Ingolstadt (DK) Außer Kopfrechnen und Pflanzenkunde ist beim Verkauf auf dem Wochenmarkt auch eine gewisse Sprachkenntnis erforderlich. Ein Selbstversuch zwischen Wurzelgemüse, Schwarzbeeren und Paradeisern.
Als der Aushilfsverkäufer an diesem Samstagmorgen kurz nach 9 Uhr beim Stand auf dem Wochenmarkt eintrudelt, ist für die Stammbesatzung ein Drittel des Arbeitstages schon fast erledigt. Ab 6.30 Uhr wird der Verkaufsstand jeden Mittwoch und Samstag aufgebaut. Gemüsebauer ist offenbar kein Job für Langschläfer. "Mein Wecker steht auf 5 Uhr", sagt Rebekka Roth-Meyer. "Das ist eigentlich ganz human", findet sie. Andere Standbetreiber, die von weiter her kommen, müssten noch deutlich früher aus den Federn. Der Bio-Gemüsehof von Rebekka Roth-Meyer und ihrem Mann ist in Hundszell, da hält sich die Anreise doch in Grenzen.
Während der Neuankömmling sich noch orientiert, wird um ihn herum bereits fleißig gearbeitet. Die Finger der Verkäuferinnen fliegen über die Tasten der beiden Kassen, Körbe und Einkaufstaschen werden ihnen von den Kunden über die Auslage gereicht, Gemüse und Obst abgewogen und verpackt. Schnellen Schritts geht es die geschätzt 15 Meter zwischen den Äpfeln ganz rechts und den Salatköpfen ganz links hin und her, um das Gewünschte zu holen. Zweifellos: Hier arbeitet ein eingespieltes Team, da kann ein Neuer doch eigentlich nur stören... Ein Rückzug wird allerdings nicht mehr akzeptiert. In dem Augenblick, in dem der Vormittags-Praktikant die Arbeitskleidung - eine grüne Schürze - übergestreift hat, wird ihm von der Kundschaft die volle Kompetenz zugeschrieben, die auch die anderen am Stand haben. Da trifft ihn der erwartungsvolle Blick einer älteren Dame, die gerne "ein Pfund Buschbohnen" hätte. Mit Geduld beobachtet sie den Neuen, wie er zunächst versucht, die Stangen- von den Buschbohnen zu unterscheiden, sich beim Abwiegen völlig bei der Menge verschätzt und schließlich auf der Suche nach der Taste mit der Beschriftung "Bohnen", den Zeigefinger gefühlt zwei Minute über der Kassentastatur kreisen lässt. Dann ist sie gefunden, die Verkaufssumme durch ein Tippen der - warum auch immer - "Ingwer"-Taste errechnet und abkassiert. Ging doch eigentlich.
Mit der Zeit stellt sich eine gewisse Routine ein, und die Tastenbelegung der gängigsten Angebote prägt sich auch recht schnell ein. Bei Fragen genügt ein Zuruf der Kolleginnen, immer wieder helfen aber auch die Kunden, die meistens genau wissen, was sie wollen. Viele von ihnen kommen jede Woche. Das meiste Gemüse am Stand ist in Hundszell gewachsen, was zugekauft wird, kommt überwiegend aus der Region. Für die Kunden gilt das nicht, was an den Bestellungen deutlich wird. "Paradeiser" will einer haben, andere bestellen "Heidelbeeren", "Blaubeeren" oder "Schwarzbeeren" und meinen alle dasselbe. Bei einem Begriff muss der Neue aber passen. "Wurzeln" werden verlangt. Gemeint sind aber nicht Petersilienwurzeln, keine Pastinaken und auch nicht Radieserl. Mohrrüben sind gemeint, Karotten halt, gelbe Rüben! Babylonische Sprachverwirrung am Gemüsestand.
Plötzlich steht eine Frau vor der Auslage und lässt den Blick über Melonen, Äpfel und Paprika schweifen. Kaufen möchte sie aber nichts. "Ich bin vom Stand gegenüber", erklärt sie. "Wir verkaufen Marmelade. Ich wollte jetzt nur einmal schnell rüberkommen und mir die tollen Farben ansehen." Diesen Service gibt es freilich kostenlos. "Es gibt Kunden, die kaufen nach Farben ein", berichtet Roth-Meyer. "An einem Tag kaufen sie nur gelbe Sachen, am anderen nur rote."
Zu den Kunden an diesem Vormittag gehört auch Hannes Langer. Er ordert Gemüse und Obst einmal quer durch die Auslage und verkündet schließlich: "Ich zahle nicht." Sauber. Gerade als sich der verdutzte Verkäufer nach dem Polizisten Fred Over umsehen will, der wenige Minuten zuvor am Stand vorbeigekommen ist, um den dreisten Mundraub zur Anzeige zu bringen, klären die Chefin und der Stammkunde lachend auf: Der Wirt des Altstadtlokals Neue Welt zahlt seine gesammelten Rechnungen regelmäßig en bloc. Und so verschwindet der Bon mit Namen versehen bis zum Tag der Abrechnung in der Kasse.
Immer wieder gilt es, Lücken in der Auslage, die sich im Laufe der Zeit auftun, zu schließen. Mit einem Wassersprüher werden Obst und Gemüse besprenkelt, um bei den sommerlichen Temperaturen zu vermeiden, dass die Pflanzen welken. Auch dem Ferienarbeiter tut ein Spritzer ins Gesicht gut. Viel Zeit zum Verschnaufen ist aber nicht.
Kaum ist ein Kunde bedient, ist schon der nächste da. So kommt es dem Anfänger zumindest vor, der stellenweise etwas ins Rotieren kommt. "Man merkt, dass Ferien sind, da ist weniger los", findet dagegen Roth-Meyer. Da drängt sich die Frage auf, warum die Gemüsebäuerin nicht auch einfach Ferien macht. "Die Pflanzen wachsen ja trotzdem", sagt sie. "Die Natur macht im Sommer keinen Urlaub, dann machen wir ihn auch nicht." Und so wird der Gemüsestand auch an diesem Mittwoch wieder ab 6 Uhr am Wochenmarkt aufgebaut werden. Der Aushilfsverkäufer liegt da noch im Bett.
Johannes Hauser
Artikel kommentieren