Eichstätt
Es war wie ein Wunder

Vor 100 Jahren begann die allgemeine Stromversorgung - Arbeitshaus Rebdorf der Zeit voraus

09.10.2020 | Stand 02.12.2020, 10:23 Uhr
Die Nutzung des Stroms führte 1923 zur Umstellung der Produktion der traditionellen Erzschmelze und Eisengießerei Obereichstätt zur Mühlenbauanstalt. Das Bild zeigt die damals hochmoderne Montagehalle. −Foto: Sammlung Ettle, Historischer Verein

Eichstätt - Es ist kaum zu glauben: Allgemein verfügbares elektrisches Licht in den Haushalten und elektrische Energie in den Werkstätten gibt es in der Stadt Eichstätt erst seit 100 Jahren, in manchen Gemeinden erst seit knapp sieben Jahrzehnten.

Dieses Angebot führte zu einer rasanten Entwicklung und "ohne Strom geht heute gar nichts mehr".

Allerdings kamen die Eichstätter schon viel früher mit dieser Kraftquelle in Verbindung: Im Jahr 1856 wurde ein spektakulärer Versuch am Jesuitenplatz (Leonrodplatz) unternommen, bei dem Kohlenstückchen glühten und Licht abgaben. In den folgenden Jahren bis in die Oktobertage 1920, als per Drehung am Schalter allgemein das elektrische Licht Wohnstuben und Werkstätten erhellte, wurde "die neue saubere Energie" an so manchen Ecken der Stadt ausprobiert und auch schon installiert.

Zum Beispiel am 29. November 1909 schwärmte der Berichterstatter des EICHSTÄTTER KURIER: "Der Wunsch Tausender ging in Erfüllung, denn der Stolz unserer Stadt, die Bischofskathedrale, erstrahlt in hellem Licht. Die Schönheiten und Kunstschätze, in Jahrhunderten geschaffen, sind zu sehen. " Im Dom war elektrisches Licht installiert worden. Die Energie lieferte ein Dynamo, angetrieben von einem Gasmotor, der am Domplatz versteckt in einem Maschinenhaus aufgebaut worden war. Es muss eine erhebende Feierlichkeit gewesen sein, als Domdekan Prälat Georg Triller die Einweihung der Beleuchtung vornahm.

Dank Gasmotor: Angebot vonStummfilmenDann war da der Kinematograph, der 1912 zum Laufen gebracht worden war. Das geschah in dem Haus, aus dem später das Burgtheater wurde. Der Anfang war schwer. Da es in Eichstätt keinen elektrischen Strom gab, musste die nötige Energie per Gasmotor erzeugt werden. Die Stummfilme, die über die Leinwand flimmerten, zogen die Leute magisch an, auch in den im Oktober 1913 eröffneten "Luitpold-Lichtspielen" im Rathaus.

Als Vorreiter bei der Nutzung der Elektrizität in Eichstätt trug sich das Sägewerk Johann Dörr im Buchtal ins lokale Geschichtsbuch ein. Das Unternehmen arbeitete schon seit 1897 mit Gas- und Elektro-Motoren. Ganz erstaunlich ist, dass in Rebdorf, nämlich im Königlichen Arbeitshaus, bereits drei Jahrzehnte früher als in der Stadt das elektrische Licht brannte. Im Jahr 1891 wurde nämlich beim Wasserkanal der alten Mühle eine Turbine eingebaut. Immerhin brannten ab 1. Februar 1892 in der Anstalt 448 Glühbirnen, wenn es auch arge Funzeln waren. Tagsüber wurde der Strom der 18-PS-Turbine in den Werkstätten verwendet. Erster "Beleuchtungswärter" war der Maschinenmeister Josef Vogt.

Domkapitular Kellner unternahm ExperimentZurück zum erwähnten Ereignis von 1856. In der Zeitung wird "von einem großartigen Experiment des Physikers und Eichstätter Domkapitulars Dr. Andreas Kellner" berichtet. Er baute bei einsetzender Dunkelheit auf dem Jesuitenplatz eine Pyramide von 70 Batterien auf, die er mit Drähten zusammenfasste. Nun stellte er auf der Luitpoldstraße bis zur Peterskirche Seminaristen auf mit Zeitungsblättern in Händen. Dann brachte Andreas Kellner zwei an die Batterien angeschlossene Drähte zusammen und die Kohlenstücke begannen "intensiv und grell" zu leuchten. Der Lehrer Ludwig Auer aus Donauwörth, der als Seminarist an dem Versuch teilnahm, berichtete später: "Ich stand beim Eichhornwirt und konnte noch gut lesen. " Er fügte an, dass das Experiment ganz Eichstätt freudig aufgeregt habe.

Im Rathaus tickten die Uhren etwas gemächlicher. Die Magistratsräte standen der elektrischen Energie wohl skeptisch gegenüber, mussten sich aber auch natürlichen Gegebenheiten beugen. So konnte ein eigenes Elektrizitätswerk nicht gebaut werden, da die vorhandene Wasserkraft nur 60 PS (Pferdestärken) erbrachte, jedoch 200 PS nötig gewesen wären. 1910 stellte die Stadt an die Vereinigten Elektrizitätswerke Berlin eine Anfrage zur Stromversorgung. Es dauerte aber noch viele Jahre bis zum 27. September 1920, als erstmals die "weiße Energie" - so der damalige Sprachgebrauch - durch einige Leitungen strömte und zwar probehalber.

"Alles funktioniert gut", lautete die Mitteilung. Es folgte das Einsetzen der Sicherungen an den Hausanschlüssen. Am 1. Oktober 1920 war es so weit: Im städtischen Elektrizitätswerk war der Schalter umgelegt worden. Der Strom floss in die Wohnhäuser, die Straßenlaternen und die Feueralarmsirene wurden von der Polizeiwache im Rathaus aus bedient. Die moderne Zeit nahm ihren Anfang. Petroleumlampen, Spiritusbrenner und Wachskerzen wurden weggeräumt. Freilich ist in frühen Berichten auch davon die Rede, dass Kinder hie und da ihre Hausaufgaben immer noch im Schein von Öllampen machten: Die Leute haben Stromkosten gespart!

In Eichstätt kostete die Netzinstallation 2,25 Millionen Papiermark; es war Inflationszeit! Unter mehreren Bewerbern wurde Arthur Ballnath als städtischer Elektromonteur ausgewählt.

Viele Dörfer im Landkreis bekamen erst in den späten 1920-er- und 1930-er-Jahren den Stromanschluss. Einzelne Orte, wie zum Beispiel Schambach, erhielten erst Mitte der 1950-er-Jahre "das Elektrische". Die Leute waren an die herkömmliche Beleuchtung gewöhnt und sind im Winter einfach früh ins Bett gegangen.

Zeichen der Zeit: StrommastenIn Eichstätt boten schon vor hundert Jahren mehrere Geschäfte ihre Dienste zur Installation der Elektroanlagen an. Zeichen der Elektrifizierung waren die hölzernen Strommasten in freier Flur, in den Orten mit den Porzellan-Isolatoren, die Freileitungen und die Ständer auf den Häusern. Sie sind längst verschwunden: Die Leitungen sind verkabelt. "Wir haben in Eichstätt Ende der1980-er-Jahre die letzten Dachständer abgebaut", sagte Ludwig Koller, pensionierter Elektromeister der Stadtwerke.

Die elektrische Energie, bequem in Haus und Hof verfügbar, muss den Menschen wie ein Wunder vorgekommen sein. Hinter ihnen lag der kalte Nachkriegswinter von 1919 und 1920, in dem städtisches Gas, Petroleum, Spiritus, Karbid, ja sogar Kerzen rationiert und Mangelware waren.

EK