Unterpindhart
Ganz großes Kopfkino

Martin Zingsheim glänzt in Unterpindhart mit bissigem Kabarettprogramm

12.10.2015 | Stand 02.12.2020, 20:42 Uhr

Vielumjubelter Kabarettist: Martin Zingsheim begeisterte das Publikum bei seinem zweiten Gastspiel auf der Unterpindharter Kleinkunstbühne - Foto: Zurek

Unterpindhart (GZ) Bei seinem ersten Auftritt in Unterpindhart wurde Martin Zingsheim als Shootingstar gehandelt. Drei Jahre und etliche Preise später ist er ein Fixstern am Kabaretthimmel. Sein Auftritt am Wochenende auf der Kleinkunstbühne beim Rockermeier: einfach glänzend.

Adrett, ein strahlendes Lächeln um die blauen Augen – wie er so die Bühne betritt, entspricht der 31-Jährige perfekt dem Klischee des Bilderbuch-Schwiegersohnes. Bissiger Wortakrobat, gnadenloser Derblecker (freilich in perfektem Hochdeutsch)? Der doch nicht, denkt man. Doch allmählich dämmert die Erkenntnis, dieser lausbubenhafte Charmeur aus Köln hat es faustdick hinter den vermeintlich noch nicht trockenen Ohren. Ohren, die ganz genau hinhören. Ohren, hinter denen ein höchst aktives Hirn das Gehörte analysiert, seziert, entlarvt.

„Kopfkino“ heißt das aktuelle Programm. Wohl, weil für das, was der da oben auf der Bühne sagt, singt und tut, die eigenen grauen Zellen als Projektionsfläche dienen. Das Scharfstellen dauert ein wenig. Nach und nach gelingt das Fokussieren und man möchte Tränen lachen über das, was hinter der eigenen Stirn so an Bildern entsteht. Wieder eine Momentaufnahme später, in der Zeitlupe, dämmert jedoch die Erkenntnis: Zingsheim hält uns den Spiegel vor. Wir sind es, deren Revolte gegen Ungerechtigkeit sich in Online-Petitionen erschöpft. Wir sind es, die statt Protestsongs eine Sozialkritik fordern, auf die man „tanzen kann“. Und wir müssen uns fragen, warum uns die Reihenfolge „Einigkeit und Recht und . . . Freiheit“ in unserer Nationalhymne so gar nicht stutzig macht.

Zingsheim ist politisch. Dabei hat er weniger einzelne Personen im Auge, als das System an sich. Politik als „komplett folgenloses Hobby“, das dem Dirigieren zu einer CD gleicht. Wobei die CD von der Wirtschaft eingespielt wurde.

Zingsheim ist philosophisch. Führt vor Augen, dass ein Ozean auch mit noch so viel Millionen Pixel auf dem Foto am Ende nur Wasser ist. Aber er ist eben auch überaus witzig. Ob er die Sprachlosigkeit der Twitter-Generation in Szenen einer Ehe beschreibt, „improvisierte“ Liebeslieder zum Besten gibt (am Keyboard ist er auch als Herman van Veen und Klaus Kinski eine Wucht) oder den Versuch, „fleischlos“ zu talken, mit tierischen Redewendungen ad absurdum führt. Da wird der Hund in der Pfanne verrückt.

Das Publikum tobt, wird mit etlichen Zugaben aus den filmischen „Out Takes“ belohnt. Bis Zingsheim dem Abend mit der Ballade „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten“ ein ergreifendes Ende beschert. Seine Interpretation der Volksweise wirbt um Verständnis für jene, deren Leben im Nebel des Vergessens versinkt. Und denen man das, was ihnen noch an subjektiver Wahrheit bleibt, nicht nehmen darf. Großes Kino, nicht nur im Kopf, auch im Herzen.