Nürnberg
"Dann geht's auch einfach um die Existenz"

Keine Auftritte, viel Arbeit und trotzdem Hartz IV: Der Musiker Gerd Grashaußer und seine Erfahrungen mit dem Pandemiejahr

30.05.2021 | Stand 03.06.2021, 3:33 Uhr |
Alles andere als eine Zeit für große Sprünge sind die 14 Monate Pandemie für den Künstler Gerd Grashaußer (Geraldino) gewesen. Faktisch mit Auftrittsverbot belegt, war er gezwungen Hartz IV zu beantragen. An einen schnell wieder anspringenden Kulturbetrieb glaubt er nicht. − Foto: Metropolregion

Nürnberg - Die Inzidenzzahlen sinken, die Kultureinrichtungen dürfen nach und nach öffnen, die Kultur soll einen fulminanten Neustart hinlegen.

Die Monate ohne Aussicht auf Arbeit aber waren für die Kulturschaffenden mehr als kräftezehrend, die Lage der Künstlerinnen und Künstler ist weiterhin prekär. Der Nürnberger Musiker Gerd Grashaußer, der seit 1983 als Geraldino vergnügte Kindermusik für die ganze Familie auf die Bühne bringt und im Studio produziert, erzählt im Gespräch von seinen ganz persönlichen Erfahrungen im Corona-Jahr.

Herr Grashaußer, wie haben Sie das letzte Jahr erlebt, und hat dies Ihre Sicht auf die Welt verändert?
Gerd Grashaußer: Das letzte Jahr war für mich sehr erkenntnisreich. Privat habe ich, wie ganz viele, richtig Kilometer auf dem Rad gemacht, war oft in der Natur - mein Energiespender Nummer eins - und ich hatte viel Zeit zum Kochen und zum Aufräumen: Keller, Atelier und Büro. Als Künstler habe ich, je länger die Pandemie dauerte, am eigenen Leib gespürt, wie schwer es die Kultur letztendlich immer noch hat. Wie schnell unser Berufsfeld einfach vergessen wird, wenn es um konkrete Maßnahmen, unkomplizierte Hilfen und ganz klare Perspektiven für den Einzelnen geht. Der Fußball rollt, die Baubranche boomt, aber Kultur und Soziales haben überhaupt keine Lobby. Und obwohl ich eigentlich sehr fleißig war, alle meine Möglichkeiten ausgeschöpft habe (zwei Mini-CDs, Orchesterprojekt mit den Nürnberger Symphonikern vorbereitet, Online- und Werbeclips gedreht, Sprechrollen übernommen, Streamingkonzerte gegeben, Best-of-Liederbuch zusammengestellt) - mein Leben konnte ich damit trotzdem nicht bestreiten. Wenn mal knapp 100 Auftritte absagt werden, dann geht's auch einfach um die Existenz. Letztendlich bin ich aber froh, in Deutschland zu leben mit einem funktionierendem Gesundheitssystem, wenn ich Bilder aus Indien oder Brasilien sehe.  Und ich bin froh, dass ich diese Zeit nicht alleine überstehen musste, ich glaube, ich wäre sonst verrückt geworden.

Gab es für Sie die passenden Hilfen, um Ihre Notlage, in die Sie als Künstler unverschuldet geraten sind, abzufedern? Gab es etwas, das Ihnen letztlich geholfen hat, um durch diese Zeit zu kommen?
Grashaußer: Am Anfang der Krise war ich verzweifelt, dass man mir von einem Tag auf den anderen die Existenzgrundlage entzogen, aber mir im Gegenzug keine angemessene Hilfe zum Lebensunterhalt geboten hat. Ich habe lange versucht, auf politischer Ebene um Gerechtigkeit zu kämpfen, bin aber zu der Erkenntnis gekommen, dass viele Betroffene wahrscheinlich ohne richtige Entschädigung bleiben werden, wenn nicht gerichtliche Präzedenzfälle geschaffen werden können, die klären, dass durch staatliche Corona-Maßnahmen geschlossene Betriebe genauso behandelt werden wie Kohleunternehmen, die zum Schutze der Allgemeinheit ihre Arbeit einstellen müssen und deswegen für entgangene Gewinne entschädigt werden. In der Zwischenzeit habe ich mich abgefunden, auch wenn ich es immer noch entwürdigend finde, dass ich Hartz IV beantragen musste. Klar, keine andere Branche ist so facettenreich wie die Kulturlandschaft, auch in ihrer Arbeitsstruktur, das macht sie ja auch aus. Wenn aber an den entscheidenden Stellen immer noch keiner weiß, wie das Berufsleben eines Künstlers funktioniert, und die Konsequenz ist, mit Hartz IV abzuspeisen oder Finanzhilfen zu entwickeln, deren Beantragung ohne Steuerberater nicht zu bewältigen ist - das ist das einfach unmöglich. Auf jeden Fall habe ich jetzt viel Erfahrung mit den Kulturhilfsprogrammen gesammelt, inklusive Kriminalisierung und Vorladung bei der Polizei. Zum Glück wurde das Verfahren, nachdem ich einen Anwalt einschaltete, eingestellt. Ich hätte mir von Anfang an Hilfe gewünscht, die sich an meinem Verdienst der Vorjahre orientiert. Ich habe im Mai 2021 endlich die November- und Dezemberhilfe ausbezahlt bekommen, die einzige Hilfe, die in zwei Monaten meines über einjährigen Auftrittsverbotes einen wirklichen Ausgleich zu meinen Umsatzausfällen geschaffen hat und mit der ich meine offenen Rechnungen bezahlen kann. Es gab noch einige kleine Unterstützungen, zum Beispiel vom Rother Landrat Herbert Eckstein, der einen "Kultur-Vorausscheck" ausgestellt hat. Außerdem kamen Spenden von der Orchesterstiftung und der Bürgerstiftung Nürnberg, und viele haben meine neue CD gekauft. Auch die Initiative von Marc Vogel, der "Kultur vor dem Fenster" ins Leben gerufen hat, war wichtig und das Kulturamt Nürnberg hat auch einiges möglich gemacht. Letztendlich möchte ich aber einfach wieder auftreten, Konzerte spielen und mein Geld wieder mit meiner Arbeit verdienen und meinen Beruf ausüben, der mir Spaß macht.
 
Denken Sie, dass nach über einem Jahr, in dem mit der Kultur eine ganze Branche stillgelegt war, es einfach so weitergehen kann wie bisher? Welche Hoffnungen und Befürchtungen haben Sie?  
Grashaußer: In Sachen "Perspektiven für die Kultur" bin ich in der Zwischenzeit ziemlich desillusioniert, viele Veranstalter sind einfach mürbe geworden, einige wenige haben leider schon ganz aufgegeben. Dazu kommt, dass künftig sicher überall Kürzungen im Kulturetat verkraftet werden müssen. Der finanzielle Druck auf alle Veranstalter wird noch größer, das wirkt sich auf die Ticketpreise aus. Das ist vor allem auch für meinem Bereich, der Kinderkultur, besorgniserregend, da man die Preise ja weiterhin familienfreundlich gestalten will. Ich glaube auch ich nicht, dass man das Kulturleben bei Lockerungen so kurzfristig einfach wieder anknipsen kann. Veranstaltungen brauchen einen guten Vorlauf, es sind viele Akteure beteiligt, die mittlerweile auch wirklich zermürbt sind, ob des stetigen Hin und Her. Für den Sommer habe ich einige Open-Air-Konzerte in meinem Kalender, und dazu auch gleich noch Schlecht-Wetter-Ausweichtermine blockiert. Und am Ende kann es passieren, dass beide Termine kurzfristig den Inzidenzwerten in der Region zum Opfer fallen und ein anderer Auftritt in einer anderen Region möglich gewesen wäre, den ich aber aufgrund der Reservierungen nicht annehmen konnte. Normalerweise habe ich 100 bis 120 Auftritte im Jahr, jetzt habe ich wenige Anfragen für den Sommer, immer unter Vorbehalt der Durchführbarkeit und ohne Ausfallgage bei coronabedingten Absagen. Herbst und Winter sind noch weitgehend unbelegt. Ein Teil meiner Auftritte ist in Kindergärten und Schulen, da sind die Planungsmöglichkeit aktuell noch eingeschränkter: Lehrer sind überlastet, Präsenzunterricht in voller Klassenstärke in weiter Ferne, Veranstaltungen für die ganze Schule noch undenkbar. Und in Kindergärten ist es nicht viel besser, es gibt dort nicht einmal Veranstaltungen im Freien, vermutlich, um sich im ganzen Wahnsinn der sich ständig verändernden Verordnungen nicht auch noch mit besorgten Eltern auseinandersetzen zu müssen.   Manchmal befürchte ich auch, dass sich einige an Netflix, Spielekonsolen und das Sofa gewöhnt haben und es vielleicht nie mehr so wird wie früher. Aber vielleicht sind ja auch viele kulturell ausgehungert und freuen sich wieder auf Live-Konzerte, Theater, Festivals und jedes Angebot ist dann im Nu ausverkauft.

Meinen Sie, dass der Kultur und ihren Akteuren jetzt, mehr Wertschätzung entgegengebracht wird?
Grashaußer: Hoffentlich, denn ein Leben ohne Kultur ist nicht schön. Mir persönlich fehlt die Kultur sehr, denn ich gehe selber sehr gerne ins Theater, auf Konzerte, in Ausstellungen. Kultur ist Nahrung fürs Gehirn, inspiriert, verführt zum Lachen, macht das Leben bunt, bringt einen auf andere Gedanken, regt an, irritiert, erweitert den Horizont. "Kultur ist die Öffnung des Verstands und des Geistes", sagte Jawaharlal Nehru, Widerstandskämpfer und erster Ministerpräsident Indiens.

Auf was freuen Sie sich am meisten, wenn Sie wieder auf der Bühne stehen werden? Und wann wird dies zum ersten Mal sein?   
Grashaußer: Ich freue mich auf lachende Gesichter, auf Applaus, darauf, dass ich meine neuen Lieder vorstellen kann, dass ich endlich wieder zeigen kann, was ich gerne mache: Musik. Mein erster Auftritt soll am Sonntag, 13. Juni, in Schwabach sein - das Kulturamt hat ein kleines Open Air geplant. Und am 26./27. Juni soll es in Nürnberg auf AEG und in Roth beim Open Air im Stadtgarten von Kulturfabrik und Stadtorchester weitergehen. Ich drücke die Daumen, dass alles stattfinden kann.

HKDas Gespräch führte Karin Probst


Artikel kommentieren