Ingolstadt
"Die Partei steht über allem"

Menschenrechtsaktivist Lebin Ding über die Verfolgung in China

23.01.2019 | Stand 02.12.2020, 14:47 Uhr
Lebin Ding erklärt die Menschenrechtssituation in China. −Foto: Bejan

Ingolstadt (DK) Lebin Ding ist kein gewöhnlicher Jura-Student. Der 30-Jährige setzt sich für Menschenrechte in seinem Heimatland China ein. Ding praktiziert den Falun-Gong-Glauben (auch Falun Dafa genannt) und kämpfte für die Freilassung seiner Mutter aus einem chinesischen Arbeitslager. Er wünscht sich mehr Demokratie in China.


Herr Ding, Sie kommen aus der Provinz Shandong, leben aber seit August 2012 in Deutschland. Waren Sie seitdem mal wieder in China?

Lebin Ding: Nein, wenn ich jetzt nach China zurückkehre, würde ich entweder schon im Flugzeug oder spätestens am Flughafen verhaftet und vielleicht gefoltert werden. Die chinesische Regierung weiß, was ich hier mache.

Ihre Mutter wurde 1999 und 2012 verhaftet, Sie warben in Deutschland öffentlich für Ihre Freilassung.

Ding: Meine Mutter wurde im Juni 2012 nur wegen ihres Glaubens ohne Gerichtsverfahren in ein Frauenarbeitslager der Provinz Shandong gebracht. Um sie zu retten, habe ich mich an viele deutsche Medien, Politiker und Organisationen für Menschenrechte gewandt. Ich sammelte Unterschriften, nahm an Mahnwachen vor der chinesischen Botschaft teil und schrieb einen Brief an Bundeskanzlerin Merkel. Deutsche Politiker haben sich beim chinesischen Botschafter für meine Mutter eingesetzt, deshalb wurde ihre Haftstrafe verkürzt und sie ist jetzt frei. Aber meine Eltern stehen immer unter heimlicher Überwachung, die Telefonate werden abgehört. Ich mache mir große Sorgen, dass die Polizisten meine Eltern erneut bedrohen. Ich selbst fühle mich derzeit sicher und bin sehr dankbar dafür, denn Deutschland ist ein demokratisches Land.

Gilt das auch für Ihr Heimatland?

Ding: Menschenrechtsverletzungen sind in China an der Tagesordnung. Eine diktatorische Partei regiert dieses großartige Land. Es gibt zwar eine chinesische Verfassung mit Grundrechten wie Glaubensfreiheit. Die Kommunistische Partei Chinas ignoriert das aber und verletzt alle Grundrechte erheblich.

Der Falun-Gong-Glaube ist beispielsweise verboten. Warum?

Ding: Die Kommunistische Partei steht über allem und will niemanden, der frei denkt. Jeder soll nur an die Partei glauben. Um einen Studienplatz in China zu bekommen, muss man zum Beispiel ein Formular ausfüllen, in dem man bestätigt, dass man kein Falun-Gong-Praktizierender ist. Vor Beginn der Verfolgung im Juli 1999 war die Falun-Gong-Bewegung sehr beliebt, 70 bis 100 Millionen Menschen haben den Glauben praktiziert. Das System fühlte sich deswegen bedroht. Vom ehemaligen Staatspräsidenten und Parteichef Jiang Zemin ging die Verfolgung aus. Er wollte innerhalb von drei Monaten alle Falun-Gong-Praktizierenden vernichten, indem er den Befehl "Zerstört ihren Ruf, ruiniert sie finanziell und vernichtet sie physisch" herausgab. Es folgte eine große Hass- und Verleumdungskampagne über die staatlichen Medien, auch im Ausland. Und in China haben die Menschen keine andere Möglichkeit, an Informationen über die wahren Umstände zu kommen.

Worum geht es bei Falun Gong?

Ding: Die Grundlage von Falun Gong ist eine alte buddhistische Lehre. Die Gläubigen verhalten sich nach den Prinzipien Wahrhaftigkeit, Barmherzigkeit und Toleranz, um ein besserer Mensch zu werden. Man lebt diese Philosophie im alltäglichen Leben und übt fünf sanfte körperliche Übungen aus, ähnlich wie Qigong oder Yoga. Es gibt bei Falun Gong keine politische Motivation und keine religiösen Formen. Obwohl es verboten ist, gibt es in China sehr viele Menschen wie meine Mutter, die standhaft über die wahren Umstände der Verfolgung von Falun-Gong-Praktizierenden informieren.

Nicht nur Falun-Gong-Anhänger werden verfolgt, es gibt auch Berichte über Anwälte, die gefoltert werden.

Ding: Genau, auch Anwälte, die sich für diese Glaubensgemeinschaft einsetzen und Menschenrechtler verteidigen, haben große Probleme. Das sieht man besonders am Fall des renommierten Menschenrechtsanwalts Gao Zhisheng, der gefoltert und sexuell misshandelt wurde. Das Gleiche hat höchstwahrscheinlich auch der bekannte Menschenrechtsanwalt Wang Quanzhang erlitten. Sein Gerichtsverfahren wurde über Weihnachten in Tianjin eröffnet. Beide sind wieder spurlos verschwunden. Alle Rechtsmittel sind blockiert, Gerichte arbeiten leider nicht mit Gesetzen, sondern mit Politik oder Willkür.

Gibt es Hoffnung auf Besserung?

Ding: So lange diese Partei da ist, macht es keinen Unterschied, wer an der Spitze steht. Unter dieser Partei wird sich China nie zu einem Rechtsstaat wandeln. Auch die wirtschaftliche Entwicklung hat das Land nicht demokratisch gemacht. Im Gegenteil: Die Überwachung ist aufgrund der neuen Technologien noch strenger geworden. Aber so lange man etwas dagegen tut, wird sich jede Art der Unterstützung positiv auswirken. Eines Tages wird sich dieses Land von der diktatorischen Partei Chinas friedlich befreien. Die chinesische Bevölkerung will ein freies, rechtsstaatliches Land - auch für die nächsten Generationen.

Das Interview führten Christian Missy und Anna Hausmann.