Auf Nummer sicher
Gaimersheimer Daten- und Softwareunternehmen EFS treibt autonomes Fahren voran

07.04.2021 | Stand 23.09.2023, 17:50 Uhr |
Timo Schoch
Die Welt aus Sicht einer Künstlichen Intelligenz: Verkehrsteilnehmer, Straße und Umwelt werden sicher erkannt. In Zukunft sollen autonom fahrende Autos den Verkehr sicherer machen. Daran wird auch in der Region gearbeitet. − Foto: Mackevision Medien Design GmbH

Das Gaimersheimer Daten- und Softwareunternehmen EFS ist eines von 80 deutschen Unternehmen, die den Bereich autonomes Fahren vorantreiben. Das Projekt ist über mehrere Jahre angelegt und verbindet sonst konkurrierende Automobilunternehmen und -zulieferer.

 

Gaimersheim - Eine Szene, die jederzeit in einer Stadt irgendwo vorkommen kann: Eine Ampel zeigt Grün. Links und rechts stehen und warten Menschen, aber zwei Personen huschen noch schnell über die Straße. Als menschlicher Autofahrer würde man diese Szene nun erkennen, reflexartig vom Gas gehen und versuchen zu bremsen. Das soll beim autonomen Fahren auch nicht anders sein. Der Unterschied: Das Fahrzeug steuert keine Person, sondern ein komplexes Hard- und Softwaresystem. Diese Künstliche Intelligenz (KI) soll irgendwann einmal besser handeln und dazu schneller reagieren als ein Mensch. Dafür ist eine fehlerfreie und zuverlässige Umfelderkennung eine Grundvoraussetzung, damit autonomes Fahren in der Praxis sicher funktionieren kann. Damit ein autonomes Fahrzeug solch komplexe Situationen auch korrekt erkennt, arbeiten in Deutschland derzeit verschiedene Forscher und Unternehmen an sogenannten KI-Methoden.

Denn für die deutsche Automobil-Industrie ist das Thema KI von entscheidender Bedeutung. Es soll einen Wettbewerbsvorteil in der international umkämpften Branche bringen. Deshalb gibt es in diesem Bereich Allianzen quer über sonst konkurrierende Automobilhersteller und Zulieferer hinweg, die gemeinsam an dieser Technologie arbeiten und forschen. Zur KI-Familie beim autonomen Fahren zählen dabei vier Projekte und 80 Unternehmen und wissenschaftliche Institute. Rund 700 Mitarbeiter arbeiten an diesen Projekten. Mit einem Budget von rund 122 Millionen wird in den Bereichen KI-Absicherung, KI-Delta-Learning, KI-Data-Tooling und seit Januar 2021 auch im Bereich KI-Wissen geforscht. Unter den Technologietreibern befindet sich neben dem Ingolstädter Automobilhersteller Audi beispielsweise auch das Gaimersheimer Unternehmen EFS in den Bereichen KI-Absicherung und KI-Wissen.

Die Verkehrssituationen sind teilweise extrem komplex. Es gibt unzählige Regeln, dazu nicht einkalkulierbare Szenarien, wie plötzlich auftauchende Verkehrsteilnehmer, verschiedenste Wetter- und Lichtsituationen, andere Autos. "Alles ist hochdynamisch und muss von der KI ständig interpretiert werden", sagt Branimir Lukac, der Leiter des Bereichs Entwicklung neuer Technologien bei EFS. Und genauso wie ein Kind seine Umwelt erforscht, müsse auch die KI angelernt werden. "Wenn ein Kind erstmals eine Katze sieht, weiß es dann künftig: Das ist eine Katze. Aber dann muss es noch lernen, dass die Katze auch orange sein kann, schwarz oder gestreift", sagt Lukac. Bei der KI läuft es ähnlich ab. Außerdem wird das angelernte Wissen der KI laufend überprüft: "Wir müssen beobachten, auswerten und dann feststellen: War das nun ein gutes Verhalten oder nicht", sagt Jonas Schneider, Projektleiter KI-Absicherung bei EFS.

Dafür arbeiten die Industrie und die Wissenschaftler in den einzelnen Bereichen KI-Absicherung, KI-Delta-Learning, KI-Data-Tooling und KI-Wissen eng zusammen. "Dieser Brückenschlag ist bislang einmalig", sagt Schneider. Am Ende soll es ein zertifiziertes Modell geben, das in den Autos verschiedener deutscher Hersteller eingesetzt wird. "Der Kunde hat dann die Sicherheit und kann auf dieses Produkt vertrauen, wenn er ein solches zertifiziertes Automobil erwirbt", erklärt Schneider weiter. Die Differenzierungsmerkmale seien dann Funktionalität und Design, nicht jedoch die Sicherheit der verbauten Funktionen. "Das Know-how dahinter ist bei allen gleich", sagt Schneider.

Vor rund zweieinhalb Jahren nahm dieses Projekt Fahrt auf. Der Bereich KI-Data-Tooling sorgt für eine umfangreiche Datenbasis beim autonomen Fahren. Das neueste Projekt, KI-Wissen, erweitert diese Datenbasis um Expertenwissen, wie beispielsweise die Regeln der StVO. "Das ist wie bei einem Fahrschüler, der zwölf Fahrstunden hat. Dieser sammelt auch immer neues Wissen und Daten, erhält also Erfahrung", sagt Schneider. Im Bereich KI-Delta-Learning werden Methoden und Werkzeuge zur Erweiterung und Transformation vorhandener KI-Module autonomer Fahrzeuge auf neue Domänen und komplexe Szenarien entwickelt. "Eine Kreuzung sieht beispielsweise in den USA anders aus als in Deutschland oder in China", sagt Lukac. Dies müsse skalierbar sein. Die Königsdisziplin ist die KI-Absicherung, die dann die anderen drei Bereiche zusammenführt und das autonome Fahren in der Praxis sicher machen soll.

Viel geht dabei über das Thema Vertrauen beim Kunden, daran lässt Schneider keine Zweifel. "Die Technologie muss so konzipiert sein, dass sie für die Menschen verständlich ist und gerichtsfest." Schließlich soll das autonome Fahrzeug in absehbarer Zeit den Verkehr sicherer machen und unübersichtliche Situationen besser lösen können als der menschliche Autofahrer. Denn während der Mensch in der eingangs beschriebenen Situation noch eine Schrecksekunde hat und möglicherweise das Auto nicht mehr rechtzeitig abbremsen kann, könnte das autonome Fahrzeug einen Unfall durch eine schnellere Reaktion noch verhindern. Damit es aber in der Realität soweit kommt, forschen und entwickeln die 80 Unternehmen und EFS weiter an einer sicheren KI.

DK

DAS UNTERNEHMEN

EFS wurde im Jahr 2009 gegründet. Damals ging das Unternehmen mit dem Hauptsitz in Gaimersheim noch mit dem Geschäftsfeld der Namensabkürzung „Elektronische Fahrwerksysteme“ an den Start. Inzwischen gibt es zwei weitere Standorte in Wolfsburg und Erlangen. Und auch das Tätigkeitsfeld hat sich stetig erweitert. „Wir sind inzwischen ein daten- und softwaregetriebenes Unternehmen“, sagt Lisa Cziczek von der  Unternehmenskommunikation. Hauptauftraggeber ist die Volkswagen AG. Rund 600 Mitarbeiter beschäftigt EFS. Eines der Leuchtturmprojekte von EFS ist das vom Verband der Automobilindustrie (VDA) initiierte Thema der KI-Familie. „Aber wir haben noch weitere Forschungs- und Kooperationsprojekte“, sagt Cziczek. „Dabei bilden wir die gesamte Kette vom Forschungsprojekt bis ins Fahrzeug ab“, sagt Jonas Schneider, Projektleiter KI-Absicherung. Ein weiterer Tätigkeitsschwerpunkt ist auch das Datenmanagement für Analysen von Fahrzeugmessdaten oder die Virtuelle Entwicklung. „Dabei modellieren wir physikalische Fahrzeugmodelle in der virtuellen Welt“, sagt Branimir Lukac, Leiter Entwicklung neuer Technologien. DK

Timo Schoch

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