Ingolstadt
Die Strado Compagnia Danza beschließt Ingolstädter Tanztage21

Poesie der Körperlichkeit: Performance "Frida" hochemotional

12.07.2021 | Stand 23.09.2023, 19:43 Uhr
Was Frida Kahlo in ihren Bildern zeigt, erzählen die Tänzer mit ihren Körpern. Die Strado Compagnia Danza erweckte Kunstwerke der mexikanischen Malerin tanzend zum Leben und begab sich mitten in den schöpferischen Prozess hinein. −Foto: Schaffer

Ingolstadt - Ihre Bilder werden dem Surrealismus zugeordnet - obwohl sie selbst mit dieser Kategorisierung keineswegs einverstanden war.

 

Ebenso surrealistisch scheint zunächst auch der Gedanke, das Leben dieser großen Künstlerin, der mexikanischen Malerin Frida Kahlo, die fast ihr ganzes Leben lang unter körperlichen Einschränkungen und Schmerzen zu leiden hatte, die in ihren letzten Jahren an den Rollstuhl und ans Bett gefesselt war, ausgerechnet mit tänzerischen Ausdrucksmitteln darstellen zu wollen. Kann das gelingen? Wie tief ergreifend sich Frida Kahlos expressive Gemälde, ihre Verletzlichkeit, ihr Martyrium, ihre Kraft und ihr Mut auf diese Weise grandios in Bewegungsemotionen umsetzen lassen, zeigte die Strado Compagnia Danza aus Ulm zum krönenden Abschluss der Ingolstädter Tanztage21 - und zwar durch ihre ganz eigene "Poesie der Körperlichkeit", wie es Yahsmine Lamar, die Kuratorin des Festivals, bei ihrer Begrüßung treffend beschrieb.

Dumpfe Glockenschläge. Im Hintergrund senkt sich ein übergroßes, illuminiertes, bunt bemaltes Gesicht herab: Die Figur des Totengedenkens, die in Mexiko am Día de los Muertes - bei uns die Tage Allerseelen und Allerheiligen - zu sehen ist. Langsam und in andächtigen Simultanschritten nähert sich die Tanzformation. So wie der Tod allgegenwärtiger Begleiter im Leben Frida Kahlos war, durchzieht er in Gestalt der "Gevatterin" (Katharina Krummenacher) auch das gesamte Stück. Meist beobachtet sie still, wartend, manchmal greift sie sogar ins Geschehen ein. Als der Name "Frida Kahlo" erklingt, durchfährt die Tänzerinnen ein Zucken. Jede von ihnen verkörpert einen Wesensteil der Künstlerin. Sie kreisen am Boden, winden sich, ehe alles in einen ausgelassenen Reigen zu einem dennoch wehmütigen, lateinamerikanisch-folkloristischen Lied übergeht.

Collagenhaft greifen die Szenen ineinander, nun begegnen sich Frida (Marcella Centenero) und ihr geliebter untreuer Ehemann Diego Rivera (Lorenzo Ponteprimo). Fast obsessiv versucht sie, ihn zu halten, klammert sich unaufhörlich an ihn, doch er stößt sie brüsk von sich. Immer wieder, bis sie hilflos liegen bleibt. Rote Laserpointer attackieren ihren Körper, wie die Pfeile im Bild "Der verletzte Hirsch", so dass sie sich, wie durchbohrt, vor Schmerzen krümmt - und trotzdem ihren Seelenzuständen mit eleganten Pirouetten Ausdruck zu verleihen vermag. Bis ins nahezu Unerträgliche steigert sich die Qual, alle werden durchschüttelt von dieser gewaltigen Welle des Leidens. Die Grenzen verschwimmen. Den Protest Fridas gegen ihren eigenen Mann tanzt nicht etwa eine Frau, sondern der Darsteller des Diego selbst, der so den Zwiespalt symbolisieren, seine weibliche Seite nach außen kehren kann. Wie von elektrischen Stromschlägen gepeinigt, reißt er sich in einem immer heftiger werdenden Anfall von Verzweiflung büschelweise die Haare aus. Dann sitzt die Künstlerin (jetzt gespielt von Hanna Münch) vor ihrer eigenen Person, malt ihr Abbild auf einer aus blauen Hockern gestapelten "Leinwand", entwirft in gespiegeltem Blick ihr Alter Ego, macht sich auf die Suche nach neuen Identitäten.

Ihr politisches Engagement kommt zum Tragen, als das Ensemble in einer Art Sprechchor aufrührerische Revolutionsparolen skandiert. Wohingegen Diegos und Fridas außereheliche Affären mit glühender Erotik zu leidenschaftlicher Tangomusik thematisiert werden, indem sich die Akteure in wechselnden Konstellationen gegenseitig eng, ja exzessiv umschlingen.

Wie durch ein Brennglas wirft Choreograph Domenico Strazzeri grandiose Schlaglichter auf Fridas stürmisches Leben voller Passion, Liebe, Schicksalsschläge, Impulsivität, Zerrissenheit, Exzesse und Farben, lässt dabei seine Tänzer und Schauspieler Grenzen überwinden. Fridas physische Behinderung versteht und ergreift er genial als Chance, als Nährboden, als Sprungbrett zur kreativen Erweiterung seiner Dramaturgie. Mit unglaublicher Vorstellungskraft treibt er in einer großartigen Fusion aus Modern Dance, Ballett und freiem Improvisationstanz die Fantasie seiner Protagonistin in eine neue Dimension.

So schafft er wunderbar kreierte Atmosphären zwischen den Darstellern (etwa Aurora Bonetti und Federica Faini), die ihre körperliche Präsenz in farbenfroh-blumigen Kostümen sichtbar ausleben und gegenseitig genießen. Nicht nur agieren sie als einander befruchtende, verstärkende Multiplikatoren; es fließen zudem deutlich ihre ganz persönlichen Empfindungen, Hintergründe und Deutungsweisen mit ein. Schließlich wird Frida, am Ende ihrer Kräfte, von Diego liebevoll zum "Korsett" getragen - hier kommen in Reminiszenz an ihr "Blaues Haus" erneut die erwähnten gleichfarbigen Hocker zum Einsatz - und dort symbolhaft an roten Widerstandsbändern quasi in andere Sphären gezogen. Ein phänomenales Gesamtkunstwerk aus Körper, Bewegung, Stimme, Sprache und Musik, das zum Abschluss in roten Lettern plakativ das Vermächtnis transportiert, welches uns Frida Kahlo in einem ihrer letzten Bilder hinterlassen hat: "Viva la Vida".

DK

Heike Haberl