Eichstätt
Drogenkonsum und Traumata

Zu einem enttäuschenden Wintervortrag der Siegener Professorin Annette Runte über "schreibende Nomadinnen"

15.11.2016 | Stand 02.12.2020, 19:03 Uhr

Eichstätt (buk) "Geschlecht(er) ohne Grenzen? Schreibende Nomadinnen der Moderne, unterwegs im Orient" lautete das Thema des dritten Abends in der Wintervortragsreihe über "Grenzen". Zu hören war dabei die Professorin Annette Runte, die im Fach Germanistik "Neuere deutsche und allgemeine Literaturwissenschaft" in Siegen unterrichtet.

Es hätte ein interessanter Vortragsabend werden können. Dass es aber ein enttäuschender wurde, hat mehrere Gründe.

Im Mittelpunkt der Veranstaltung standen zwei interessante Frauengestalten aus dem frühen 20. Jahrhundert, die Schweizer Reiseschriftstellerin Isabelle Eberhardt (1877 - 1904) und die ebenfalls aus der Schweiz stammende und aus dem Kreis um die Mann-Geschwister bestens bekannte Journalistin Annemarie Schwarzenbach (1908 - 1942). Dass die Referentin ihren Vortrag mit der Vermutung einleitete, dass die Zuhörer (es waren keine 20 erschienen) wohl kaum von diesen beiden Autorinnen gehört haben dürften, war nicht unbedingt schmeichelhaft.

In ihrem Vortrag stellte Runte die beiden Kultfiguren weiblichen Reiseschriftstellertums als Frauen dar, die in mehrfacher Hinsicht Grenzen überschritten - in literarischer ebenso wie in territorialer und in sexueller Hinsicht; beide waren permanent unterwegs. Als illegitime Tochter eines russischen Adeligen in Genf geboren, wuchs Eberhardt in Genf wie ein Junge auf und blieb auch in ihrem weiteren kurzen Leben "dem männlichen Habitus treu": Sie trug Männerkleidung, bereiste allein die Sahara, gehörte Männerbünden an und besuchte Bars und Bordelle des Maghreb. Arabische Männer erkannten Eberhardt auch in Männerkluft stets als Frau, akzeptierten sie aber so, wie sie sich gab.

Als Nomadin durchstreifte sie unter dem Decknamen Si Mahmoud in Männerkleidung die Wüste und lebte bei den nordafrikanischen Beduinen. Ihr Leben war bestimmt von Krankheiten, Armut, Drogenkonsum und mehreren Traumata. Im Alter von 27 Jahren starb sie bei einer Überschwemmungs-Katastrophe im algerischen Aïn Sefra. Unvollendet blieb ein Roman ("Le Trimardeur"), zu dem sie Skizzen angelegt hatte. Die eine Generation später im Mai 1908 in Zürich geborene Annemarie Schwarzenbach bereiste zahllose Länder bis nach Afghanistan mit dem Auto. Ihre Liebe zu Thomas Manns Tochter Erika blieb unerwidert.

Das Reisen und Schreiben war für sie "eine Flucht nach vorn", um ihr Leben zu bewältigen, das vom Drogenkonsum wie auch lesbischen Neigungen bestimmt war. Runte sah in der Niederschrift von Tagebüchern "eine therapeutische Funktion". Ebenso wie Eberhardt sei auch Schwarzenbach erst posthum zu einer Kultfigur geworden. Die Mutterbeziehung beider Autorinnen unterzog die Referentin einer psychoanalytischen Betrachtungsweise.

Zu bedauern war an diesem Vortrag viel: Zum einen war es schade, dass die Referentin ihn in einer terminologischen Überfrachtung präsentierte, die das Zuhören in die Nähe einer Tortur rückte - auch wegen der exorbitanten Überlänge der Ausführungen. Sie unternahm vergeblich den Versuch, Schlusssätze, "letzte" oder "allerletzte" Sätze zu formulieren und fuhr auch nach dem spärlichen Schlussapplaus damit fort. Dass die synchrone Präsentation von Bildern zum Text ihr fast nie gelang, erschwerte die freundliche Aufnahme ihrer Ausführungen ebenso wie ständige Hinweise der Referentin darauf, dass sie nun orientalische Namen sicher falsch ausspreche. Schade - es hätte ein interessanter Abend werden können.