Eichstätt
"Die Straße ist ein Kriegsgebiet"

Bei der Adveniat-Weihnachtsaktion berichtete die Bolivianerin Reyna Cachi Salamanca von ihrer Arbeit

13.12.2019 | Stand 23.09.2023, 9:51 Uhr
Freuten sich über regen Zulauf anlässlich des Vortrags zur Adveniat-Weihnachtsaktion: Hochschulpfarrer Stefan Weig (von links), Reyna Cachi Salamanca, Monika Pfaller-Rott von der Fakultät für Soziale Arbeit, Dolmetscherin Julia Schulte-Wieschen und Gerhard Rott, Leiter des Referats Weltkirche. −Foto: Kusche

Eichstätt - Das Leben auf der Straße ist für viele junge Menschen in Bolivien Realität und bedeutet insbesondere für Mädchen und junge Frauen eine tägliche Gefährdung.

Über ihr Engagement zum Schutz dieser Mädchen und Frauen berichtete Reyna Cachi Salamanca, Streetworkerin, Psychologin und Direktorin eines Mädchenschutzhauses in El Alto in Bolivien, in der Katholischen Hochschulgemeinde. Auf Einladung des Referats Weltkirche, der Fakultät für Soziale Arbeit der Katholischen Universität, des Zentralinstituts für Lateinamerika-Studien (ZILAS) und der Katholischen Hochschulgemeinde war Reyna im Rahmen der diesjährigen Adveniat-Weihnachtsaktion zu Gast in Eichstätt.

In einem ebenso bewegenden wie lebendigen Vortrag präsentierte sie den rund 50 Zuhörern eindrückliche Bilder und Informationen über ihre Arbeit mit Gewaltopfern in einer der ärmsten Städte der Welt. "Die Straße ist ein Kriegsgebiet. Dort bist du immer in Gefahr, kommst nie zur Ruhe. " So formulierte Reyna Cachi Salamanca die Situation von Hunderten von Mädchen und jungen Frauen in Bolivien. Dies gilt insbesondere für El Alto, jener Millionenmetropole auf fast 4000 Meter Höhe oberhalb der bolivianischen Hauptstadt La Paz, in der die einkommensschwache indigene Bevölkerung mit ländlichem Hintergrund, die sich keinen Wohnraum im klimatisch wesentlich angenehmeren La Paz leisten kann, überwiegt. Viele Industriebetriebe, Läden und Straßenmärkte sind in El Alto auf dem kalten Altiplano angesiedelt, doch die Schattenseiten von Armut, Elend und Frustration, Arbeits- und Perspektivlosigkeit der Menschen sind unübersehbar: "Es gibt unzählige Mädchen und junge Frauen, die auf den Straßen von El Alto leben", bedauert Reyna. Die nackte Armut, Gewalt und Missbrauch in der Familie, die Suche nach Einkommensmöglichkeiten - es gibt viele Gründe der Kinderarbeit, dem Drogenkonsum oder der Zwangsprostitution ausgesetzt zu sein.

Zu genau diesen Mädchen und Frauen versuchen Reyna und ihr Streetworker-Team persönlichen Kontakt aufzunehmen und ihnen Unterstützung und Schutz anzubieten: "Wir sprechen mit ihnen über die Risiken, denen sie sich aussetzen, über ihre Rechte, über die Hilfe, die wir ihnen anbieten können, und laden sie in das von Adveniat unterstützte Zentrum von ,Munasim Kullakita' ein", erläuterte Reyna. In dem Heim der gleichnamigen Stiftung, deren Name in der indigenen Sprache Aymara "Liebe dich selbst, kleine Schwester" bedeutet, werden die Mädchen liebevoll aufgenommen und gefördert, damit sie zu selbstbewussten jungen Frauen heranwachsen. Zwölf Mädchen zwischen zehn und 18 Jahren leben dort, allesamt haben unvorstellbares Leid und Demütigung hinter sich: "Unser Ziel ist es, die Mädchen zu stärken und in die Gesellschaft zu reintegrieren. " Sie können eine normale Schule besuchen, Hobbys ausüben und Freunde treffen.

Für die Vielzahl junger Frauen über 18 Jahren hat die Stiftung inzwischen ebenfalls eine Art Wohngruppe gegründet, das "Haus der Zärtlichkeiten". Denn für die Altersgruppe der über 18-jährigen Frauen gebe es in Bolivien sonst keine geschützten Räume, erläuterte Reyna. Doch auch sie benötigen Unterstützung, Förderung und eine Grundlage, um irgendwann einmal auf eigenen Beinen, oftmals mit Nachwuchs, stehen zu können. Daher bemühen sich Reyna und ihr Team um Ausbildungsmöglichkeiten dieser Frauen und Betreuung ihrer Kleinkinder.

Damit die Spirale von Armut, Gewalt in der Familie, dem in Lateinamerika stark verbreiteten Männlichkeitskult - "machismo" - und sexueller Ausbeutung auch in das Bewusstsein möglichst vieler Menschen kommt, leistet das Team von Munasim Kullakita mit Unterstützung von Adveniat aber auch Präventionsarbeit. Die Sozialarbeiter gehen an Schulen und Gemeinden, bieten Workshops an und sprechen mit Familien: "Unsere Arbeit hat schon dazu beigetragen, dass sich die Zahl der Mädchen reduziert, die auf die Straße und in die Falle sexueller Gewalt geraten", freut sich Reyna.

Wie gelingt es dem Streetworker-Team, bei derart missbrauchten Mädchen und Frauen Vertrauen zu gewinnen? , fragten die Zuhörer. "Wenn wir die Mädchen und Frauen in unserem Schutzhaus untergebracht haben, möchten wir ihnen einen Traum erfüllen - ob es ein eigenes Bett oder ein neues Kleid ist", berichtete Reyna. So könnten sie den Mädchen vermitteln, dass Träume dazu da sind, realisiert zu werden. Dass sie möglichst viele der Träume "ihrer" Mädchen mit den bei den katholischen Weihnachtsgottesdiensten gesammelten Adveniat-Spenden umsetzen kann, davon träumt die Psychologin und Direktorin aus Bolivien.

EK


 

Dagmar Kusche