Roland Gumpert gilt als Autobaulegende. Der Ingolstädter war einst Audi-Sport-Chef und entwickelte mit dem Apollo seinen eigenen Supersportwagen. Neuestes Projekt des Ausnahme-Ingenieurs: Ein Bolide, angetrieben von einer Methanol-Brennstoffzelle.
Große Autobauer geben sich meist zugeknöpft, wenn es um kritische Themen und Details geht. Ganz anders geht Roland Gumpert damit um: Offen spricht er über Fehlschläge, seine Pläne und erläutert technische Feinheiten. Nur ein Thema gibt es, zu dem er eisern schweigt: sein Alter. "Meine Frau hat gesagt, ich soll sofort das Gespräch beenden, wenn ich darauf angesprochen werde", sagt er und lacht. Nach unseren Informationen wird Gumpert im Dezember 74 - und ist damit in einem Alter, in dem die meisten längst ihren Ruhestand genießen. Nicht so der legendäre Ingolstädter Ingenieur. Seit etwa einem Jahr arbeitet er an seinem neuesten Projekt: ein Supersportwagen, betrieben von einer Methanol-Brennstoffzelle.
Die technischen Daten des zweisitzigen Coupés klingen extrem: Vier Elektromotoren mit insgesamt maximal 600 kW Leistung sollen das Fahrzeug auf bis zu 300 km/h beschleunigen. Der Sprint von 0 auf 100 km/h soll mit dem allradgetriebenen Auto in unter 2,5 Sekunden gelingen. Die Reichweite gibt das Unternehmen mit 850 Kilometern an - allerdings vorausgesetzt, man fährt nicht schneller als 80 km/h. Grundsätzlich wird das Auto mit dem Strom aus einer 60-kWh-Batterie angetrieben - diese wiederum wird permanent durch die 5-kW-Brennstoffzelle geladen. Ist die Batterie leer, fährt das Auto in einem Notlaufmodus mit maximal 50 km/h.
So außergewöhnlich die Technik, so außergewöhnlich der Name für das Auto: Nathalie. Heute haben Fahrzeuge meist Kunstnamen oder tragen Zahlen- und Buchstabenkombinationen am Heck. Gumpert hat das Auto nach seiner ältesten Tochter benannt. Die 19-Jährige durfte das Fahrzeug auf der Automesse in Peking im Frühjahr auch enthüllen. Kein Zufall, dass Gumpert sein Auto im Reich der Mitte präsentierte - und nicht zum Beispiel in Genf. Hinter dem Projekt steht ein junges chinesisches Unternehmen namens Aiways (siehe Kasten unten). Gumpert-Aiways ist eine deutsche Tochterfirma und soll die technologische Speerspitze bilden. Sitz des Unternehmens mit aktuell 17 Mitarbeitern ist das Ingolstädter Industriegebiet nördlich der Manchinger Straße.
Für Gumpert ist das Methanol-Brennstoffzellenauto ein weiteres Kapitel in einer langen, bewegten Karriere. Einen Großteil seiner Laufbahn verbringt der Ingenieur bei Audi in Ingolstadt. Unter anderem ist er ab 1969 Erprobungsleiter für den Audi 50. Mitte der 70er-Jahre entwickelt er für die Ingolstädter unter strengster Geheimhaltung sogar ein Motorrad: die Z02. Auf den Markt kommt das Bike allerdings nie - der Verantwortliche bei der Konzernmutter Volkswagen in Wolfsburg lehnt das Projekt bei der Vorstellung ab.
Solche Rückschläge steckt Gumpert weg - weil er auch viele Erfolge feiert. Unter anderem ist er maßgeblich an der Entwicklung des Allradantriebs für den VW Iltis beteiligt. Und er schafft es, das Auto so rallyetauglich zu machen, dass man 1980 die Rallye Paris-Dakar gewinnt. Zum Dank befördert ihn Ferdinand Piëch zum Audi-Sport-Chef. Trotz vieler Rallye-Erfolge wechselt Gumpert 1986 auf den Posten des Bereichsleiters für die technische Entwicklung Übersee. Seine Aufgabe: Fahrzeuge entsprechend der länderspezifischen Anforderungen anpassen. Beispielsweise müssen die Autos für extrem schlechte Straßen oder minderwertigen Sprit umgerüstet werden. "In China hatte Benzin damals teilweise keine 80 Oktan", erzählt Gumpert. Bei Treibstoff mit niedrigen Oktanzahlen beginnen Motoren zu "klopfen" und gehen dadurch sehr schnell kaputt. Außerdem, erinnert sich der 73-Jährige, seien bei den Fahrzeugen für China nach einem Jahr alle Hupen kaputtgegangen - weil die Chinesen um ein Zigfaches öfter hupen als wir Europäer.
1992 wird Gumpert zum Verantwortlichen für den Vertrieb und Marketing Region Asien/Pazifik ernannt - "nicht ganz freiwillig", wie er schmunzelnd erzählt. Der Ausnahme-Ingenieur wäre lieber weiter in der technischen Entwicklung geblieben. Seine letzte Station im VW-Konzern tritt Gumpert 1999 mit der Position als Vertriebs- und Marketingvorstand des "VW-Audi Joint Venture China" an. Drei Jahre lebt er in Changchun, baut dort die ersten 50 Audi-Händler auf. Gleichzeitig lernt er in dieser Zeit seinen heutigen Geschäftspartner Fu Qiang kennen. Fu ist inzwischen Chef von Aiways und hat seinen langjährigen Bekannten mit ins Boot geholt. Gumpert ist nicht nur Chef der Tochterfirma Gumpert-Aiways, sondern auch Produktvorstand von Aiways.
Nach Gumperts Asien-Aufenthalt will ihn Piëch zu einem Ober-Bereichsleiter bei Volkswagen machen - aber Gumpert wollte nach eigener Aussage nicht nach Wolfsburg ziehen. Also trennt man sich - worauf Gumpert ein komplett neues Kapitel aufschlägt und mit der Entwicklung eines eigenen Supersportwagens namens Apollo beginnt.
"In einem großen Unternehmen ist man als Ingenieur immer gehandicapt", sagt Gumpert. "Ich wollte einmal ein Auto bauen, wie es technisch möglich ist." Der Apollo, mit einem 650-PS-Motor als kleinster Ausbaustufe, ist aerodynamisch derart ausgeklügelt, dass er wegen seines Anpressdrucks ab 270 km/h theoretisch an der Decke fahren könnte. Rund 100 Stück des rennsporttauglichen Boliden werden nach Aussage von Gumpert insgesamt gebaut. 2013 muss die Firma Insolvenz anmelden.
2014 präsentiert Gumpert mit dem Explosion einen neuen Sportwagen. In Serie geht das Auto aber nie. Gerne hätte Gumpert am Explosion weiterentwickelt, doch 2016 kommt sein alter Weggefährte Fu auf ihn zu und bittet ihn darum, einen Supersportwagen zu entwickeln - allerdings unter der Voraussetzung, dass es sich um ein Elektroauto handelt. Doch das lehnt Gumpert ab. Ein alternativer Antrieb ja - aber kein reines Batteriefahrzeug.
Zunächst habe er einen Propangas-Antrieb ins Auge gefasst, erzählt Gumpert, doch der Wirkungsgrad der Turbine sei ihm zu gering gewesen. Die nächste Idee war dann die Methanol-Brennstoffzelle. Bei der Suche nach dem passenden Hersteller wird er in Dänemark fündig: Eine Firma dort hat eine Methanol-Brennstoffzelle mit einem Wirkungsgrad von 40 bis 50 Prozent entwickelt. Diese wird schließlich für das Auto adaptiert.
Gumpert ist von der Technik überzeugt. "Eine Wasserstoff-Brennstoffzelle ist totaler Schmarrn", sagt der Ingenieur. Wasserstoff sei hochexplosiv, stünde unter enormem Druck. Die Tankstelleninfrastruktur dafür aufzubauen, sei extrem teuer. Zudem verschlinge ein einziger Tankvorgang so viel Energie, dass man damit mit einem benzinbetriebenen Fahrzeug mehr als 150 Kilometer weit fahren könnte.
Die Methanol-Brennstoffzelle sei dagegen viel ungefährlicher. Umweltfreundlich sowieso: Pro Kilometer würden bei konventionell (aus fossilen Vorkommen) gewonnenem Methanol maximal 30 Gramm CO2 pro Kilometer emittiert. Auch für die Infrastruktur hat Gumpert schon einen Plan: Das benötigte Methanol-Wasser-Gemisch (60:40) könne man in herkömmliche Tankstellentanks füllen. Für die ersten Kunden will er in den jeweiligen Wohnstädten einzelne Zapfsäulen anmieten und die Tanks mit Methanol befüllen.
500 Nathalies will Gumpert insgesamt bauen - in einem Zeitraum von "vier bis fünf Jahren". Dass so ein exklusives Fahrzeug seinen Preis hat, ist naheliegend: 420000 Euro veranschlagt der 73-Jährige in Deutschland pro Exemplar - "plus Mehrwertsteuer". Eine halbe Million Euro wird also mindestens fällig . Die ersten 20 Vorserienfahrzeuge sollen im Spätsommer nächsten Jahres gefertigt werden. Wo? "In der Nähe von Ingolstadt", sagt Gumpert. Näheres lässt er sich nicht entlocken. Doch er hat noch große Pläne - unter anderem will er ein SUV bauen.
Hält Gumpert daran fest, seine Autos nach seinen Nachfahren zu benennen, könnte er noch viele Jahre weitertüfteln. Der 73-Jährige hat acht Kinder.
Sebastian Oppenheimer
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