München (DK) Fritz Auer blickt zum Olympiaberg, aber was er sieht, gefällt ihm nicht. Zuckerwattestände, Autoscooter, ein krakenartiges Fahrgeschäft schleudert seine bunten Kabinen durch die Luft. Popmusik dudelt aus den Lautsprechern. Sommerfest im Münchner Olympiapark. Nicht viel zu sehen vom Berg dahinter. Nur der grüne Gipfel ragt über Bretterbuden heraus.
Auer, 79, legeres blaues Hemd, verzieht das Gesicht. „Das ist doch gar nicht, also da muss man doch. . .“, sagt er. Er setzt noch mal neu an. „Also, das ist doch gar nichts.“ So sieht sie manchmal aus, die nacholympische Nutzung. Fritz Auer hat sich das so nicht vorgestellt. Er ist einer der Architekten des Olympiageländes.
Eine städtische GmbH betreibt das Gelände heute. Der Unterhalt ist teuer. Ein Zuzahlgeschäft für die Stadt. Da kommen der Olympiapark GmbH Veranstaltungen wie das Sommerfest recht.
Auers Verständnis hält sich in Grenzen. Gerade im August kämen doch viele Touristen in den Park. „Die kommen doch nicht, um sich abkassieren zu lassen“, sagt er. Die wollten doch sehen, wie das damals alles war, während der Olympischen Spiele. Auer und andere Parkfreunde ringen regelmäßig mit der Stadt um die Nutzung. Es geht ihnen um die Vergangenheit. Um die Würde des Ortes sozusagen.
Nirgends lässt sich die Botschaft der Spiele 1972 so gut erklären wie auf dem Olympiagelände. Das Stadion, die Hallen, der Park. Die Bauwerke sollten der Welt zeigen, dass Deutschland sich gewandelt hat. Eine radikale Abkehr von der monumentalen Wucht der nationalsozialistischen Herrschaftsarchitektur bei den Spielen 1936 in Berlin.
Auer läuft die Straße zum Stadion hinauf und schaufelt mit der Hand in die Luft. Wie „Mulden“ lägen Olympiahalle, Schwimmhalle und Stadion in der Landschaft, sagt er. Wer davor stehe, werde nicht von ihrer Wucht erschlagen. Man sieht nicht nach oben, sondern läuft ebenerdig hinein. Sie sollen nicht Macht demonstrieren, sondern Leichtigkeit ausstrahlen. „Als Zeichen einer jungen Demokratie“, sagt Auer. Doch bis das Konzept sich durchsetzte, dauerte es seine Zeit.
Im Frühjahr 1967 beschloss das Architekturbüro Behnisch & Partner, sich für die Planung des Olympiageländes zu bewerben. Mehr als 100 Büros nahmen an dem Wettbewerb teil. Günter Behnisch, inzwischen verstorben, war da 45 Jahre alt. Fritz Auer, einer der Partner, war elf Jahre jünger. Die Architekten aus Stuttgart waren bis dahin eher regional bekannt – aber die Ambitionen waren groß.
Bis tief in die Nacht arbeiteten sie in den folgenden Monaten oft. Im Hintergrund lief immer wieder „Haha said the Clown“ von der Manfred Mann’s Earth Band. Die Idee mit den Mulden stand bald. Offen war aber lange die Frage nach dem Dach. Bis einer der Architekten morgens aufgeregt ins Büro kam – mit einem Bild vom deutschen Pavillon der Weltausstellung in Montreal. Die Konstruktion stammte vom Architekten Frei Otto. Eine Art Zeltdach. Schwebend. Leicht. Das ideale Gegenstück zum Muldenkonzept. Die Architekten waren begeistert.
Der Pavillon war allerdings vergleichsweise klein. Wie sollte man eine riesige Stadionfläche mit der Konstruktion überspannen? Bis zum Schluss zweifelten Experten an der Machbarkeit – auch die Juroren im Architekturwettbewerb. Eigentlich war der Entwurf von Behnisch & Partner schon aus dem Wettbewerb ausgeschieden. Aber der damalige Münchner Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel (SPD) war begeistert. Gemeinsam mit dem Jury-Vorsitzenden Egon Eiermann setzte er das Konzept doch noch durch.
Die Nachricht vom 1. Preis im Wettbewerb erreichte Auer am Abend des 13. Oktober. Er war gerade zurück von einer Baustelle in der schwäbischen Provinz. Ein Reporter der „Bild“-Zeitung rief an. In dieser Nacht wurde im Büro von Behnisch & Partner nicht mehr gearbeitet, sondern gefeiert.
Dass die Kosten am Ende völlig aus dem Ruder liefen, ist heute eine Randnotiz. Statt der ursprünglich veranschlagten 14 Millionen kostete das Stadion fast 140 Millionen Mark. Eine Gesellschaft müsse in der Lage sein, besonders bedeutende Pläne in die Tat umzusetzen, argumentierte Vogel. Für Fritz Auer wurde das Olympiagelände zur Lebensaufgabe. Noch immer bekommt er dort Aufträge von der Stadt. Kürzlich hat er unter dem Gelände die Kleine Olympiahalle geplant. Im ehemaligen olympischen Dorf hat er eine Wohnung.
Auer steht im Olympiastadion, sieht hinab auf die Wettkampffläche. Bagger schütten Sandhügel auf. Die „Red Bull X-Fighters World Tour“ macht Station in München. Eine Rennserie für Geländemotorräder. „Grenzwertig“, sagt Auer. Aber wenigstens nicht so schlimm wie das Sommerfest. „Wir wollen den Park nicht unter eine Käseglocke stellen“, sagt der Architekt. Aber er dürfe sich auch nicht zu weit von Olympia entfernen. Dafür will er weiter kämpfen.
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