei einem Ehekrach mit laufender Kamera in eine Wohnung eindringe, sei das "ein ziemlich klarer Verstoß gegen das Grundgesetz", sagt der Datenschutz-Landesbeauftragte Thomas Petri. Bayern gehe hier ein sehr hohes Risiko ein, dass diese Regelung in ein, zwei Jahren durch das Bundesverfassungsgericht wieder aufgehoben wird.
Der Zugriff auf elektronische Speichermedien ist laut Petri ebenfalls sehr problematisch. Man öffne der Polizei ohne größere Hürden den Zugriff auf riesige Datenmengen. Das sei eine andere Nummer als eine Rucksack- oder Fahrzeugkontrolle. Solche weit reichenden Befugnisse bereiten Petri große Sorgen. Die Einschreitschwellen seien nahezu alle konsequent herabgesetzt worden, zugleich würden immer mehr Daten unbescholtener Bürger gesammelt. "Diese Kombination ist giftig für unsere Gesellschaft." Die EU-Richtlinie, auf die sich der PAG-Entwurf bezieht, "sollte eigentlich der Stärkung des Datenschutzes dienen und nicht der Absenkung des Schutzniveaus".
Innenminister Joachim Herrmann sieht im neuen Polizeiaufgabengesetz dagegen einen Gewinn an Sicherheit. Damit sollten die Bürger vor hochgefährlichen Menschen wie Islamisten, Links- und Rechtsextremisten geschützt werden. Die Deutsche Vereinigung für Datenschutz in Bonn warnt derweil vor einer Totalüberwachung, sollte der PAG-Entwurf realisiert werden. "Künftig benötigt die Polizei nicht mehr Fakten, es genügen Mutmaßungen. Verdächtigungen und Spekulationen sollen also künftig polizeiliches Handeln leiten können", sagt Vorstandsmitglied Thilo Weichert.
Die Gewerkschaft der Polizei sieht die PAG-Novellierung zum einen positiv. "Für die Kollegen schafft das auf jeden Fall mehr Rechtssicherheit", stellt Landesvorsitzender Peter Schall fest. Gleichwohl ist er nicht mit allen Dingen einverstanden - etwa mit dem unbefristet möglichen Sicherheitsgewahrsam oder dem Anbringen von elektronischen Fußfesseln. "Wenn jemand eine Bombe hochgehen lassen will, tut er das mit oder ohne Fußfessel", sagt Schall. "Auch der Begriff ,drohende Gefahr' geht mir zu weit." Angst davor, dass die Polizei künftig nach Gutdünken handelt, plagt ihn aber nicht. "Es gilt bei allem immer der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Und der Bürger kann jederzeit Beschwerde einlegen, wenn er meint, falsch behandelt worden zu sein."
Das neue Polizeiaufgabengesetz wird voraussichtlich Ende April im Landtag verabschiedet.
Horst Richter
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