Ingolstadt
Der letzte Mohikaner

In Zeiten von Netflix und Co. bleiben Videotheken auf der Strecke Ein Besuch in der einzig verbliebenen der Stadt

15.12.2017 | Stand 02.12.2020, 17:04 Uhr

Gute 450 Filme hat Michael Ratzer noch in seiner Videothek "Videoland" in der Münchener Straße. Vor allem mit den aktuellen Filmen kann er noch Kundschaft anlocken. - Foto: Leurs

Ingolstadt (DK) In den 70er-, 80er- und 90er-Jahren hatten die Videotheken ihre goldenen Zeiten. Doch heute, wo jeder sich Filme bequem über das Internet auf den heimischen Fernseher holen kann, sterben Videotheken aus. Eine einzige gibt es noch in Ingolstadt. Ein Besuch.

Michael Ratzer erlebt als Besitzer von Videoland in der Münchener Straße solche und solche Tage. "Es gibt gute, an denen ich mir denke, ach, würde es doch jeden Tag so laufen", sagt der 50-Jährige. Und dann gebe es wieder welche, an denen er sich fragt, warum er seinen kleinen Laden überhaupt aufgesperrt hat. In seinem Reich scheint die Zeit irgendwie stehen geblieben zu sein. An den Wänden stehen volle Regale mit leeren DVDs und Blu-rays. Die neuesten Blockbuster, Kinderfilme, Komödien, Gruselfilme. Ein Plastikanhänger vor dem Film zeigt, dass man ihn ausleihen kann - vor fast jedem Film liegt so ein Anhänger. Michael Ratzer sitzt wie jeden Tag allein hinter der Kasse und wartet auf Kundschaft. Von 11 bis 21 Uhr hat er geöffnet. Da bleibt viel Zeit, um über die guten alten Zeiten zu sinnieren.

Videokassetten - oder kürzer VHS-Kassetten - gibt es schon lange nicht mehr. Nur der Name Videothek erinnert noch an die Anfangszeiten. In Ingolstadt gab es früher auch noch mehrere der Ausleihstationen. Doch Mega Movie in der Friedrichshofener Straße hat schon vor Jahren zugemacht. Im vergangenen Jahr war es auch für Schmid's Video Halle in der Heydeckstraße vorbei. Heute kann man dort Lasertag spielen. Nur Ratzer hält weiterhin die Stellung. Dass seine beiden letzten Mitstreiter schließen mussten, dafür kennt er den Grund: "Die haben mit ihren großen Ladenflächen einfach so weitergemacht", sagt er. Bis es eben nicht mehr ging. Die Kosten für Miete und Strom seien bei der Größe einfach nicht mehr zu stemmen.

Das weiß Ratzer nur zu gut. Er hat sich überlebensfähig geschrumpft. Vor sieben Jahren arbeitete er noch am alten Standort der Videothek um die Ecke Am Pulverl. Heute befindet sich dort der Werksverkauf eines Bekleidungsgeschäfts. 700 Quadratmeter groß und doppelstöckig. "In den 90ern waren die Videotheken noch so groß, dass man fragen musste, wo denn die aktuellen Filme stehen", erzählt Ratzer. Heute seien das die Filme, mit denen er sich überhaupt noch über Wasser halten kann.

Aber auch das wird zunehmend schwerer. "Früher hatte die Videothek die Filme ja schon Wochen, noch früher sogar Monate vorher", erklärt er. Heute sind sie - wenn er sie in den Regalen hat - auch im Verkauf zu haben. "Ab und zu kommt es vielleicht noch vor, dass ich ihn zwei Tage vorher bekomme." Dann werden die Filme einige Wochen ausgeliehen. Doch schon nach gut vier Wochen könne er sie schon weiterverkaufen.

Wenn er von den alten Zeiten erzählt, bekommt er leuchtende Augen. "Als ,Titanic' im Jahr 1997 erschien", erinnert er sich, "da lag der Film so häufig in den Regalen, dass du dich gefragt hast, ob es überhaupt noch einen anderen Film gibt." Er erzählt von VHS-Kassetten, die so häufig ausgeliehen wurden, dass das Band schon fast durchsichtig war und man sich zweifelte, ob der Film überhaupt noch läuft. Riesige Menschenschlangen zogen sich durch das Geschäft. "Es gab Tage, da kam man mit dem Zurückhängen der Plastikanhänger fürs Ausleihen gar nicht hinterher." Aber das waren auch andere Zeiten, wie er sagt. "Was gab es denn im Fernsehen? Das erste, zweite und dritte Programm und vielleicht noch mit der Antenne einen österreichischen Sender."

Auch wenn der Kundenstamm wegbricht, es kommen schon noch welche, sagt er. Aber es seien hauptsächlich die Leute, die nicht im Internet Filme streamen. Aber diejenigen, die das tun, beehren zuweilen noch seinen Laden. Aus einem bestimmten Grund: "Es gibt Leute, die haben einen großen Fernseher mit Blu-ray-Laufwerk und ein tolles Soundsystem." Die Tonqualität beim Streamen reiche an die einer Blu-ray nicht heran.

In den Mittagsstunden kommen beim DK-Besuch insgesamt sechs Kunden in das Geschäft. Zwei bringen einen Film zurück, die anderen vier schauen sich nur um. Einer ist ein 58-jähriger Stammkunde. "Ich gehe noch gerne in die Videothek", sagt er. "Ich finde es schön, die DVD in der Hand zu halten, mir das Cover anzusehen und den Klappentext durchzulesen." Aber vielleicht sei das einfach Nostalgie. Wenn sich seine Tochter einen Film ansehen möchte, dann streame sie ihn im Internet. Der Zeitgeist der Generation sei halt ein anderer.

"Ich möchte schon gerne weitermachen", sagt Ratzer. Er sehnt sich an jene Tage zurück, als noch Scharen in die Videothek kamen, er sich mit ihnen unterhielt und ihnen den neuesten Film empfehlen konnte. Es gebe auch Kunden, die ihm sagen, wie toll sie es finden, dass es noch eine Videothek in Ingolstadt gebe. Aber was bringe das, wenn sich keiner mehr Filme ausleiht, fragt er.

Ratzer zeigt auf ein Plakat an der Wand. Darauf sind die zehn Topfilme für Dezember zu sehen. "Eigentlich ist jeden Monat immer was dabei", sagt er. Und die Wintermonate seien die, an denen sich die Leute eher mal abends einen Film ansehen. Mit Sorge blickt er schon auf den Sommer 2018. "Da ist ja wieder Fußball-Weltmeisterschaft." Aber es sei nicht seine erste. Die anderen habe er auch überlebt.