Die 360-Grad-Perspektive

04.07.2011 | Stand 03.12.2020, 2:40 Uhr

Hat sich viel vorgenommen: Fabian Neuen - Foto: Hagenmaier

München (DK) Hintergründe und Analysen statt Nachrichten, eine weltweite Betrachtungsweise von Themen statt der nationalen Perspektive: Der Münchner Fabian Neuen und zwei indische Kollegen wollen mit der Internetseite „Fair Observer“ eine Lücke im internationalen Medienmarkt schließen.Der Firmengründer präsentiert sich wie ein Student: Neuen trägt Jeans und weißes T-Shirt, eine ausgefranste Frisur und auf der Nase eine Brille mit dicken Rändern.

Doch man sollte sich nicht täuschen lassen. Neuen ist 30 Jahre alt, hat Betriebswirtschaft studiert und ein internationales Masterprogramm absolviert; er hat in der internen Beratung von Siemens gearbeitet und möchte jetzt die Medienwelt verändern – mit einer Internetseite. „Fair Observer“ heißt die Plattform; vergangene Woche ging sie online.

„Unser Produkt heißt: Analyse“, sagt Neuen. Die finde in der weltweiten Medienlandschaft zu wenig statt. „Drei Dinge sind uns aufgefallen. Erstens: Berichterstattung ist häufig einseitig und beschränkt sich auf die nationale Perspektive, das wirkt in unserer globalen Welt überholt. Zweitens: Berichterstattung ist häufig eventgetrieben und beleuchtet die Hintergründe zu wenig. Und drittens: Oft fehlt, etwa bei der Berichterstattung über Probleme und Konflikte, der historische und kulturelle Kontext.“ Auf der neuen Internetseite sollen sich deshalb zu einer Sache immer mehrere Artikel aus unterschiedlichen Perspektiven finden. Zum Thema „Türkei“ etwa wird es Texte über die türkische Identität, die Beziehung zwischen Türkei und Israel und zur Frage geben, ob sich die Türkei eher nach Westen oder nach Osten orientieren wird. Die Macher nennen das „360-Grad-Perspektive“. Ihre Zielgruppe sehen sie bei Akademikern und Diplomaten, Militärs und Staatsbediensteten, Investoren und Managern.

Hinter „Fair Observer“ stehen neben Fabian Neuen noch die beiden Inder Atul Singh und Chiradeep Chakraborty; die drei haben die Firma 2010 gegründet. Singh und Neuen haben sich 2009 in einem Kurs für angehende Unternehmer in den USA kennengelernt. Während Neuen das Münchner Büro des „Fair Observer“ betreut, leitet Singh das Büro in Washington und Chakraborty das in London.

Die drei Chefs verfassen nur wenige Texte ihres Internet-Magazins selbst; sie haben aber auch keine Redaktion hinter sich. „Wikipedia ist unser Vorbild“, sagt Neuen: „Wir wollen ein Netzwerk aufbauen von Leuten aus der Wirtschaft und dem Politikbetrieb, Akademikern, Journalisten.“ Es gibt schon etwa 100 Unterstützer, darunter Wolfgang Ischinger, der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, den ehemaligen CIA-Vize Glenn Carle und Jaswant Singh, früherer indischer Finanz- und Außenminister.

Noch bekommen die Autoren kein Geld für ihre Artikel, und auch die Gründer verdienen noch nichts. „In der Startphase machen die Menschen freiwillig mit. Im Unternehmensplan ist aber vorgesehen, dass wir den Autoren zukünftig auch etwas bieten werden.“ Dazu muss die Seite aber erst profitabel werden. Die Gründer wollen deshalb „Fair Observer“ als Nachrichtenagentur für Hintergrundberichte und Analysen etablieren. Die Inhalte sollen außerdem an Fernsehsender im Internet verkauft werden. Später sollen auch Konzerne bei „Fair Observer“ Analysen in Auftrag geben können – und dafür bezahlen.

Neuen und seine Kollegen sehen sich nicht als reine Geschäftemacher. Sie fühlen sich als „social entrepreneurs“, also Unternehmer, die sich für die Gesellschaft engagieren. Und sie haben große Ziele: „So wie Facebook ein soziales Netzwerk ist, wollen wir ein intellektuelles Netzwerk für Nachrichten sein.“

Unter www.fairobserver.com ist die Seite abrufbar. Derzeit sind noch alle Texte auf Englisch verfasst – in der Zukunft soll sich das aber ändern.