Ingolstadt
"Du blöder Hund, du blöder"

Eröffnung der Ingolstädter Literaturtage: Matthias Egersdörfer setzt sich mit seinen Kritikern auseinander

03.05.2019 | Stand 23.09.2023, 6:52 Uhr
Matthias Egersdörfer las in der Neuen Welt aus seinem Romanerstling "Vorstadtprinz". −Foto: Woelke

Ingolstadt (DK) Matthias Egersdörfer ist irgendwie schlecht drauf. Mit ernstem Gesicht betritt der bekannte fränkische Kabarettist die Bühne in der Kleinkunstbühne Neue Welt, kaum begrüßt er das Publikum, das zur Eröffnung der Ingolstädter Literaturtage gekommen war. Er will seinen ersten Roman vorstellen, "Vorstadtprinz", er ist seit einigen Wochen auf dem Markt. Sicher, der Verkauf laufe hervorragend, sagt er. Sogar der Rowohlt-Verlag könne sich kaum erinnern, so einen Erfolg je gehabt zu haben, tönt er etwas unglaubwürdig.

"Es ist alles kaum auszuhalten, so wunderbar ist das", grummelt er. Aber, was ihm die Laune verdirbt, sind die "boshaften Leute, die auf Amazon.de ihre Kommentare hinterlassen". Er lösche das immer gleich raus, sagt er. Aber er sammelt auch die Anmerkungen. Der Abend in der Neuen Welt ist nun ein Akt der Klarstellung, der Widerlegung, der Darstellung der Verhältnisse, wie sie wirklich sind.

Ein geschickter Kunstgriff, den sich der Komiker da erlaubt: Sein Roman tritt gleichsam in Dialog mit (fiktiven) Lesern, die sich mit "Unverschämtheiten" an ihm abreagieren. Steffen etwa, der ihm einen Stern für den Roman hat zukommen lassen ("du blöder Hund, du blöder"): Er habe Egersdörfer oft auf der Bühne erlebt, er sei ein großer Fan seiner Show, denn er sei "primitiv, vulgär und oft unter der Gürtellinie - genau mein Ding". Dieses Buch jedoch sei genau das Gegenteil. Vom Prolo sei nichts mehr zu erkennen." Der Kabarettist gibt sich tief verletzt. Er sei gleich von den ersten Seiten an in seinem Buch in die Vollen gegangen, da ginge es um Brüste und sowas. Und dann liest er den Anfang des Romans.

Er handelt von der Vorgeschichte seiner Geburt. Er liest von seinem elegant-eitlen Vater und der überlauten Mutter mit ihren barocken Körperformen und dem Weltklassebusen. Und dann von den Umständen, als er möglicherweise gezeugt wurde. Nämlich, als im Urlaub der Ski-Lauf wegen schlechten Wetters ausfiel. Und dementsprechend anderweitig für Unterhaltung gesorgt werden muss. "So wurde ich möglicherweise gezeugt. In einer Mischung aus schlechtem Wetter, Langeweile und Unachtsamkeit." Egerdörfers Buch ist eine kleine Autobiografie, eine Erzählung der eigenen, urkomischen Kindheit. Dabei geht es allerdings weniger um Realität und Wahrscheinlichkeiten, um das Spezifische der eigenen Geschichte, als vielmehr um Eleganz der Formulierung. Egersdörfer ist wirklich eine schreibende Urgewalt. Wenn er den Liebesakt zwischen seinen Eltern schildert, bleibt so kein Auge vor Lachen trocken: "Das Weib saugschlingt den Mann wie eine reißende Strömung", liest er. "Wie eine Lawine gewitterrast der Mann in das Weib. Die Lust kocht, und in einer Explosion schießt aus dem Unterleiberknoten ein heller leuchtender Pfeil durch die Decke des Pensionszimmers ?".

Mit verschiedenen Ausschnitten wehrt sich Egerdörfer gegen die Vorwürfe seiner Kritiker. Da geht es um die öden Einkaufstouren mit seiner Mutter im Dorf, die stets damit enden, dass ihm beim Metzger ein Stück Gelbwurst geschenkt wird und er sich regelmäßig weigert "Danke" zu sagen. Dabei würde er viel lieber seine wissenschaftlichen Experimente mit Ameisen fortsetzen, die er mit Klebstoff beträufelt und dann anzündet.

Oder er berichtet vom Tuten am Fenster mit einem Spielzeuginstrument, das unverhofft dazu führt, dass sich die junge Nachbarin barbusig am Fenster zeigt - ein Ereignis, das förmlich die Welt für den kleinen Egersdörfer aushebelt. Und er schreibt von den Besuchen bei Freunden, die so langweilig sind, dass sogar die Haustür dort aussieht wie eine Grabplatte eines kommunistischen Diktators.

Egersdörfer liest all das mit fast monotoner Sachlichkeit, ein Humorist, der nicht die Miene verzieht, der eher ernst und genervt wirkt und gerade deshalb so urkomisch ist. Am Ende widerlegen der lange Applaus und die vielen Lacher alle fiktiven und nichtfiktiven Kritiker.

Programm

Programm der Ingolstädter Literaturtage bis 12. Mai:

4. Mai: Friedrich Ani: Der Narr und seine Maschine, 20 Uhr, Sparkasse Ingolstadt, Veranstaltungsraum

5. Mai: Preisverleihung Schülerschreibwettbewerb „Freundschaft“, 11 Uhr, Stadtbücherei im Herzogskasten; Margit Auer: Die Schule der magischen Tiere – Best of, 15 Uhr, Stadtbücherei

6. Mai: Alice Schwarzer: Meine algerische Familie, 19.30 Uhr, Rudolf-Koller-Saal (Volkshochschule)

7. Mai: Heinrich Steinfest: Der schlaflose Cheng, 19.30 Uhr, Kamerariat

8. Mai: Konstantin Wecker: Auf der Suche nach dem Wunderbaren, 20 Uhr, Kulturzentrum neun

9. Mai: Robert Stadlober liest Richard Fariñas „Been down so long looks like up to me“, 19.30 Uhr, Altstadttheater

10. Mai: 26. Literarische Nacht, 19 Uhr, Neue Welt

11. Mai: Poetry Slam, 19.30 Uhr, Neue Welt

12. Mai: Jörg & Jona Steinleitner, „Juni und der Honigdieb“, 15.30 Uhr, Kap der Kinder

Karten gibt es in allen DK-Geschäftsstellen, an der Tourist-Info am Hauptbahnhof und beim Ticketservice im Westpark.DK

Jesko Schulze-Reimpell