Familie kontra Religion

Großer Beifall für Julia Mayrs Inszenierung von Ayad Akhtars islamkritischem Drama "The Who and the What" in Ingolstadt

20.01.2020 | Stand 23.09.2023, 10:08 Uhr
Komplizierte Vater-Tochter-Beziehung: Afzal (Andreas Guglielmetti) und Zarina (Jennifer Kornprobst) haben höchst unterschiedliche Ansichten über den Propheten. −Foto: Klumpp / LTT

Ingolstadt - Muslimlove.com soll's richten. Auf dieser Dating-Plattform soll Zarina den Mann fürs Leben finden. Und Eli scheint recht vielversprechend zu sein.

Der ist zunächst mal verblüfft, dass beim ersten Date Zarinas Vater Afzal auftaucht, der den Kandidaten - ein junger weißer Amerikaner, der zum Islam konvertiert ist - vor allem auf seine Glaubensfestigkeit prüft. Was er nicht weiß: Afzal hat Zarinas Acount ohne ihr Wissen angelegt.

Der verwitwete Patriarch, der ursprünglich aus Pakistan stammt, sich in Atlanta zum erfolgreichen Taxiunternehmer emporgearbeitet hat und viel auf seine liberalen Ansichten hält, ist im Grunde konservativ-fromm geblieben - wenn auch nicht fanatisch. Die eigene Ehe hatte sich von der arrangierten zur Liebes-Ehe entwickelt. Und nachdem er seiner Tochter Zarina die Beziehung zu einem Katholiken untersagt hatte, will er nun ihrem Liebesglück auf die Sprünge helfen. Zarina ist empört, lässt sich aber trotzdem auf ein Treffen mit Eli ein - und die beiden finden tatsächlich Gefallen aneinander. Eli scheint der rebellischen Zarina auch intellektuell gewachsen. Als sie ihr provokantes Buchprojekt über den Propheten Mohammed, sein Verhältnis zu Frauen und das Kopftuchgebot beendet, stärkt er ihr den Rücken - anders als ihr Vater, der sie für diese vermeintliche Blasphemie verstößt.

"The Who and the What" hat Zarina dieses Buch genannt. Und so heißt auch der Titel der existenziell tiefgründigen Komödie von Ayad Akthar, die in der Inszenierung von Julia Mayr als Gastspiel des Landestheater Tübingen am Sonntagabend im ausverkauften Kleinen Haus zu sehen war.

Ein spannendes Stück. Denn wie schon in "Geächtet" richtet der pakistanischstämmige amerikanische Autor und Pulitzerpreisträger den Fokus auf komplizierte Fragen unserer Gegenwart. In "The Who and the What" beleuchtet er das Verhältnis des Islam zur Rolle der Frau in der Gesellschaft - und das in pointierten Dialogen und mit hintergründigem Humor. Hier ist es eine muslimische Kleinfamilie, die ihren eigenen Weg zwischen Tradition und Moderne sucht, und die an den Konflikten zwischen religiösen Zwängen und patriarchalen Strukturen einerseits und familiären Bindungen und (weiblicher) Selbstbestimmung andererseits zu zerbrechen droht.

Was haben Menschen aus der Religion gemacht? Und was macht diese Religion heute mit den Menschen? Ayad Akhtar verpackt diese Fragen äußerst raffiniert in ein unterhaltsames Konversationsstück im Stile einer Yasmina Reza, für das es eigentlich nur vier gute Schauspieler braucht. Die hat Regisseurin Julia Mayr in Andreas Guglielmetti, Jennifer Kornprobst, Florenze Schüssler und Dennis Junge gefunden. Gerade Guglielmetti überzeugt mit seinem nuancenreichen Spiel als Vater Afzal, der liebenswürdig, großzügig und schlitzohrig sein kann, aber gleichzeitig auch unerbittlich und starrsinnig, denn so überfürsorglich er als Vater ist, so übereifrig ist er leider auch als Glaubenswächter. Jennifer Kornprobst als Zarina ist ganz die liebende, widerspenstige Tochter. Schnell im Denken, kompromisslos im Handeln. Welch gefährliche Folgen ihr Buch über den Propheten hat, deutet Ayad Akhtar ebenfalls an: Die in Somalia geborene Frauenrechtlerin Ayaan Hirsi Ali, von der im Stück die Rede ist, war vor einer Zwangsehe nach Europa geflohen. Seit sie über Mohammed und die Unterdrückung der Frau im Islam geschrieben hat, lebt sie wegen Todesdrohungen unter Polizeischutz. Zarinas Veröffentlichung macht sie nicht nur selbst zur Außenseiterin, sondern hat Auswirkungen auf die berufliche Existenz von Vater und Ehemann. Florenze Schüssler gibt die naive jüngere Schwester Mahwish. Dennis Junge komplettiert das fabelhafte Quartett als Konvertit Eli, der gegen sein marxistisches Elternhaus rebelliert und es bis zum Vorstand einer Moschee gebracht hat und überhaupt nicht so spießig ist, wie der erste Eindruck vermitteln soll.

In 90 pausenlosen Minuten führt Regisseurin Julia Mayr sie mit Tempo, Verve und leichter Hand durch eine komplizierte Familiengeschichte, die sich über mehrere Jahre erstreckt. Angetrieben von kämpferischen Trommelrhythmen setzen viele kleine Szenen erhellende Schlaglichter auf die einzelnen Figuren, ihre Beziehungen, das Kräfteverhältnis. Bühnenbildnerin Dietlind Konold hat dazu eine wild gemusterte Roche-Bobois-Kissenlandschaft ins Zentrum gebaut. Einladend, gemütlich präsentieren sich die Polsterelemente zu Beginn. Und äußerst variabel: Hier und da werden die Kissen zu neuen Raumsituationen geordnet, sind mal Café, mal Schlafzimmer, können als Mobiliar bespielt werden, verbergen und enthüllen. Stehen für Geborgenheit, aber auch für Enge.

Am Ende, nach dem Auseinanderbrechen der Familie, gibt es einen (Kissen)Berg der Zerstörung - und davor ein vereinzeltes Möbelstück, auf dem der alte Afzal Platz findet. Und wie er sich da zusammenkauert, hilflos und klein, da hat man tatsächlich Mitleid mit ihm. Vielleicht ein viel stärkeres Schlussbild als das tatsächliche - versöhnliche - Ende. Am Mikrokosmos dieser vier Menschen demonstriert Ayad Akhtar akute Fragen unserer Gesellschaft - nach der Bedeutung von Familie und Religion, Individualität und Freiheit. Darüberhinaus ist "The Who and the What" aber auch eine Geschichte über das Wesen der Liebe. Und weil beides gleichermaßen bedenkenswert ist, ist auch der Beifall am Ende groß.

DK

Anja Witzke