Eichstätt (EK) Die Naturbühne oberhalb Eichstätt genau gegenüber der Willibaldsburg ist ruinös, weitgehend verfallen. Die Anlage mit steinernen Sitzreihen und einer halbrunden Bühne vor grandiosem Hintergrund wurde von den Nationalsozialisten im Jahr 1935 errichtet.
Deshalb haftete der Anlage lange Zeit etwas Ungutes an. Das allerdings hielt die Leitung der Diözese Eichstätt nicht davon ab, dort im Juni 1963 den Diözesan-Frohschartag auszurichten. Dazu kamen immerhin rund 1200 Mädchen im Alter zwischen zehn und 14 Jahren aus dem ganzen Bistum, feierten Gottesdienst, sangen, spielten und genossen das besondere Ambiente zu Füßen des mächtigen Hohen Kreuzes.
Auch im Vorstand des Historischen Vereins ist man sich einig, dass der Verfall der Stätte, unabhängig vom Bauherrn, bedauerlich ist.
ANNO DAZUMAL
1963, also keine zwei Jahrzehnte nach dem Ende der Diktatur, war die Thingstätte baulich noch weitgehend in Ordnung. Jugendpfarrer war damals Martin Netter. Die Ausrichter des Diözesan-Frohschartages stellten ohne Scheu fest: „Der Platz eignet sich vorzüglich für kirchliche Veranstaltungen und Kundgebungen.“ Die Mädchen der Frohschar gehörten zum Verband der Deutschen Katholischen Jugend. An dem Sonntag machten sich auch viele Eichstätter auf den Weg zum Hohen Kreuz; nicht wenige sahen die Anlage zum ersten Mal.
Nach der Messe, zelebriert auf der steinernen Bühne, wurden Sing- und Spielkreise gebildet und Ballons stiegen in den Himmel, auf deren angehängten Karten Friedensgrüße zu lesen waren. Das weitere Programm: Volkstänze, Theaterstücke, Modenschau. Am Schluss ging es zu Fuß den Berg hinunter und mit dem Zug oder mit Bussen in die Heimatorte zurück.
Im Jahr 1988 wurde nochmals ein Versuch zur Wiederbelebung der Freilichtbühne Thingstätte unternommen: Im Rahmen des Programms der Sommerspiele wurde Martin Walsers „Eiche und Angora“ aufgeführt. Der Platz wurde wohl nicht ohne Hintergedanken gewählt, geht es bei dem Stück doch um einen einfachen Mann, dem es nie gelingt, die politischen Umschwünge rechtzeitig zu erkennen. Das Werk setzt in den letzten Kriegstagen an. Organisator war Heinrich Vergho, der damals feststellte: „Natürlich hatten wir zunächst gewisse Berührungsängste, auf diesem von den Nazis errichteten Ort zu agieren. Aber die Thematik zwang uns den Spielort fast auf und er gab der Inszenierung vielfache Impulse.“
Interessant ist, dass schon 1946 (!) das Freilufttheater genutzt wurde. Rund 700 Sänger richteten auf dem Thingplatz im Rahmen eines Chortreffens der in Franken wohnenden lettischen Flüchtlinge eine Abendveranstaltung aus. Sie hatten zuvor einen Gottesdienst in der evangelischen Kirche gefeiert und waren dann den Berg hinaufgestiegen. Im EICHSTÄTTER KURIER hieß es am 9. August 1946: „Der schöne Sommerabend und der herrlich gelegene Festplatz gaben der Veranstaltung einen schönen äußeren Rahmen zum Gelingen des lettischen Sängertreffens.“
Die Thingstätte war am Samstag, 6. Juli 1935, eröffnet worden. Die martialischen Töne der Erbauer: „Nationalsozialisten des Kreises Eichstätt! Unsere herrliche Thingstätte am Heiligen Berg hat durch den Frankenführer Gauleiter Julius Streicher ihre Weihe empfangen. Der Tag ist ein Markstein in der Geschichte unserer Bewegung. 18 077 Arbeitsstunden und 118 Fuhrwerkstage sind freiwillig geleistet und gestiftet worden. Der Heilige Berg soll ein Werk werden, wie es der herrlich gelegene Platz und das hohe Ziel der Bewegung würdig ist. Vorwärts mit Hitler. Es lebe der Führer und seine herrliche Bewegung.“
Grundsteinlegung war am 6. April 1935 durch den Kreisleiter der NSDAP, Walter Krauß, Bürgermeister von 1934 bis 1938. Durch die SA und Parteimitglieder wurden die Bühne und die Zuschauersitzreihen gebaut. Die Fertigstellung des Thingstättenhauses (heute Café und Hotel Schönblick) war am 5. September 1935.
Störend war für die diktatorische Partei das Hohe Kreuz, das 1854 als Dank für die Verschonung vor der Choleraseuche errichtet worden war. Die Beseitigung des im Hüttenwerk Obereichstätt gegossenen Monumentalkreuzes wurde durch den mutigen Widerstand christlich gesinnter Bürger aus Wintershof und Eichstätt verhindert. (Wenn die Nationalsozialisten vom „Heiligen Berg“ sprachen, meinten sie damit nicht das Hohe Kreuz).
„Thing“ bezeichnete bei den Germanen die Versammlung freier Männer eines Gaues. Dort wurden auch Rechtsfälle verhandelt. Bei der Eichstätter Thingstätte wurden in den „Nazi-Jahren“ vor allem Sonnwendfeuer entzündet.
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