Geisenfeld
"Ein schwarzes Nest" – sagen die "Braunen"

GZ-"Restlicht"-Serie, Teil 2: Die NS-Machtergreifung und das Ende demokratischer Strukturen

14.05.2013 | Stand 03.12.2020, 0:09 Uhr |

„Aufmarsch aller Schaffenden“: Der 1890 von den Arbeitern erstmals begangene 1. Mai wurde von den Nationalsozialisten zum „Tag der nationalen Arbeit“ erklärt und auch in Geisenfeld in diesem Sinne begangen – samt Rundfunkübertragung der Hitler-Rede aus Berlin. Arch - foto: Hollweck

Geisenfeld (GZ) „Geisenfeld ist ein schwarzes Nest.“ – Gesagt hat so etwas nicht etwa ein frustrierter SPD-Wahlkämpfer nach der letzten Landtagswahl, sondern bereits Anfang der 1930er Jahre der Nazifunktionär Georg Biederer. Der Wolnzacher bezog sich mit dieser „Beschimpfung“ auf die Tatsache, dass die Nazis im konservativen Geisenfeld lange Zeit einen schweren Stand hatten – anders als in manch anderen Orten des Landkreises.

Zu sehr war die große Mehrheit der Geisenfelder Bevölkerung der christlich orientierten Bayerischen Volkspartei (BVP) verhaftet.

Im zweiten Teil unserer Serie anlässlich des Restlicht-Gedenk-Aktion am Stadtplatz werden die Monate bis zur Beseitigung sämtlicher demokratischer Strukturen im November 1933 skizziert. Basis sind wieder die Veröffentlichungen von Heimatpfleger Helmut Weinmayer, der sich intensiv mit der Nazizeit in Geisenfeld auseinandergesetzt hat.

1932 ist ein Jahr mit zwei Reichspräsidentenwahlen, zwei Reichstagswahlen und einer Landtagswahl, und so sehen die Nazis die Zeit gekommen, endlich auch in Geisenfeld Fuß zu fassen. Schützenhilfe erhalten die hiesigen Hakenkreuzler dabei von ihren Parteigenossen in Wolnzach, das vor der Machtergreifung Hitlers das Zentrum der Nazi-Bewegung im damaligen Bezirksamt Pfaffenhofen ist. Am 14. Februar 1932 wird unter der „Patenschaft“ von Georg Biederer im Klosterbräu-Kellersaal an der Regensburger Straße eine Ortsgruppe der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) gegründet. Zum Ortsgruppenleiter ernennen die Geisenfelder „Braunen“ den 43-jährigen Sebastian Daubenmerkl, der aus Waldthurn in der Oberpfalz stammt und seit 1919 in Geisenfeld ansässig ist.

Die junge NS-Ortsgruppe Geisenfeld hisst am 11. März 1932, drei Tage vor der Reichspräsidentenwahl – bei der ihr „Führer“ Adolf Hitler gegen den seit 1925 amtierenden Präsidenten Paul von Hindenburg antritt – auf dem Marktplatz zum ersten Mal die Hakenkreuzfahne. Für Hitler votieren in Geisenfeld allerdings nur 290 Wähler, für Hindenburg sind es 744. Auch beim zweiten Wahlgang am 12. April 1932 verschiebt sich dieses Stimmverhältnis nur unwesentlich.

Ebenso bei den folgenden Wahlen des Jahres 1932 liegt – trotz aller Propaganda – die NSDAP in Geisenfeld stets hinter der Bayerischen Volkspartei (BVP). Erst bei der Reichstagswahl am 5. März 1933, nach der NS-Machtübernahme vom 30. Januar, können die Nazis die „schwarze Hochburg“ Geisenfeld mit 574 zu 390 Stimmen erobern.

Am 26. Februar 1933, knapp vier Wochen nach der Machtergreifung Hitlers, findet in Geisenfeld der erste SA- und SS-Aufmarsch statt, an dem 200 Personen teilnehmen. Am 10. März gibt es einen weiteren großen Aufmarsch der Nazis, erstmals weht die Hakenkreuzfahne auch am Rathaus. Einige Tage später werden mehrere nicht-nationalsozialistische Marktgemeinderäte vorübergehend in „Schutzhaft“ genommen – zur Einschüchterung.

Am 24. März erfolgt ein Aufruf an die Geisenfelder Jugend zum Beitritt zur Hitlerjugend (HJ), und bereits einige Wochen später nehmen dann 65 Buben aus Geisenfeld an einem „Gefolgschaftsappell“ der HJ in Wolnzach teil. Motto: „Alle müssen fortan bei Adolf Hitler stehen.“

Am 22. April wird der Marktgemeinderat aus sechs Nazis und vier Volksparteilern neu gebildet, und der 1. Mai wird mit einem Aufmarsch auf dem Hindenburgplatz (Stadtplatz), der Übertragung einer Hitlerrede und einer Theateraufführung begangen. Eine Woche später wird die Judenstraße (die heutige Maximilianstraße) in Hitlerstraße umbenannt (siehe Bericht gestern) und ein Hitlerbild wird für den Rathaussaal gekauft. Dort haben ab dem 12. Juni, als alle BVP-Räte zurücktreten, nur noch Nazis Sitz und Stimme. Zu diesem Zeitpunkt sind bereits alle bisher unabhängigen Verbände wie die Bauernschaft unter NS-Führung und somit „gleichgeschaltet“. Am 16. Juli wird in Geisenfeldwinden eine „Adolf-Hitler-Eiche“ geweiht.

Fast kein Tag vergeht, an dem nicht Appelle, Heimatabende, Fahnenhissungen, Filmvorführungen, Schulungsabende oder Aufmärsche pflichtgemäß besucht werden müssen. An zahlreichen Stellen im Markt finden sich Tafeln mit der Aufschrift „Der deutsche Gruß: Heil Hitler“, und an den Ortseingängen werden Hinweisschilder angebracht, dass Juden hier „unerwünscht“ sind.

Das Ende aller demokratischen Verhältnisse besiegelt die Reichstagswahl vom 12. November 1933. Auf dem Stimmzettel steht nur noch die NSDAP, die man ankreuzen oder ablehnen kann. Mit Nein zu stimmen ist dabei jedoch nicht ungefährlich, weil es keine geheime Wahl mehr gibt und die Stimmabgabe öffentlich geschieht.

Trotzdem gibt es in Geisenfeld mehr Nein-Wähler, als es den Nazis lieb ist. Wie der damalige Ortsgruppenleiter Sebastian Daubenmerkl nach dem Krieg zugeben muss, löste man dieses Problem auf einfache Weise: Ein Teil der Nein-Stimmen wird vernichtet und durch gefälschte Ja-Stimmen ersetzt. Die restlichen 35 Neinstimmen werden für ungültig erklärt.

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