Gaimersheim
"Gebete in Musikform"

19.04.2022 | Stand 23.09.2023, 0:47 Uhr
Kleiner Klangkörper, große Musik: Günther Bernhardt präsentiert eine ungewöhnliche Version der Johannespassion. −Foto: Screenshot

Im Sommer verabschiedet sich Chorleiter Günther Bernhardt, nun hat er noch ein faszinierendes Video der Johannespassion aufgezeichnet.

"Wir sind ein Kirchenchor von ganz einfacher Natur", erzählt Günther Bernhardt in seiner bescheidenen Art lächelnd über seine Gaimersheimer Kantorei, die er seit 1966 leitet. Seine Fähigkeiten als Dirigent hat sich der engagierte Politiker nach seinem Klavierunterricht an der Ickstatt-Realschule hauptsächlich autodidaktisch angeeignet, obwohl er daneben freilich auch viel von anderen Chorleitern lernte. Wie etwa von Münsterorganist Franz Hauk, bei dessen Projekten er immer wieder als Chorist im Bass mitwirkte.

Als Kirchenmusiker arbeitet er regelmäßig mit drei Chören parallel. Dem gemischten Gesamtchor, einem Männerchor (etwa im Stil der Comedian Harmonists), und mit den jungen Chormitgliedern singt er oft moderne Literatur, auch aus dem Jazz-, Schlager- oder Unterhaltungsbereich. Mit der Einweihung des neuen Kirchenbaus 1999 entwickelte sich der Klangkörper zu einer sehr ökumenisch besetzten Gemeinschaft, die neben den festen Kirchenfeierlichkeiten außerdem jährlich ein großes Weihnachtskonzert gestaltet. Für die Lesungen war dabei bisher stets die Prominenz der Region vertreten, wie etwa Horst Seehofer, der frühere Dekan Isidor Vollnhals, Siegfried Schneider oder Münchens ehemaliger Oberbürgermeister Christian Ude. "Das habe ich in den 80er Jahren von Hans-Rudolf Zöbeley und seinem Münchner Motettenchor abgekupfert und auf unsere Verhältnisse heruntergefahren", gibt Bernhardt spitzbübisch zu. Sogar Rundfunkaufnahmen anlässlich eines Erntedankfests entstanden damals, als der Chor noch unter dem Zusammenschluss "Evangelischer Kirchenchor Friedrichshofen-Gaimersheim" firmierte.

Video-Projekte mit hohen Zugriffszahlen

Als besonderes Sommer-Event etablierte Bernhardt eine Serenade mit geistlicher und weltlicher Musik. Immer ein herausragendes Highlight, zu dem man eine Stunde vorher erscheinen musste, um noch einen Platz zu ergattern. Konzerte in Mailand, im ungarischen Györ oder eine ausverkaufte Chormatinee im Konzerthaus Blaibach im Bayerischen Wald zählen zu den Höhepunkten der Chorbiografie. "So schwimmt man als kleiner Stadtrandchor auch einmal ein bisschen oben", schmunzelt Bernhardt.

Und weil die Corona-Pandemie noch weitere kreative Wege verlangte, entstanden 2020 die ersten Videoaufnahmen für das Projekt "Kirchraum Ingolstadt". Sogar im Bayerischen Adventskalender war die Kantorei auf diese Weise vertreten und erreichte dort die zweithöchsten Klickzahlen. Durch solche Initiativen konnte das Ensemble die beiden Corona-Jahre gut überstehen.

Das A und O jeglicher Kirchenmusik sind für Günther Bernhardt allerdings die Choräle: "Das Kirchenlied, das gemeine, einfache Lied für die Menschen ist Gebet in Musikform. " Aus diesem Grund bietet er seit Jahren für den Karfreitagsgottesdienst in seiner Gemeinde ein besonderes Konzept an. Denn die Friedenskirche in Gaimersheim mit ihren gestaffelt gebauten Emporen sieht er als ideale "Kirchenmusiker-Kirche", die nicht nur genügend Platz für alle Mitwirkenden, sondern darüber hinaus eine eindrucksvolle Akustik bietet. Beste Voraussetzungen, um die Passionen von Heinrich Schütz, von Reinhard Keiser oder Mozarts Requiem zur Aufführung zu bringen. Natürlich erklangen hier auch bereits die Bach-Passionen - "in den für uns machbaren Teilen", wie der 77-Jährige erläutert. Und das nicht etwa im Rahmen eines Konzerts, losgelöst vom liturgischen Kontext. Vielmehr werden diese Passagen unmittelbar in den Gottesdienst-Ablauf integriert, indem sie die Stelle der Verkündigung des Evangeliums einnehmen. "Es ist doch geboten, dass man diese größte Musik aller Zeiten wieder dorthin bringt, wo sie hingehört", findet Bernhardt. Genau deshalb hat er für die Liturgie zum diesjährigen Karfreitag mit seiner Kantorei erneut Bachs Johannespassion einstudiert und ohne Publikum auf Video aufgezeichnet.

Günther Bernhardt, der zwölf Jahre lang Zweiter Bürgermeister von Gaimersheim war, versteht es nach wie vor, seine Sänger und Musiker bis an ihre Grenzen zu motivieren, ihre Lust auf solche anspruchsvollen Kompositionen zu wecken. Von den insgesamt elf Chorälen der Johannespassion lässt er wohldosiert sieben ausgewählte für seine reduzierte Kurzfassung singen, die übrigen vier erklingen rein instrumental. Erstens, um den Chor nicht zu "überfüttern" und zweitens, um so eine musikalisch noch spannendere Mischung zu erreichen. Auf die dazwischen liegenden Arien - und damit auf Gesangssolisten - verzichtet er völlig. Ihm kommt es darauf an, das Werk in seiner Stringenz, in seiner Atmosphäre zu erfassen, so dass beispielsweise im Aufnahmeverlauf auch die entsprechenden Pausen enthalten sind, um die Live-Situation des Geschehens möglichst authentisch widerzuspiegeln.

Das Orchester besteht dabei durchweg aus versierten Musikern und Musikerinnen der Region, sorgt für ein wohltuend ausgewogenes, passend dezent schattiertes Klangbild, geprägt durch den ruhigen, zurückgenommenen, aber dennoch intensiven Puls der Zeichengebung von Günther Bernhardt.

Passagen des Evangelistenwerden gelesen

Die Passagen des Evangelisten sowie der übrigen Rollen, die hier von der Rezitativ- in eine pure Textform übertragen wurden, liest souverän und ausdrucksstark Diakon Sebastian Schäfer, dem zugleich die Aufnahmeleitung obliegt. Nach ähnlichem Prinzip werden die Tuba-Chöre der Hohenpriester und der Juden von der Gaimersheimer Kantorei gestaltet: Sie mögen als Sprechgesang, in ihrer rein rhythmisch rezitierten Modifizierung, zwar vielleicht weniger dramatisch als im Original wirken, lassen die Handlung aber aus der erzählenden Perspektive dennoch folgerichtig voranschreiten.

Homogenen chorischen Zusammenklang dagegen entfaltet die Gaimersheimer Kantorei besonders in den leisen, anrührenden, intimen Momenten der andächtig kommentierenden Choräle, der imposanten Eingangs- und Schlusschöre, agiert aber an den entscheidenden Stellen auch mit großer Eindringlichkeit, welche am Ende tröstlich-hoffnungsvoll den Tod durch Christi Auferstehung besiegt.

Nach diesem letzten großen kirchenmusikalischen Projekt wird Günther Bernhardt im Sommer sein Amt als Chorleiter niederlegen und es an seine Nachfolgerin, die Sopranistin Susanne Kölbl, weitergeben. Am 15. Juli wird er seine Abschieds-Serenade dirigieren - diesmal im Vorwerk, das sich dann mit dem Opernchor aus Verdis "Nabucco" und Werken von Brahms zum eigenen Kulturplatz verwandelt.

DK


Das Video steht im Rahmen des Projekts "Kirchraum Ingolstadt" auf YouTube zur Verfügung.

Heike Haberl