Ingolstadt
Ein großer Schritt

Geistliche und Laien haben Verständnis für den Rücktritt des Papstes – und sehen die Chance für Reformen

11.02.2013 | Stand 03.12.2020, 0:30 Uhr

Pilger aus Ingolstadt und der Region waren im Oktober in Rom, um die Heiligsprechung von Anna Schäffer aus Mindelstetten mitzuerleben. „Papstflieger“ Martin Ott (siehe auch Bayernseite) hatte ihnen die Tore geöffnet. Schon damals wirkte Benedikt XVI. gebrechlich - Foto: Richter

Ingolstadt (DK) Damit hatte niemand gerechnet: Die Rücktrittsankündigung Papst Benedikts XVI. kam gestern für Geistliche wie Kirchenlaien in Ingolstadt völlig überraschend. Das Verständnis für die Entscheidung des 85-Jährigen ist dennoch groß.

Werner Richler, der Vorsitzende des Dekanatsrats Ingolstadt, hat fünf Minuten vor dem Anruf des DONAUKURIER von der Rücktrittsankündigung aus dem Vatikan erfahren. Gerechnet hat Richler mit diesem Schritt von Benedikt XVI. nicht. „Aber es passt zu ihm“, findet er. „Es ist eine große Geste.“ Angesichts des hohen Alters des Papstes müsse man Verständnis für die Entscheidung haben. Vor einigen Jahren hat Richler Papst Benedikt bei einer Generalaudienz in Rom erlebt und gesehen, welche Wirkung der charismatische Pontifex auf Menschen habe. „Die Begeisterung auf dem Petersplatz war überwältigend!“, erinnert er sich.

Als Nachfolger wünscht sich Richler einen „Mann des Ausgleichs“ auf dem Stuhl Petri. Vor allem, was die Laienarbeit in der katholischen Kirche betreffe, brauche es „behutsame Reformen“, findet der Dekanatsratsvorsitzende. Auch in Sachen Ökumene sei zuletzt nicht immer klargeworden, „warum das alles so schwierig ist“. Für die – manchmal als zu konservativ kritisierte – Haltung Benedikts XVI. habe er allerdings Verständnis. Richler: „Ihm war wichtig, der Säkularisierung der Kirche entgegenzuwirken. Die Kirche darf sich nicht dem Zeitgeist unterwerfen.“

Etwas mehr Zeitgeist in der Kirche wünscht sich dagegen Walter Hürter von der Laien-Organisation Wir sind Kirche. Auch wenn er Benedikt XVI. immer wieder kritisiert hat, äußert er „großen Respekt“ für die Entscheidung des Pontifex. Sich einzugestehen, dass das Amt ihn überfordere, zeuge von „menschlicher Größe“. Hürter hofft, dass der scheidende Papst die letzten Tage seines Pontifikats nutzt, um eine „Renovierung“ des Papsttums anzustoßen. Benedikt XVI. habe schließlich selbst gemerkt, welche Last mit diesem „absolutistischen Amt“ verbunden sei. „Es wird Zeit, diese Verantwortung auf mehrere Schultern zu verteilen“, findet Hürter.

Auch Wolfgang Hörl, Pfarrer in Gerolfing und stellvertretender Dekan in Ingolstadt, erinnert an die zuletzt schwierigen Zeiten für Papst Benedikt XVI.: „Nach den Missbrauchsskandalen und der Vatileaks-Affäre war er sichtlich gealtert, fast am Ende seiner Kräfte“, hat Hörl beobachtet. Der Rücktritt sei deswegen eine richtige Entscheidung. „Ich hätte mir diesen Schritt auch von seinem Vorgänger Johannes Paul II. gewünscht“, stellt Hörl klar. Der sei zuletzt ebenfalls nicht mehr in der Lage gewesen, sein Amt auszufüllen, aber nicht zurückgetreten. Stattdessen hätten vier Kardinäle die Amtsgeschäfte übernommen, die nie legitimiert worden seien. Der Rücktritt Benedikts sei da wesentlich „sauberer“, findet Hörl. Auch wenn es für seine Ansichten nicht immer nur Applaus gegeben habe, hält der Gerolfinger Pfarrer den scheidenden Papst für einen „der größten Denker der Christenheit“.

Jetzt hofft der Priester auf einen jüngeren Papst „so um die 60“, der die drängenden Probleme der katholischen Kirche anpackt. Hörl fällt da die Kommunion für Wiederverheiratete ein. „Das wird auf dem Rücken der Pfarrer ausgetragen“, sagt er „die das eigentlich nicht dürfen und trotzdem machen.“ Wichtig sei auch das Verhältnis zu den anderen christlichen Kirchen. „Es muss eine Ökumene der Taten und nicht der Worte sein“, fordert der katholische Priester und erinnert an das anstehende Lutherjahr 2017 – 500 Jahre nach dem Thesenanschlag.

Die Ökumene ist auch ein großes Anliegen von Dorothea Deneke-Stoll. Die Ingolstädterin ist Präsidentin der Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. Die Annäherung der evangelischen und der katholischen Kirche sei nicht „das ganz große Thema“ für Benedikt gewesen, glaubt sie. „Er hat sich eher auf die orthodoxe Kirche konzentriert.“ Dennoch habe sich Benedikt XVI. vor allem mit seiner wissenschaftlichen Arbeit den Respekt der evangelischen Theologen erarbeitet. An seinem 85. Geburtstag im vergangenen April besuchte Deneke-Stoll gemeinsam mit einer Delegation der Staatsregierung Papst Benedikt im Vatikan. „Seine persönliche Ausstrahlung ist erstaunlich.“ Für die Rücktrittsentscheidung habe sie „größten Respekt“, erklärt Deneke-Stoll. „Das ist ein kirchengeschichtlich bemerkenswerter Schritt.“