Ingolstadt
Die wundervolle Wucht der Lyrik

Emotionaler "Abend der Poesie" im Katharinen-Gymnasium begeistert und berührt die Zuhörer

03.06.2019 | Stand 23.09.2023, 7:16 Uhr
"Es lebe die Poesie!": Man darf das Motto des Literaturabends in der vollbesetzten Aula des Katharinen-Gymnasiums wohl auch als Schlachtruf der Schüler verstehen, derart leidenschaftlich trugen 30 von ihnen ihre selbst verfassten Texte vor. Das Katherl erlebt derzeit einen Lyrik-Boom. Im Bild der Auftritt von Kujtim Avdija (Q11), einer der Moderatoren, mit seinem englischen Gedicht "Lamentations to the moon". −Foto: Silvester

Ingolstadt (DK) Die Szenerie, in der gleich ein Gefühlssturm losbrechen wird, ist schlicht: eine schmale Bühne, weißer Hintergrund, drei Scheinwerfer, ein Mikrofon und ein Klassenzimmerstuhl aus Holz- und Metall, stapelbar, original 1960er.

Aber der ist mehr Dekoration, denn fast alle jungen Leute tragen ihre Texte stehend vor, schmettern sie couragiert und wohlbetont in die vollbesetzte Aula des Katharinen-Gymnasiums: heiter, ergreifend, bedrückend, virtuos mit der deutschen Sprache spielend, oder mal auf Englisch.

Motive und Tonlagen wechseln rasant, reißen die Zuhörer mit und hin und her. Sie erleben an diesem "Abend der Poesie" einen Sturmlauf über die strahlenden Seiten des Lebens.

Und die düsteren. Depressionen. Angst. Magersucht, Todeswille. Literarische Bewältigung eigener seelischer Leiden, Texte "gegen das Aufgeben", wie eine Zehntklässlerin sie nennt, von den Schülerinnen tapfer auf der Bühne ausgebreitet, rühren einige Zuhörer zu Tränen (großartig: "alles taub"). Die Poesie entfaltet hier ihre gesamte wundervolle, begeisternde, niederschmetternde Wucht.

Die Autoren schonen ihr Publikum nicht. Das jubelt vom ersten Gedicht an. Und es gibt viel zu bejubeln: 45 Texte, das meiste Lyrik, dazu einige Prosastücke, vorgetragen im rhythmisch-treibenden Stil des Poetry Slams - alle verfasst von 30 Schülerinnen und Schülern des Katharinen-Gymnasiums; vom Sechstklässler bis zu Abiturienten. Das Katherl erlebt einen Lyrik-Boom. An die zehn Gedichte veröffentlicht die Schülerzeitung "Concrete" in jeder Ausgabe, erzählen die Moderatoren Michèle Mühlbauer (10b) und Kujtim Avdija (Q11), die fröhlich und lässig durch den Abend führen, als würden sie so etwas jede Woche machen. Als die Redaktion dann aber immer mehr Texte von Mitschülern erreichten (Michèle Mühlbauer: "Unglaubliche Werke, die man gesehen haben muss! ") beschloss sie, einen Lyrikband herauszugeben. Der liegt jetzt vor. Titel: "Gedichte und Slam Poetry von Schülern und Lehrern", 80 Beiträge auf 100 Seiten. Das "Concrete"-Team hat auch den "Abend der Poesie" organisiert, unterstützt von Michael Ernest, Lehrer am Katherl, Betreuer der Redaktion und ebenfalls leidenschaftlicher Lyriker. Er trägt das Liebesgedicht "Regenwörter" vor. Seine Kollegin Cristina Bayerl ist eher pädagogisch unterwegs. Ihr appellativer Text "Der Kühlschrank ist zu voll" führt auf die Nachtseite unserer Welt.

Poetische Niveauunterschiede zwischen Schülern und Lehrern sind nicht zu erkennen. Es ist der Abend der jungen Talente. Von charmanten Wortkünstlern wie dem Sechstklässler Julius Hoffmann (siehe einen Text im Kasten) über Autoren mit erkennbarer Poetry-Slam-Erfahrung bis zu jungen Leuten, die das kokette Spiel mit dem Publikum zu lieben scheinen. Etwa Michèle Mühlbauer. "Mein Liebesgedicht ist echt schlecht! Deshalb ist es auch so kurz", sagt sie augenzwinkernd (Text im Kasten). Der anschließende Jubel währt dafür um so länger.

Christian Silvester