Ingolstadt
Das Geschäft mit der Angst

Nina Segals "Big Guns" hat am Freitag im Kleinen Haus Premiere

13.11.2019 | Stand 23.09.2023, 9:26 Uhr
Makabre Lust an den Katastrophen: Ingrid Cannonier und Sarah Horak in "Big Guns". −Foto: Roch

Ingolstadt (DK) "Nirgends ist man sicher heutzutage", sagt Eins.

Zwar ist die westliche Gesellschaft statistisch gesehen sicherer als je zuvor. Dennoch lebt sie in Angst. Nina Segals Text "Big Guns" erzählt von dieser Angst. Ihre Protagonisten Eins und Zwei holen das Grauen in den Bühnenraum. Da gibt es ein Tagebuch, das Em im Bus 148 Richtung Norden vergessen oder auch absichtlich deponiert hat. Den Schöner-Wohnen-Blog von Ike und Kay. Und Leilas Cosmetic-VLog. Ihr alltägliches Geplauder wird mehr und mehr von Gewalt- und Horrorfantasien durchsetzt. Dann taucht auch noch ein Mann mit einer Waffe auf. Ist der real?

Nina Segals Text ist eine Versuchsanordnung über die Mechanismen, mit denen wir Gewalt in unser Leben lassen. Die makabre Lust an den Katastrophen und Gräueltaten, die wir über News Feeds, Social Media und in Full HD konsumieren. Im März 2018 wurde "Big Guns" in London uraufgeführt. Die deutschsprachige Erstaufführung findet am Freitag im Kleinen Haus des Stadttheaters Ingolstadt statt.

Übersetzt hat das Stück der österreichische Dramatiker Thomas Artz, der schon in seinem Stück "Grillenparz" (in Ingolstadt 2014 aufgeführt) sein Gespür für das Abgründige des Menschen unter Beweis stellte. Es ist seine erste Übersetzungsarbeit überhaupt. "Beim Lesen fand ich sofort den Rhythmus herausfordernd - die strenge Form, die lyrische Verdichtung und die Reduktion der Erzählung auf zwei Stimmen, die ganz schnell Räume und Figuren in unseren Köpfen aufrufen und wieder verschwinden lassen", berichtet er. "Natürlich hat das Stück etwas sehr Rätselhaftes und Assoziatives. Es richtet sich mehrmals direkt ans Publikum und unternimmt für mich eine Art ,Tour de Force' durch gegenwärtige Angst-Szenarien. Ist unser Sicherheitsbedürfnis letztlich eine gewaltige (auch gewalttätige) Lüge? Ein Ausblenden der Realität? Am Ende hat das Stück auch etwas Alptraumhaftes - und entlässt uns mit einem komisch beklemmenden Gefühl, das auch irgendwie vertraut ist. Jedenfalls ging es mir so beim Lesen. "

"Ein sehr guter Text, da er immer eine Meta-Ebene hat", schwärmt Regisseurin Mareike Mikat. "Hier hat sich eine Autorin auf eine sehr kluge Weise sowohl in der Sprache als auch inhaltlich mit einem Thema beschäftigt. Wie mit dem Skalpell geht sie vor und legt eine Schicht nach der anderen frei. " Für Mareike Mikat bietet das Stück die Möglichkeit, "sich großen Ängsten auszusetzen und sich an das Gefühl der Panik heranzuarbeiten. Mein Ansatz war deshalb, mit diesem Text ein Seminar für zivilisationsgeschädigte Menschen zu kreieren". Die Performer Eins und Zwei arbeiten sich an verschiedenen Versuchen ab. "Sie ziehen sich drei Geschichten ran von Menschen aus dem Hier und Jetzt und wählen dabei drei unterschiedliche Erzählformen - ein Tagebuch, ein Blog, ein VLog (Video-Blog). "

Nina Segal hat keine Vorgaben gemacht, ob ihre beiden Sprecher von Männern oder Frauen gespielt werden. In Ingolstadt schlüpfen Ingrid Cannonier und Sarah Horak in die Rollen von Eins und Zwei. "Wir haben viel über die Besetzung nachgedacht", sagt Mareike Mikat. "Gewalt ist auf dieser Welt größtenteils männlich konnotiert. Man kann das statistisch belegen. Aus diesem Grund war es spannend, zwei Frauen ins Zentrum zu stellen. "

Und dort stehen sie tatsächlich - im Zentrum. Mareike Mikat hat für das Kleine Haus eine Art Arena geschaffen: Die Zuschauer sitzen um die Performerinnen herum. Mittels verschiedenen Reglern werden live Soundmischungen erzeugt, die beim Publikum Emotionen auslösen sollen. Die Frage, die sich der Zuschauer stellen soll, ist die nach dem Warum. Warum lesen wir so gern Horrorgeschichten? Warum setzen wir uns diesen Ängsten aus? Warum funktioniert Gewalt als Form der Unterhaltung? Warum springen wir so auf Schlagzeiten an? Mareike Mikat: "Es wäre toll, wenn man anfängt, über die große Diskrepanz zwischen unseren Werten und dem, was wir konsumieren, nachzudenken. "

Premiere ist am Freitag um 20 Uhr im Kleinen Haus des Stadttheaters Ingolstadt. Kartentelefon (0841) 30547200.

Anja Witzke