Wolnzach
"Diese Starrerei gibt es immer noch"

29.04.2014 | Stand 02.12.2020, 22:45 Uhr

Johann Sirch leitet den Selbsthilfeverband kleinwüchsiger Menschen in Bayern. - Foto: privat

Wolnzach (DK) Von heute an bis Sonntag treffen sich die Mitglieder des Bundesselbsthilfeverbands kleinwüchsiger Menschen zu ihrem jährlichen Kongress – dieses Mal in Wolnzach. 97 Teilnehmer werden erwartet.

Wir haben mit dem bayerischen Landesverbandsvorsitzenden Johann Sirch (46) gesprochen.

 

Herr Sirch, wann gilt ein Mensch als kleinwüchsig?

Johann Sirch: Kleinwüchsigkeit ist eine Störung, teilweise hormonell, teilweise genetisch bedingt. Kleinwüchsig ist man unter 1,35 Meter. Wir plädieren aber dafür, dass man unter 1,50 Meter bereits als kleinwüchsig gilt, da bei dieser Größe bereits die starken Einschränkungen beginnen – dass man zum Beispiel vom Greifraum her nicht mehr an alle Regale im Supermarkt herankommt.

 

Leiden kleinwüchsige Menschen auch an gesundheitlichen Einschränkungen?

Sirch: Bei der Achondroplasie (Anm. Redaktion: Mutation, die das Wachstum des Skelettsystems betrifft) sind etwa die Extremitäten, die Arme und Beine, verkürzt, und auch die Beweglichkeit ist eingeschränkt. Das heißt, man kann zum Beispiel die Arme nicht ganz gerade ausstrecken. Dadurch ist man stark gehandicapt.

 

Sind die Organe bei kleinwüchsigen Menschen gesund?

Sirch: Weitestgehend schon. Es kommt aber auf die jeweilige Kleinwuchsform an. Beim Ullrich-Turner-Syndrom zum Beispiel, das nur Frauen betrifft, sind die Eierstöcke und die Gebärmutter nicht ausgebildet. Beim hormonellen Kleinwuchs kann es hingegen vorkommen, dass der Hypothalamus wie auch teilweise die Nebennierenrinde nicht die komplette Hormonausschüttung haben.

 

Um was geht es nun in dem Kongress in Wolnzach?

Sirch: Zum einen geht es darum, sich jährlich zu treffen – am Samstag ist ja auch die Hauptversammlung des Gesamtverbandes. Inhaltlich setzen wir uns in einem Seminar vor allem mit der aktuellen Situation der Unterstützungsmöglichkeiten im Alter von Menschen mit Kleinwuchs auseinander. Dazu haben wir einen Rentenberater eingeladen.

 

Sie haben bereits die Supermarktregale angesprochen: Mit welchen Problemen haben Kleinwüchsige im Alltag noch zu kämpfen?

Sirch: Probleme im Alltag haben wir teilweise mit Fahrkartenautomaten oder in Banken mit Geldautomaten. Die werden immer höher angebracht, damit Kinder nicht damit spielen können, was uns natürlich abträglich ist.

 

Wie reagieren die Menschen auf der Straße auf Sie?

Sirch: Das ist unterschiedlich. Natürlich gibt es immer noch diese Starrerei von Erwachsenen, die mit kleinwüchsigen Menschen nicht umgehen können. Wenn ich sie dann offen angucke und ihnen damit zu erkennen gebe: „Ich habe es jetzt gemerkt, auch wenn es mich nicht weiter stört“, dann schauen sie gleich weg. Kinder hingegen sind oft interessiert, die würden gerne mehr erfahren, aber ihre Eltern sind mit der Erklärung überfordert. Manchmal kommen sie dann her, und man kommt ins Gespräch.

 

Wie könnte man die Situation kleinwüchsiger Menschen verbessern?

Sirch: Auf jeden Fall mit mehr Aufklärung.

 

Und im Alltag?

Sirch: In den Supermärkten, vor allem in den Discountern, gibt es oft nur wenig Personal. Wenn man da zwischen den Regalen vielleicht eine Glocke anbringen würde . . . Oder eine Leiter wäre schon nützlich, die man sich einfach schnappen kann. In Bäckereien und Metzgereien mit ihren Theken würde uns ein Ausschnitt oder ein niedrigerer Durchgabebereich helfen.

 

Das Interview führte

Silvia Obster.