Ingolstadt
"Das berührt mich sehr"

Flüchtlingsbischof Stefan Heße berichtet über seinen Besuch im Transitzentrum Manching

22.02.2018 | Stand 02.12.2020, 16:47 Uhr |
ARCHIV - Hamburgs Erzbischof Stefan Heße sitzt am 27.01.2015 in Hamburg bei einem Pressegespräch. Am 12.11.2015 wird Heße in der Hansestadt seine Aufgabe als «Sonderbeauftragter für Flüchtlingsfragen» der Deutschen Bischofskonferenz vorstellen. Außerdem will er über einen für Ende November geplanten «Katholischen Flüchtlingsgipfel» informieren. Foto: Daniel Bockwoldt/dpa (zu dpa «Flüchtlingsbeauftragter der Bischofskonferenz erläutert Ziele» vom 12.11.2015) +++(c) dpa - Bildfunk+++ | Verwendung weltweit − Foto: Daniel Bockwoldt (dpa)

Ingolstadt (DK) Die deutschen Bischöfe haben sich bei ihrer Frühjahrsvollversammlung in Ingolstadt auch intensiv mit dem Thema Flüchtlinge auseinandergesetzt. Das hatte der Vorsitzende Kardinal Reinhard Marx bereits im Vorfeld angekündigt. Der Hamburger Erzbischof Stefan Heße, der vor zwei Jahren zum Sonderbeauftragten für Flüchtlingsfragen bei der Konferenz berufen wurde, hatte im Vorfeld das Transitzentrum in Manching besucht. Der Besuch sollte ohne Medienbegleitung stattfinden. Der Erzbischof hat uns dennoch seine Eindrücke geschildert.

Herr Erzbischof, mit welchem Gefühl waren Sie am Montag im Transitzentrum in Manching unterwegs? Es ist ja nicht das erste Mal, dass Sie eine solche Einrichtung besucht haben.

Erzbischof Stefan Heße: Der Besuch im Transitzentrum in Manching hat mich nachdenklich gemacht. In den Gesprächen mit Vertretern der Regierung von Oberbayern habe ich erfahren, wie es vor Ort läuft. Ebenso wichtig waren mir aber auch die Begegnungen mit geflüchteten Menschen. Die meisten sehen für sich keine Perspektive. Viele sind traumatisiert. Sie haben spezielle Bedürfnisse und benötigen deshalb besondere medizinische und seelsorgliche Betreuung. All das wird nur unzureichend gewährt. So sehen sich die Geflüchteten in einer verzweifelten Situation. Das berührt mich sehr.

 

Die Öffentlichkeit wird weitgehend abgeschottet von den Einrichtungen, Medien haben keinen freien Zugang. Sie selbst waren in Begleitung der Regierung unterwegs - auch ohne Fotografen. Müsste man hier nicht konsequenter einen offensiveren Weg gehen, um etwa aus welchen Gründen auch immer geschürten Ängsten entgegenzutreten?

Heße: Selbstverständlich ist es wichtig, dass gerade auch die Bürger vor Ort über das Transitzentrum informiert sind. Transparenz ist unerlässlich. Allerdings muss auch die Privatsphäre der Geflüchteten geachtet werden.

 

Hatten Sie die Möglichkeit, mit Bewohnern zu sprechen? Was haben diese erzählt?

Heße: Gemeinsam mit Georg Falterbaum, Direktor des Caritasverbands der Erzdiözese München und Freising, und einer Mitarbeiterin der Caritas haben wir mit drei nigerianischen Frauen sprechen können. Sie haben uns ihre persönliche Situation, das Leben im Transitzentrum sehr eindrücklich geschildert. Unter anderem berichteten sie von unzureichender gesundheitlicher Versorgung und eingeschränkter Beschulung der Kinder. Nachfragen zur Flucht haben wir nicht gestellt. Das hätte die Frauen zu sehr belastet - darauf haben uns die Mitarbeiter der Caritas extra hingewiesen.

 

Die Menschen, die in den Unterkünften in Oberstimm und Ingolstadt auf ihre Abschiebung warten oder in Eichstätt in der Abschiebehaftanstalt sitzen, haben keine Perspektive. Es kommt oft zu Auseinandersetzungen, die teils in große Polizeieinsätze münden. Sind diese Abschiebezentren der richtige Weg - vor allem vor dem Hintergrund, dass das Modell auch auf Bundesebene angewandt werden soll?

Heße: Im Transitzentrum sind Menschen mit sogenannter "schlechter Bleibeperspektive" untergebracht. Die Anhörungen erfolgen in der Regel bereits wenige Tage nach der Ankunft, ohne dass die Geflüchteten sich ausreichend vorbereiten und eine qualifizierte Rechtsberatung in Anspruch nehmen konnten. Grundsätzlich kann es als sinnvoll erachtet werden, dass Asylverfahren möglichst rasch durchgeführt werden. Doch Beschleunigung darf nicht auf Kosten der Qualität des Verfahrens erreicht werden. Rechtsstaatliche Prinzipien müssen Vorrang haben! Das Zentrum in Manching scheint mir vor diesem Hintergrund kein Vorbild zu sein.

 

Wie wichtig ist Ihnen der Einsatz der Caritas und anderer sozialer Dienste in solchen Einrichtungen?

Heße: Die sozialen Dienste in den Flüchtlingszentren haben herausragende Bedeutung. Ohne sie können die humanitären Standards dort kaum verwirklicht werden. Ich bin dankbar für das Engagement der Caritas. Es hilft, dass an unwirtlichen Orten Menschlichkeit erfahren wird. Allerdings sind auch die Handlungsmöglichkeiten der Caritas in manchen Einrichtungen, auch in Manching, sehr begrenzt.

 

Welche Konsequenzen ziehen Sie aus dem Besuch vom Montag?

Heße: Mir ist es wichtig, den Menschen in den Flüchtlingseinrichtungen eine Stimme zu geben. Das werde ich auch in Zukunft tun.

 

Wie steht die katholische Kirche überhaupt zur Abschiebung?

Heße: Wir treten für das individuelle Recht auf Asyl ein. Und das bedeutet: Wenn ein ordnungsgemäßes rechtliches Verfahren abgeschlossen wurde, kann am Ende auch die verpflichtende Rückkehr in die Heimat stehen. Die Würde und die Sicherheit der Betroffenen müssen allerdings immer höher gewichtet werden als das Interesse an hohen Abschiebungszahlen.

 

Die Fragen stellte

Marco Schneider.

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