Nürnberg
Düsterer Komödienklassiker

William Shakespeares "Sommernachtstraum" als Ballettabend in Nürnberg

18.12.2018 | Stand 23.09.2023, 5:26 Uhr
Ein Wald voller Seile: Szene aus "A Midsummer Night's Dream" am Staatstheater Nürnberg. −Foto: Vallinas

Nürnberg (DK) Verstörend schön - so träumt sich das Staatstheater Nürnberg Ballett durch die dunkle Jahreszeit. Denn die alle Sinne verwirrende, erotisch aufgeladene Johannisnacht, die William Shakespeare in seinem Komödienklassiker "Ein Sommernachtstraum" so publikumswirksam beschreibt: Sie ist in Goyo Monteros jetzt im Nürnberger Opernhaus uraufgeführtem Tanzstück "A Midsummer Night's Dream" noch düsterer, noch verwirrender und - trotz nur 90 Minuten Spieldauer - mitunter noch länger.

Doch der Reihe nach. Bei Shakespeare geht es im Kern um zwei junge Paare, die sich im nächtlichen Wald verirren und - verzaubert vom Kobold Puck - in wechselnden Konstellationen begehren, was viel Leid, Streit und Komik bewirkt. Damit verflochten sind drei weitere Handlungsstränge: die Hochzeit eines Athener Fürstenpaares, eine Handwerkertruppe, die dafür im Wald ein Theaterstück proben will, und (im selben Wald) ein Streit zwischen dem Elfenkönigspaar Oberon und Titania - mit den Liebeswirren der vier Jugendlichen als Kollateralschaden.

Als sei das noch nicht genug szenisches Material, packt Nürnbergs Ballettchef noch einen fünften Handlungsstrang hinzu - und das Publikum gleich zu Beginn an verwundbarster Stelle: Als furioser musikalisch-szenischer Auftakt fungiert Johann Wolfgang Goethes und Franz Schuberts "Erlkönig"-Lied, in dem besagter Elfenkönig ein Kind zu Tode ängstigt, obwohl sein Vater alles tut, um es zu beruhigen. Monteros These: Was, wenn das Kind nicht tot, sondern "nur" entführt ist? Und aus ihm jener Puck wird, der - voll kindlicher Energie und amoralischer Neugier - das Liebenden-Verwirrspiel ins Werk setzt?

Ein so spannender wie auch nachvollziehbarer Gedanke, der szenisch gleichwohl erst viel später aufgeht. Zu abrupt ist zunächst der Bruch zwischen "Erlkönig" und dem weltberühmten Hochzeitsmarsch aus Felix Mendelssohn Bartholdys "Sommernachtstraum"-Schauspielmusik, zu dem die Athener Hofgesellschaft ihre steifen Etikette-Rituale vollzieht. Erst als der Vater - Oscar Alonso als verrückt-verwilderte Robinson-Figur - im mystischen Zwielicht des Waldes auftaucht und seinem Sohn Puck nach jahrelanger Suche zwar begegnet, ohne dass die beiden sich aber wirklich wiederfinden: Da berühren sich auch die Erzählebenen.

Inzwischen haben Oberon (Pucks Wahlvater mit starker irdisch-physischer Präsenz: Luis Tena) und Titania (ganz Grande Dame: Rachelle Scott) sich, an Seilen schwebend, geliebt und gestritten. Hat sich Titania in den per Eselsmaske noch stärker renaturierten Vater verliebt. Hat dieser (anstelle der berühmten Handwerker-Szene) mit den von Puck steifgezauberten Liebespaaren (Nuria Fau, Esther Pérez, Dayne Florence, Joel Distefano) eine urkomische "Pyrasmus und Thisbe"-Pantomime aufgeführt. Haben moosbewachsene Waldgeister (Kostüme: Jordi Roig) das neblige Unterholz durchstreift, sind auf schräger Ebene in schlafwandlerischer Leichtigkeit zwischen den Welten hin- und hergekollert, -gerutscht und -geglitten. Hat sich auch die Verzauberung der Liebespaare schlussendlich dergestalt aufgelöst, dass die geläuterte Hofgesellschaft ganz sanft und freundschaftlich miteinander umgeht.

Hierfür bemüht die Inszenierung einmal mehr romantisches Liedgut ("Gestillte Sehnsucht" von Johannes Brahms/Friedrich Rückert) - als ob der Tanz allein für die intendierte Gefühlswirkung nicht ausreicht. Dabei findet Montero nachgerade für die Geister- und Naturwesen eine ungemein akrobatisch-physisch-animalische Bewegungssprache, die Alexandro Akopohi als Puck und dem hochmotivierten Ensemble so leicht durch die schlangengleichen Körper fließt, als seien sie tatsächlich verzaubert.

Das Bühnenbild von Eva Adler tut das Seine dazu: Zahllose hängende, mit immer wieder aufblinkenden Irrlichtern bestückte Seile sind so trennend-durchlässig, wie ein Wald eben ist. Dazu passt die von der Staatsphilharmonie Nürnberg unter Lutz de Veer spielfreudig-romantisch interpretierte Musik Mendelssohn Bartholdys ebenso gut wie die düsteren Klangwolken, die Owen Belton einmal mehr für das Nürnberger Ballett gezaubert hat - diesmal sowohl elektronisch als auch live vom Orchester dargeboten. Doch so effektvoll jedes der einzelnen Werke auch ist, die Partitur des Abends bleibt ein heterogenes Potpourri und nährt den Verdacht, dass bei Montero die konzeptionellen Augen wieder einmal größer waren als der inszenatorische Magen. Aber Kunst darf und muss das, das Ergebnis ist trotz allem sehenswert. Befindet auch das anhaltend und begeistert applaudierende Premierenpublikum.
ZUM STÜCK
Theater:

Staatstheater Nürnberg

Choreograf:

Goyo Monteros

Bühnenbild:

Eva Adler

läuft bis:

2. Februar 2019

Kartentelefon:

(0180) 1344276

Katharina Tank