Ingolstadt
"Der Diesel hat im Pkw keine Zukunft"

Motorenexperte Karl Huber über Testzyklen, Abgasnormen und Software-Tricksereien

24.09.2015 | Stand 02.12.2020, 20:46 Uhr

Karl Huber ist Experte für Verbrennungsmotoren an der TH in Ingolstadt - Foto: Oppenheimer

Ingolstadt (DK) Karl Huber ist an der Technischen Hochschule Ingolstadt (THI) Professor für das Fachgebiet Thermodynamik und Verbrennungsmotoren. Wir haben mit ihm im Kontext des VW-Skandals über Abgasnormen, Motorsoftware und die Zukunft des Dieselmotors gesprochen.

Herr Huber, wie wichtig ist die Motorsoftware heutzutage für den Verbrauch eines Autos?

Karl Huber: Das ist der Dreh- und Angelpunkt. Heute gibt es eigentlich nur noch digital geregelte Systeme, die wesentlich dazu beitragen können, sparsame und saubere Verbrennungsmotoren darzustellen. Für das Messen auf dem Rollprüfstand ist es übrigens selbstverständlich, dass die Software umzuschalten ist – oder von selbst umschaltet –, wenn ein Auto auf dem Prüfstand steht – ansonsten würde das Fahrzeug sofort einen Fehler erkennen. Wenn etwa nur eine Achse angetrieben wird, dann ist das kein normaler Fahrzustand und das Steuergerät schaltet möglicherweise in ein Notlaufprogramm.

 

Also keine Programmierkunst speziell von VW-Ingenieuren?

Huber: Nein. Die Umschaltung der Software ermöglicht einen ordnungsgemäßen Betrieb bei Abgas- und Verbrauchsmessungen. Kritisch wird es erst, wenn man die Software so verändert, dass sie sich vor Kunde anders verhält als im Abgastest.

 

Wie groß ist dieser Aufwand?

Huber: Technisch ist das wahrscheinlich ein Bit, das man da setzen muss, und dann macht das Steuergerät genau das.
 

Die Zyklustests sind ja allgemein umstritten...

Huber: Der Gesetzgeber schreibt vor, wie im Abgastest gefahren wird. Hierzulande wird ein Auto dabei so bewegt, dass der Motor in Summe nur ganz wenig gefordert wird. Die Höchstgeschwindigkeit etwa liegt bei 120 km/h. Mit einem Auto der Golf-Klasse brauchen sie bei Tempo 120 etwa 20 kW. Für den Motor ist das ein Teillastbereich. Und nur dort hat der Motor sauber zu sein. Außerhalb dieses Zyklusbereichs – etwa auf der Autobahn bei hoher Geschwindigkeit – darf der Motor unbegrenzt Schadstoffe emittieren.

 

Völlig legal?

Huber: Genau. Wir brauchen aber nicht so tun, als wären allein die Automobilhersteller die Bösen. Natürlich ist nicht gut, was VW macht, aber die Politik hat hier eine Verantwortung, die sie noch nicht wahrnimmt. Außerhalb des Testzyklus’ können die Motoren Dreckschleudern sein – das ist zugelassen.

 

Wie sieht das in der Praxis aus?

Huber: Wenn Sie einen Ottomotor auf der Autobahn nahe der Volllast betreiben, dann sorgt das Steuergerät dafür, dass mehr Kraftstoff eingespritzt wird, als verbrannt werden kann. Der Motor wird also mit Kraftstoff gekühlt. Dadurch entstehen riesige Kohlenwasserstoff- und Kohlenmonoxid-Emissionen, die der Katalysator nicht mehr umwandeln kann. Die gehen so an die Umwelt. Der Testzyklus NEFZ müsste geändert werden. Der Motor müsste in einem größeren Kennfeldbereich, also auch bei höheren Lasten und Drehzahlen, getestet werden.

 
Wodurch unterscheiden sich Benzin- und Dieselmotor beim Abgasausstoß?

Huber: Da muss man zwei Dinge trennen: Bei der Rohemission – also den Schadstoffen, die der Motor ohne Abgasnachbehandlung ausstößt – ist der Dieselmotor der deutlich sauberere Motor. Kommt aber eine Abgasnachbehandlung zum Einsatz, wie sie heute beim Ottomotor mit einem Drei-Wege-Katalysator und einer Lambda-Regelung üblich ist, dann wird der Ottomotor im betriebswarmen Zustand zu einem sehr sauberen Motor – und übertrifft den Dieselmotor mit seinen Rohemissionen bei Weitem.

 

Und wie wird beim Diesel das Abgas nachbehandelt?

Huber: Beim Dieselmotor eine Abgasnachbehandlung wie beim Benzinmotor einzubauen, ist schwierig bis unmöglich, weil der Diesel nicht mit demselben Luftverhältnis betrieben werden kann. Das bedeutet, dass man beim Dieselmotor einen sehr hohen Aufwand in der Abgasnachbehandlung betreiben muss, um auf die Werte zu kommen, die der Ottomotor durch ganz einfache Technik sozusagen geschenkt bekommt. Um die ganzen Abgaskomponenten beim Diesel in den Griff zu bekommen, ist unter dem Auto fast eine Art Labor zu verbauen.

 

Woraus besteht dieses „Labor“?

Huber: Das geht los mit dem Oxidations-Katalysator, dann kommt der Rußpartikelfilter und bei einer optimalen Lösung die Harnstoff-Eindüsung und der SCR-Katalysator. Vier große Baugruppen zur Abgasreinigung. Manche Hersteller scheuen allerdings die Kosten und versuchen es ohne SCR-Technik. Das ist billiger und der Kunde muss keinen Harnstoff in Form von AdBlue nachfüllen.

 

Ist ein Dieselmotor deshalb auch teurer in der Herstellung?

Huber: Fast jedes Bauteil ist beim Diesel aufwendiger, schwerer und teurer als beim Ottomotor. Denken Sie nur an die Einspritzanlage, die Drücke von bis zu 2000 bar und mehr beherrschen muss.

 

Warum verbraucht ein Diesel weniger als ein Benzinmotor?

Huber: Der Ottomotor muss bei wenig Leistung gedrosselt werden – dieses „Androsseln“ bedeutet Verlust und damit mehr Verbrauch. Der Diesel braucht das nicht, er kann die Leistung über die Einspritzmenge steuern. Das ist der Unterschied: Der Teillastverbrauch ist beim Diesel deutlich geringer.

 

Welche Vorteile hat ein Diesel noch?

Huber: Ein Diesel ist nur beim Verbrauch unschlagbar. Alles andere kann der Ottomotor besser. Er ist sauberer, günstiger, leiser, springt leichter an und ist besser hybridisierbar. Bei schweren Nutzfahrzeugen kann ein Diesel seine Vorteile ausspielen – aber ein Diesel in einem Kleinwagen ist Unsinn.

 

Wie sehr wird der Skandal dem Diesel-Image schaden?

Huber: Es ist schwer zu prognostizieren, wie die Kunden reagieren. Aber: Ein Dieselmotor hat im Pkw nichts zu suchen. Zumindest in Fahrzeugen, die weniger als 1,5 Tonnen wiegen. Der Aufwand, die gleichen Grenzwerte wie ein Ottomotor einzuhalten, ist enorm, und kostenmäßig kaum darstellbar.

 

Wieso preisen die deutschen Hersteller ihre Diesel-Motoren dann überall so stark an?

Huber: Weil der Diesel hier erfunden wurde. Und weil eine Industrie mit vielen Arbeitsplätzen dranhängt.

 

Hat der Diesel aus Ihrer Sicht eine Zukunft?

Huber: Im Pkw eher nicht. Das, was sich die deutschen Autobauer wünschen, wird nicht stattfinden. Ich glaube nicht, dass man die Diesel-Pkw in den USA hoffähig macht. Nach dem Skandal sowieso nicht mehr.