Frankfurt/Main
Friedenspreis für Fotograf Sebastião Salgado

20.10.2019 | Stand 02.12.2020, 12:48 Uhr
Große Emotionen: Sebastião Salgado und seine Frau Lélia Wanick Salgado. −Foto: Andreas Arnold/dpa

Seine Bilder zeugen von der Würde des Menschen und von der Verletzlichkeit des Planeten: Sebastião Salgado wird als erster Fotograf mit dem Friedenspreis ausgezeichnet. Der Brasilianer zeigt sich gerührt - und richtet mahnende Worte an die Gesellschaft.

„Kann Fotografieren ein Akt des Friedens sein?“ Diese Frage stellt der Regisseur Wim Wenders zu Beginn seiner Laudatio in der Frankfurter Paulskirche. Es ist die Laudatio auf Sebastião Salgado, der kurz darauf - als erster Fotograf überhaupt - den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels entgegennimmt.

„Meine Sprache ist das Licht“, sagt Salgado in seiner emotionalen Dankesrede. Denn seine Mission sei, „Licht auf Ungerechtigkeit zu werfen“.

Mit Salgado wurde am Sonntag ein Künstler ausgezeichnet, „der mit seinen Fotografien soziale Gerechtigkeit und Frieden fordert und der weltweit geführten Debatte um Natur- und Klimaschutz Dringlichkeit verleiht“, hieß es in der Begründung der Stiftung. Seine konsequent in Schwarz-Weiß gehaltenen Bilder zeigten durch Kriege oder Klimakatastrophen entwurzelte Menschen. „Und er macht die geschändete Erde ebenso sichtbar wie ihre fragile Schönheit.“

Nach Frankfurt kommt Salgado mit seiner Frau Lélia. Die beiden sind seit über 50 Jahren verheiratet, haben zwei Söhne und zwei Enkel. Der sanftmütig wirkende Brasilianer ist sichtlich gerührt. Zwei Mal kommen ihm die Tränen - wenn er von dem wohl Schrecklichsten und dem Schönsten berichtet, was ihm in seinem reichhaltigen Leben widerfahren ist: der Genozid in Ruanda und seine Lélia, „die schönste Frau, die ein Mann im Traum finden, küssen und heiraten könnte“.

Salgado, der auf einer Rinderfarm aufwuchs, engagierte sich gegen die Militärdiktatur in Brasilien. 1969 emigrierte er nach Paris. Für seine eindrücklichen Fotoprojekte bereiste der studierte Wirtschaftswissenschaftler mehr als 120 Länder. Und er ließ sich immer Zeit, um wirklich eine Verbindung zu den Menschen und ihren Geschichten aufzubauen. Teils verbrachte er Wochen und Monate bei Stämmen, in Goldminen oder Krisengebieten.

Nun steht der „Welt-Zeuge“, wie ihn Wenders nennt, in der Paulskirche und berichtet von all den Menschen, denen er bei seiner Arbeit begegnet ist. Von ausgebeuteten Arbeitern und bedrohten Ureinwohnern, von Gewaltopfern und Hungernden. Mit ihnen wolle er diesen Preis teilen: „Ich nehme ihn nicht für mich an, ich nehme ihn für sie an.“

Es geht um vertriebene Völker in Mexiko, den Krieg in Jugoslawien oder Hungerkatastrophen. Und es geht um „meine Freunde aus dem Regenwald“. Die indigenen Stämme in Brasilien seien bedroht von „der zerstörerischen Politik der neuen brasilianischen Regierung und den Bränden, die immer neue Gebiete des Urwalds vernichten“ - auch um den Soja-Bedarf in Europa zu stillen.

Bei seiner intensiven Arbeit ist Salgado an der Menschheit schier verzweifelt. „Ich hatte den Glauben an die Spezies Mensch verloren. Ich habe so schreckliche Dinge gesehen, so viel Brutalität, so viel Gewalt. Mein Geist und meine Seele waren krank“, erklärte er im Interview der Deutschen Presse-Agentur.

„Er blickt so tief in das Herz der Dunkelheit (...) Fast wäre er daran zerbrochen“, sagt auch Wenders, der Salgado in dem oscarnominierten Dokumentarfilm „Das Salz der Erde“ porträtierte. „Aber er lässt sich heilen, mit Hilfe derselben Kamera, die das äußerste Leid und den schlimmsten Horror gesehen hat.“

Nach den unaussprechlichen Gräueln von Ruanda hat Salgado das starke Bedürfnis, Reinheit zu finden - auch die Reinheit der Umwelt, der Flora und Fauna, der Bäume und der urwüchsigen Natur. Für sein gigantisches Fotoprojekt „Genesis“ reiste er acht Jahre in zig Länder; dokumentierte die Schönheit der Schöpfung. „Er findet das Paradies, oder zeigt uns, dass es das noch gibt“, so Wenders.

Mit seiner Frau, die nicht nur als Layouterin und Gestalterin einen großen Anteil an seiner Arbeit hat („Lélia, dieser Preis gehört Dir genauso wie mir“), ruft er zudem ein Mammutprojekt ins Leben. Anfang der 90er Jahre kehrte das Paar nach Brasilien zurück und gründete das „Instituto Terra“. Auf zerstörtem Boden starten sie eine Wiederaufforstung des Regenwalds.

Bislang wurden dort um die 2,7 Millionen Bäume gepflanzt und auch die Tiere sind zurückgekehrt. „Wir haben jetzt 170 Vogelarten, Krokodile, Jaguare, Affen. Das hat mein Leben so viel glücklicher - und so viel wichtiger - gemacht “, sagte Salgado im dpa-Interview.

Wenders findet dazu in seiner Laudatio treffende Worte. Und er erklärt, warum nicht nur Fotografieren ein Akt des Friedens sein könne. „Das Unfassbare ist: Auch wenn Du kein einziges Foto gemacht hättest, Sebastião, wärst Du trotzdem ein Held des Friedens.“ Dafür sprächen die gepflanzten Bäume und der Beweis, dass selbst die schlimmsten Verletzungen der Natur rückgängig gemacht werden könnten. „Auch dieses Kapitel Deines Lebens könnte Genesis heißen. Eine andere Genesis, in der wir Verantwortung übernehmen.“

Salgado kommt am Schluss seiner Dankesrede nochmal auf seine Zweifel an der Menschheit - aber auch auf seine Hoffnung - zurück: Denn der Zweifel dürfe nicht die Hoffnung nehmen, dass etwas anderes möglich sei. „Irgendwie müssen wir neue Mittel und Wege des Zusammenlebens finden“, so sein Appell. Die Zukunft der Menschheit liege in unseren Händen. Um eine andere Zukunft zu errichten, müssten wir die Gegenwart verstehen. „Meine Fotos zeigen diese Gegenwart. Und so schmerzhaft der Anblick ist - wir dürfen den Blick nicht abwenden.“

Friedenspreis des Deutschen Buchhandels

Frankfurter Buchmesse

dpa