Der Kini kommt aus Holland

06.03.2011 | Stand 03.12.2020, 3:05 Uhr

Der Kini umarmt Sisi: Jeroen Willens und Brigitte Hobmeier in einer Szene aus "Ludwig II" in den Kammerspielen. - Foto: Jan Versweyveld

München (DK) Raus aus den Kammerspielen – hinaus auf die Maximilianstraße, auf den goldverzärtelten Boulevard von Wittelsbacher Gnaden, hinein ins Münchner Leben. Diesem Impuls folgte die erste Saison des Kammerspiel-Intendanten Johan Simons bisher immer wieder, wenn auch nie so unmittelbar wie zum Ende der Uraufführung von "Ludwig II", die seit Freitag auf dem Spielplan steht.

Dann nämlich brechen der abgesetzte König Ludwig und sein Leibarzt auf, und per Bildübertragung sehen die zurückgelassenen Zuschauer, wie die Schauspieler an der Garderobe ihre Kleidung abholen, das Haus verlassen, unter der mobilen Begleitung eines Technikers an der Residenz der Wittelsbacher vorbeigehen bis zu einem von Schneekrusten überzogenen Schloss Nymphenburg, dem Geburtsort des Königs. Dort beschreiten sie aber nicht eines der Brunnenbecken im Garten, sondern werden weggeblendet.
 

Das hat etwas von einer Außenwette bei "Wetten das..." – und dabei doch königliche Größe. So schließt ein Abend, der zweifellos seine Längen hat, aber dennoch über die Funktion einer Zeitreise für die Verehrer von Ludwig II, Richard Wagner und Visconti hinaus verweist.

Regisseur Ivo van Hove ließ mit seiner ersten Arbeit in München eine gewaltige Theaterpranke auf die Bühne niedersausen, deren Zartheit, Dichte und Perspektivreichtum erst im Laufe des Abends kenntlich wird. Die Bühne von Jan Versweyveld bietet ihm dafür das ideale Spielzimmer, wandelbar enthält sie eine große Fläche für Videoprojektionen und die zu Subtiteln umgewandelten Dokumentarelemente des Films. Übertragen wird meist live aus einem im Hinterbereich der Bühne angesiedelten Kabinett, und es gibt auch eine große – ärgerlicherweise zu Beginn des Abends nicht ausreichend gesäuberte – schwarz grundierte Fläche, auf der Ludwig sein Innenleben mittels Kreidestrichmännchen skizziert. Sinnfällig wird, wie wenig sich der exotische Kunstgeschmack und die praktisch nicht vorhandenen künstlerischen Fähigkeiten dieses Kunstkönigs entsprechen – eine Divergenz, die sich im schauderhaft schrägen Operngesang seiner Teilzeit-Verlobten Sophie (Katharina Hackhausen) wiederholt.

Oft scheint im Laufe des Abends der Film im Hinterkopf des Regisseurs mitzulaufen, so wenn bei Brigitte Hobmeiers erstem Auftritt als fulminante Kaiserin "Sisi" das Pferdegetrappel zu hören ist, das Romy Schneider im Film bei der gleichen Sequenz begleitet. Würde allerdings die Bühnenfassung nicht über ein Nachspielen des Filmklassikers hinausgehen, wäre der Abend ähnlich verfehlt, wie hier und andernorts schon öfter zu beklagen. Diesen Fehler zu vermeiden, gelingt dem Team traumwandlerisch sicher. Getragen von einem starken und homogenen Ensemble wird vielmehr Ludwig aus dem Historiendrama hinausfiletiert und die Divergenz seiner drei Existenzen hinterleuchtet: Politik – Kunst – Liebe.

In allen drei Bereichen scheitert der Bayernkönig, welchen Willems schon zu Beginn mit der vergrübelten Zerrissenheit der Midlife-Crisis ausstattet, die dem Rollenbild des "schönsten Mannes der Welt" Helmut Berger, der während der Drehzeit nicht einmal 30 Jahre alt war und vor allem als Nacktstar Furore gemacht hatte, diametral entgegensteht.

Die anderen Schauspieler – teils in Mehrfachrollen wie die stets elegante, wandelbare Sylvana Krappatsch – erschaffen erst den Kosmos, in welchem diese Figur so konsequent wie entdistanziert scheitern kann. Besonders einprägsam gelingt dies Brigitte Hobmeier als Kaiserin, Steven Scharf in der Rolle diverser Gefährten des Königs und Marc Benjamin als in den Irrsinn getriebener Bruder Prinz Otto. Weitab von lebendig gewordenem Filmmuseum wächst der Abend durch ihr Spiel zu einem Münchner Schaustück heran, welches das Heimischwerden der Kammerspiel-Holländer nach einem halben Jahr Startphase markiert.