Kipfenberg
Damit das Geigenspiel nicht nervt

Kipfenberger Orthopädietechniker entwickelt Kinnhalter, der die Musiker vor Schmerzen bewahrt

07.11.2017 | Stand 02.12.2020, 17:15 Uhr

Foto: Sabine Lund

Kipfenberg (EK) Die Not des einen machte den anderen erfinderisch: Mit dem Geigenspieler des in Ingolstadt beheimateten Georgischen Kammerorchesters, Mamuka Paresi, und dem Orthopädietechniker Josef Bögelein sind zwei ganz verschiedene Virtuosen aufeinandergetroffen. Mamuka Paresi spielt seit seinem 7. Lebensjahr Geige und er hat diese Leidenschaft zu seiner Profession gemacht. Bögelein ist Meister seines Faches in der Herstellung maßgefertigter orthopädischer Hilfsmittel in Kipfenberg. Gemeinsam haben sie nun für Geigenspieler einen anatomisch geformten Kinnhalter entwickelt, der lange schmerzfreies Musizieren ermöglichen soll.

Paresi hebt die Geige zum Spielen an und stabilisiert, wie alle Geigenspieler, sein Instrument zwischen Schulter und Kinn. Dann streicht er mit dem Bogen über die Saiten und bringt bezaubernde Melodien hervor. Er liebt die Musik und sein Instrument. Doch manchmal nervt das Üben und Spielen im wahrsten Sinne des Wortes. Denn durch diese Haltung werden insbesondere zwei bedeutende Nerven im Unterkiefer ständig gereizt: der Drillingsnerv, auch bekannt als Trigeminusnerv, sowie der Alveolarnerv. Auch die Unterkinnschlagader wird permanent belastet, was zu Durchblutungsstörungen führt.

Als Paresi eines Tages wieder einmal einen Kollegen in die Werkstatt des Orthopädietechnikers begleitet, wird Bögelein auf die Schonhaltung und die Schmerzen des Musikers aufmerksam. "Ich muss mit meinem Instrument pausieren, bis die Entzündung der Nerven wieder geheilt ist", klagt der Geiger auf Nachfrage. Darin sieht Bögelein aber nicht die Lösung, sondern er will das Problem an der "Nerven"-Wurzel packen. Der Kinnhalter, den viele Geigenspieler nutzen, erhält nun ein von ihm anatomisch geformtes, weiches Polster, in das sich der Kieferknochen hineinschmiegen kann. So werden die verschiedenen Kieferknochen und Nerven entlastet, die vom Unterkieferwinkel bis zum Kinnvorsprung verlaufen, erklärt Bögelein seine Erfindung.

Auf den harten Geigenteller habe er ein anatomisch geformtes Polstermaterial aus weichem Zellkautschuk aufgelegt, das auch im Alltag für Diabetiker heilsam eingesetzt werde. Es wirkt gelartig und besitzt gute Rückstellfähigkeiten, berichtet der Orthopädietechniker. "Es war ein langer Entwicklungsprozess, bis wir die geeignete Form gefunden haben", erzählt der Experte, auch wenn ihm schnell klar gewesen sei, welches Material sich am besten eignet.

2015 konnte Bögelein sogar ein Patent auf den von ihm entwickelten "Kinnhalter mit anatomischem Polster" regis-trieren lassen. "So etwas hat es bislang noch nicht gegeben, obwohl doch fast alle Geigen- oder Bratschenspieler Schmerzen beim Spiel verspüren", ist Bögelein verwundert. Inzwischen nutzen viele Geiger, nicht nur im Georgischen Kammerorchester, sondern auch in Südamerika sein Patent mit der Vertiefung für den Kieferknochen. In seiner feinsten Form ist das Polster mit Lammnappa überzogen und somit besonders weich und hautfreundlich. Irritationen der Haut sollen vermieden werden. Dafür sorgt zusätzlich der Unterbezug, dessen Stoff mit Anteilen von reinem Silber durchzogen ist. Dies wirkt antibakteriell, geruchshemmend und antistatisch, weiß Bögelein. Auch die Befestigungseinrichtung des Tellers - die häufig aus einem nickelhaltigen Material besteht - wurde mit dem weichen Leder überzogen. Die Musiker können für eine individuelle Anfertigung auf verschiedene Geigenteller zurückgreifen, wie "Guaneri", "Wendling" und "Teka". Dass der Ton auch mit dem Überzug des Kinnhalters nicht verfälscht wird, haben Paresi und Bögelein sogar in einem Tonstudio durch einen Toningenieur feststellen lassen. Der Geiger setzt nun ruhig und gelassen zum Musizieren an und weiß, dass seine Nerven dabei geschont werden.