Enteignungen für Hochwasserschutz sollen kein Tabu mehr sein

12.06.2024 | Stand 26.06.2024, 5:45 Uhr |

Foto: IMAGO/Michael Bihlmayer - Große Teile des Landkreises Augsburg (im Bild die Marktgemeinde Fischach) waren besonders vom Hochwasser Anfang Juni betroffen. Flutbecken, die bereits geplant, aber noch nicht realisiert sind, sollen nun endlich gebaut werden, fordern Politiker im Augsburger Land. Auch Enteignungen sollen kein Tabu mehr sein, um an die benötigten Flächen zu kommen.

von Janina Funk

Der Starkregen, der Anfang Juni die Region unter Wasser setzte, hat sich nicht überall gleichermaßen ausgewirkt. Dies lag zum einen freilich an unbeeinflussbaren Faktoren, wie der örtlichen Regenmenge oder der Nähe zu Gewässern. Auf der anderen Seite war das Unwetter auch im südlichen Landkreis Augsburg stark und dennoch blieben die Auswirkungen beispielsweise in Schwabmünchen vergleichsweise gering. "Auch den Süden hat es sehr erwischt", sagte Schwabmünchens Bürgermeister Lorenz Müller in dieser Woche in der Sitzung des Augsburger Kreistags. "Aber wir sind vielleicht auch durch das Hochwasserrückhaltebecken Holzhausen mit einem blauen Auge davongekommen." Dieses ging nach 25 Jahren Planung und Bauzeit vor zwei Monaten, gerade noch rechtzeitig, in Betrieb. Anders ist die Lage im westlichen Landkreis Augsburg. So wird etwa in Dinkelscherben seit rund 25 Jahren über ein Rückhaltebecken diskutiert. Von den Überschwemmungen im Juni war Dinkelscherben besonders betroffen. Edgar Kalb, Bürgermeister der Marktgemeinde, übte Kritik am bayerischen Umweltministerium. Der Augsburger Landrat Martin Sailer machte indes deutlich, es müsse aufhören, dass private Grundstücksbesitzer den Bau von Hochwasserschutz auf ihren Flächen aus wirtschaftlichen Gründen verzögern und verhindern.

Edgar Kalb betonte, er habe die Situation an der Zusam bereits vor fast fünf Jahren dem bayerischen Umweltminister Thorsten Glauber vorgetragen. Für das Hochwasserrückhaltebecken gebe es schon seit über einem Jahrzehnt einen gültigen Planfeststellungsbeschluss. Passiert ist seither allerdings wenig. Nach Angaben des Wasserwirtschaftsamtes Donauwörth ziehen die Verhandlungen mit den Kommunen über die Finanzierung sowie die Gespräche mit den Grundstückseigentümern das Projekt in die Länge.

"Uns ist bewusst, dass einige Landwirte pokern, aber wir müssen spätestens jetzt die Vermittlerrolle einnehmen, damit dieses Rückhaltebecken, welches bereits seit elf Jahren planfestgestellt ist, endlich gebaut wird", sagte Zusmarshausens Bürgermeister Bernhard Uhl. Kalb, Uhl und Florian Mair, Bürgermeister von Altenmünster, wollen sich nun mit einem offenen Brief erneut an Minister Glauber wenden. Bernhard Walter, Kreisrat aus Altenmünster, ergänzte: "Wir sind seit über 20 Jahren nicht in der Lage, das Rückhaltebecken in Siefenwang umzusetzen, obwohl schon Anfang der 2000er die Keller in Dinkelscherben und Altenmünster vollgelaufen sind." Ferner merkte er an: "Wir sollten doch in der Lage sein, in einem staatlich geordneten Verfahren einen fairen Grundstückspreis festzulegen und damit ein Grundstück in den Griff bekommen, das maximal die Sicherheit der Allgemeinheit betrifft und endlich, endlich dieses Becken bauen."

Dass Hochwassermaßnahmen meist viel zu lange dauern, darin waren sich alle Kreisrätinnen und Kreisräte einig. "Hochwasserschutz muss höhere Priorität erhalten", betonte Landrat Sailer. Er sprach sich für eine schnellstmögliche Änderung der bestehenden Rechtslage aus: "Ein planfestgestelltes Hochwasserrückhaltebecken wie beispielsweise das in Siefenwang muss sofort gebaut werden können. Über Entschädigungen ist im Nachgang zu entscheiden. Es kann nicht sein, dass die Allgemeinheit aufgrund wirtschaftlicher Belange ungeschützt bleibt." Dem stimmte auch Kreisrätin Silvia Daßler zu: "Aktuell ist insbesondere der Eigentumserwerb für solche Projekte ein großes Problem. Leider sind Enteignungen für derartige Projekte trotz potenzieller Millionenschäden ein schwieriges Thema."

Es brauche "dezentrale Schutzkonzepte an kleineren Gewässern", so Sailer. Das Augsburger Land sei von Wassermassen betroffen gewesen, "die wir so bei uns noch nie gesehen haben". "Das Wasserwirtschaftsamt hat am Schluss nur noch von einem Pegelstand 4 plus gesprochen. Diejenigen, die sich mit den Wasserpegeln auskennen, wissen, dass eigentlich bei Meldestufe 4 Schluss ist."

Insbesondere kleinere Flüsse wie die Schmutter, die Neufnach und die Zusam waren am ersten Juniwochenende über die Ufer getreten und fluteten zahlreiche Ortschaften. "Auf Landesebene diskutieren wir seit Jahren über riesige Retentionsräume an der Donau", sagte Fabian Mehring, Kreisrat und Bayerischer Staatsminister für Digitales. Der bestehende Flutpolder im Landkreis Neuburg sei jedoch nicht einmal geöffnet worden "und auch weitere Donau-Polder hätten uns nicht geholfen, stattdessen hat das Wasser von Nebenflüssen unsere Heimat überschwemmt, bevor es die Donau je erreicht hat". Nötig sei ein "Turbo" für den dezentralen Hochwasserschutz, denn letzterer sei vielfach längst geplant, aber noch immer nicht realisiert, so Mehring. "Kluge Pläne auf geduldigem Papier in der Schublade zu haben, nutzt niemandem, wenn das Wasser kommt."

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