Digitale Welt: Handel in der Transformation

11.06.2018 | Stand 02.12.2020, 16:16 Uhr
Experte in Sachen E-Commerce: Christian Stummeyer von der THI Business School. −Foto: privat

INTERVIEW Der demografische Wandel sorgt für ein neues Kaufverhalten. Die Folgen erläutert Wirtschaftsprofessor Christian Stummeyer.

Herr Stummeyer, der Handel befindet sich in einer digitalen Transformation. Wann hat diese eingesetzt?

CHRISTIAN STUMMEYER: Die Antwort darauf gibt uns ein Blick auf die Kunden. Das sind zum einen die traditionellen Konsumenten der „alten Welt“, die heute im Rentenalter sind. Dann ist da die Generation der 40- bis 50-Jährigen, die Digital Immi-?grants genannt werden, weil sie nicht mit den digitalen Medien aufgewachsen sind, sich aber damit auseinandersetzen mussten. Diese Konsumentengruppe erlebt gerade ihren Höhepunkt. In Zukunft – in der „neuen Welt“ – werden die Digital Natives dominieren, also die ab 1980 geborenen Generationen. Bei ihnen liegt der Anteil der digitalen Konsumausgaben am gesamten Non-Food-Umsatz schon heute bei 30 bis 40 Prozent. Sie werden bald in der Mehrzahl sein und an Kaufkraft gewinnen. Da diese Menschen die Vorteile des digitalen Kanals schätzen, also beispielsweise die totale Transparenz, Auswahl, Vergleichbarkeit und Bequemlichkeit, ist zu erwarten, dass die E-Commerce-Umsätze steigen.

 

Wie haben diese sich in den vergangenen Jahren entwickelt?

STUMMEYER: Nach einer Statistik des Handelsverbandes Deutsch-land ist der E-Commerce-Umsatz in Deutschland im Handel mit dem Endkunden von 1,3 Milliarden Euro im Jahr 2000 auf 49 Milliarden Euro im Jahr 2017 angestiegen. Für 2018 wird mit einem Umsatz von 54 Milliarden Euro gerechnet. Dieses Wachstum zeigt, dass es sich beim E-Commerce um einen substanziellen Markt handelt.

 

98 Prozent der Lebensmittel werden noch stationär gekauft. Was kann der Handel tun, damit das so bleibt?

STUMMEYER: Er muss sich auf die Vorteile besinnen, die er dem Konsumenten bieten kann und damit punkten. Das ist zum einen die sofortige Warenverfügbarkeit. Es sind auch Optik und Haptik: Ich kann Produkte sehen und anfassen. Es sind Erlebniswelten als emotionale Ansprache. Und es ist natürlich die Fachberatung durch geschultes Personal.

 

Es gibt schon Online-Portale für Lebensmittel. Fehlt da nicht das Begutachten der Produkte?

STUMMEYER: Es gibt viele digitale Korrekturmechanismen. Wer nachhaltig schlechte Erfahrungen sammelt, kann seine Meinung teilen und wird die Produkte nicht mehr kaufen. Am Ende entscheidet der mündige Kunde über die Qualität. Viele Online-Anbieter fragen zudem Bewertungen ab und ziehen daraus ihre Schlüsse.

 

Wo sehen Sie den Vorteil von kassiererlosen Kassen im traditionellen Supermarkt?

STUMMEYER: Ich glaube, kassiererlose Kassen mit Selfscan und Kartenzahlung sind eine Zwischenstufe. Wir sehen bei Amazon Go, dass es möglich ist, komplexe Daten am Regal zu erheben und schon zum Zeitpunkt der Warenentnahme das Kundenkonto zu belasten. Dafür gibt es verschiedene Ansätze: intelligente Kameras oder RFID-Scanner und lernende Algorithmen. Ich glaube, das wird kommen, auch wenn man in Europa da noch Datenschutzbedenken ausräumen muss.

 

Ohne Smartphone kommt der Kunde dann nicht mehr aus?

STUMMEYER: Man braucht ein digitales Gerät, also ein Smartphone, eine Uhr oder auch einen Chip, den man unter der Haut trägt. Wir identifizieren uns also durch Technik, was natürlich auch auf Basis biometrischer Daten möglich wäre.

 

Wer profitiert von der digitalen Transformation?

STUMMEYER: Zum einen der Kunde, der ein bequemes, reibungsloses Einkaufen wünscht, ohne Wartezeiten und manuelles Handling. Und natürlich der Händler, für den auch langfristige Kosteneffekte eine Rolle spielen. Der Check-out wird günstiger. Er spart Mitarbeiter ein, die dann wieder für Inspiration und Beratung des Kunden eingesetzt werden können.

 

Glauben Sie, dass der digitale den stationären Lebensmittelhandel ablösen wird?

STUMMEYER: So weit würde ich noch nicht gehen. Es werden Marktanteile vom stationären in den digitalen Lebensmittelhandel abwandern. Wenn ein gewisser Prozentsatz von Kaufkraft in die digitalen Kanäle abfließt, wird das für die stationären Händler ökonomisch schwierig. Deshalb sollte jeder Lebensmittelhändler eine individuelle Antwort darauf finden, welche Kanäle perspektivisch welche Funktionen im Rahmen seiner Gesamtstrategie übernehmen können. Am Ende geht es immer um den Mehrwert für den Kunden und darum, ihn bei seinem Einkauf zu begleiten. Die Customer Journey setzt lange vor dem Besuch des Geschäftes ein. Der Kunde informiert sich per Web oder App über Angebote, vergleicht sie, sucht eine Filiale in seiner Nähe und entscheidet, ob er sich auf den Weg macht.

 

Vielen Dank für das Gespräch.

 

ZUR PERSON

Christian Stummeyer ist erfahrener Unternehmensberater und arbeitete in global agierenden Konzernen. Er ist selbst erfolgreicher Gründer, E-Commerce-Unternehmer und Professor für Digital Commerce an der THI Business School in Ingolstadt. Er berät zahlreiche Großunternehmen und Mittelständler zu den Themen Digitalstrategie, E-Commerce und Digitale Transformation.